VOR DER ZINSWENDE

Die Zukunft der Geldpolitik

Normalisierung oder "neue Normalität" - über die verzweifelte Suche der Zentralbanker nach Antworten

Die Zukunft der Geldpolitik

Von Mark Schrörs, FrankfurtDie Weltfinanzkrise hat die Zentralbanken nicht nur vor beispiellose Herausforderungen gestellt, um den Kollaps des globalen Finanzsystems und einen Totalabsturz der Weltwirtschaft zu verhindern – sie hat auch an Grundfesten der Geldpolitik gerüttelt. Wenn die Währungshüter rund um den Globus nun zunehmend die geldpolitische (Zins-)Wende vollziehen, stehen sie deshalb zugleich vor der ebenso zentralen wie heiklen Frage, wie die Geldpolitik der Zukunft aussehen wird: Gibt es eine Rückkehr zur “alten Normalität” – oder eine ganz “neue Normalität”?Vor der Krise war es weitgehend Konsens, dass sich unabhängige Zentralbanken darauf konzentrieren sollten, für stabile Preise zu sorgen und so zum Gedeihen der Volkswirtschaften beizutragen – wobei Preisstabilität vielfach definiert wurde als eine Inflationsrate von rund 2 %. Das Hauptinstrument der Währungshüter war dabei der Leitzins. Die Krise hat dann aber gezeigt, dass sich auch bei Preisstabilität gefährliche finanzielle Ungleichgewichte aufbauen können – und am Ende reichten Zinssenkungen allein nicht aus, um den Komplettabsturz zu verhindern. Immense UnsicherheitDas hat eine sehr intensive Debatte über die Rolle der Zentralbanken und deren Mandate, Ziele und Instrumente ausgelöst. Die Notenbanker nehmen zunehmend an dieser Diskussion teil. Zugleich sind sie aber sehr zurückhaltend, wenn es um allzu große Umwälzungen geht. Die Unsicherheit unter den Zentralbankern ist aktuell immens.Eine der großen Fragen ist jene, ob eine Anpassung des weit verbreiteten 2-Prozent-Inflationsziels nötig ist – vor allem im Sinne einer Anhebung auf 3 % oder 4 %. In den USA forciert nicht zuletzt der einflussreiche Präsident der regionalen Fed San Francisco, John Williams, diese Diskussion. Im Frühjahr dieses Jahres untermauerte Williams seine Forderung nach einer Überprüfung der Zentralbankstrategien im Interview der Börsen-Zeitung. “Wenn wir zu lange warten, kann es zu spät sein”, sagte er (vgl. BZ vom 12. April). Im Sommer zeigte sich dann Noch-Fed-Chefin Janet Yellen überraschend offen für eine Debatte über ein höheres Ziel.Die Befürworter höherer Inflationsziele argumentieren vor allem damit, dass der sogenannte natürliche Zins, der Wachstum und Inflation ins gewünschte Gleichgewicht bringt, seit Jahrzehnten sinke und auch in Zukunft niedrig sein werde. Bei einer Anhebung des Inflationsziels fielen die nominalen Leitzinsen tendenziell höher aus, wodurch es in Krisenzeiten mehr Spielraum für Zinssenkungen gebe. Schätzungen zum Gleichgewichtszins variieren aber stark und sind sehr umstritten. Die Bundesbank warnte erst jüngst davor, zu viel Gewicht darauf zu legen. Zudem stellt sich die große Frage, was Änderungen für die Glaubwürdigkeit der Zentralbanken bedeuteten. Bundesbankpräsident Jens Weidmann sieht aktuell keinen Grund, das 2-Prozent-Ziel infrage zu stellen – auch nicht im Sinne eines niedrigeren Ziels, wie es in Deutschland einige befürworten.Inzwischen steht aber auch grundsätzlich die Inflationssteuerung der Zentralbanken zur Debatte, das sogenannte Inflation Targeting. Allen voran der Chefvolkswirt der Zentralbank der Zentralbanken BIZ, Claudio Borio, hat zuletzt mehrfach provokant die These vertreten, dass die Zentralbanken gar nicht so viel über die Inflation wissen, wie sie lange zu glauben dachten – geschweige denn, dass sie die Teuerung genau feinsteuern könnten. Tatsächlich steht insbesondere der Zusammenhang zwischen Arbeitsmarkt sowie Auslastung der Volkswirtschaft einerseits und Löhnen sowie Inflation andererseits, ausgedrückt in der sogenannten Phillips-Kurve, zunehmend in Zweifel, weil selbst dort, wo es starkes Wachstum und eine sinkende Arbeitslosigkeit gibt, die Löhne kaum anziehen. Die Phillips-Kurve ist aber ein fester Bestandteil der Zentralbank-DNA.In Notenbankkreisen toben hitzige Debatten darüber, inwieweit das ein temporäres Phänomen ist, weil etwa die schwere Wirtschaftskrise nachwirkt – oder ein strukturelles Phänomen, getrieben etwa von Globalisierung und Digitalisierung. Mehrheitlich scheint die Ansicht zu dominieren, dass die Phillips-Kurve Bestand hat, dass es aber aktuell länger dauert, bis sich Wachstum und Jobaufbau in steigenden Löhnen niederschlagen. Tatsächlich spricht einiges für diesen Befund. Zugleich versuchen die Notenbanker, überzogene Erwartungen, die sie teils selbst geschürt haben, zu dämpfen. “Eine Feinsteuerung der Inflation funktioniert ganz einfach nicht”, sagte Schwedens Zentralbankchef Stefan Ingves jüngst im Interview der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 18. Oktober). Streit über FinanzstabilitätMindestens ebenso heiß diskutiert wird die Rolle der Geldpolitik für die Finanzstabilität. Allen voran die BIZ fordert, die Notenbanken müssten neben der Preisstabilität viel stärker auch die Finanzstabilität und konkret die längerfristigen Finanzzyklen in den Fokus nehmen. Auch ein explizites Mandat sollte kein Tabu sein. Vor allem bei US-Notenbankern stößt das aber auf große Skepsis, während das Echo unter Euro-Hütern gemischt ist. Für ein explizites Mandat ist indes kaum einer.Schließlich gehört zu den kontrovers diskutierten Fragen noch, inwieweit Instrumente wie Negativzinsen und breite Anleihekäufe, vor allem von Staatsanleihen, auf Dauer zum Einsatz kommen werden. Laut einer jüngst von der EZB veröffentlichten Umfrage erwartet auch eine breite Mehrheit der Zentralbankchefs, dass Leitzinsen nahe 0 % ein mögliches Instrument für die Zukunft sind (siehe Grafik). Bei Negativzinsen ist sich zumindest ein nicht unerheblicher Teil sicher, dass das so sein wird. Auch bei den Wertpapierkäufen (Quantitative Easing, QE) gibt es einen beträchtlichen Teil der Zentralbankchefs, die dieses Instrument für dauerhaft nützlich halten, und nur wenige wollen es fallenlassen.