Deutschland

Die Zuversicht wächst

Die Infektionsdynamik bleibt hoch. In Deutschland wächst aber die Zuversicht, dass die dritte Welle gebrochen ist. Für Geimpfte und Genesene gibt es jetzt Erleichterungen. Die Wirtschaft hofft ebenfalls auf Lockerungen.

Die Zuversicht wächst

Von Stefan Paravicini, Berlin,und Mark Schrörs, Frankfurt

So entspannt hat man Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Lothar Wieler, den Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), bei ihren regelmäßigen gemeinsamen Pressekonferenzen zur Coronalage in Deutschland in den vergangenen Monaten noch nicht erlebt. „Die dritte Welle scheint gebrochen“, sagte Spahn am Freitag mit Blick auf die dritte Infektionswelle, die im Frühjahr von hoch ansteckenden Virusmutationen be­schleunigt wurde, weshalb die Bundesregierung zuletzt eine bundeseinheitliche Notbremse zog. Die Inzidenzen seien seit Ende April in allen Altersgruppen gesunken, bestätigte Wieler. „Gleichzeitig werden immer mehr Menschen geimpft, das ist eine sehr erfreuliche Nachricht“, sagte der RKI-Chef zufrieden. Am Freitag meldete das RKI 18485 neue Coronafälle in den vorangegangenen 24 Stunden und damit etwa 5800 Fälle weniger als vor einer Woche. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank unter 126, wobei sechs Bundesländer bereits unter 100 lagen.

Derweil wurden allein am Donnerstag mehr als 920000 Menschen geimpft, wie Spahn ausführte. Damit waren 26,2 Millionen Deutsche mindestens einmal geimpft und die Impfquote stellte sich auf 31,5%. Knapp 9% genießen bereits einen vollen Impfschutz und sind ab Sonntag ebenso wie die von Corona Genesenen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Rahmen des Infektionsschutzes ausgenommen. Eine entsprechende Verordnung, die zum Wochenbeginn vom Kabinett auf den Weg gebracht wurde, erhielt am Freitag die Zustimmung des Bundesrats.

Doch Zuversicht gibt es in dieser Pandemie nicht ohne Vorsicht: „Die Infektionszahlen sinken, aber sie sind immer noch auf hohem Niveau. Und sie sinken nicht überall gleich schnell“, sagte Spahn. Die Auslastung der Intensivstationen befinde sich weiterhin nahe den Höchstständen in der Coronakrise, und auch die Zahl der an das RKI gemeldeten Todesfälle im Zusammenhang mit Corona befinde sich auf hohem Niveau, schränkte auch Wieler ein.

„Die gegenwärtige Entwicklung ist sehr positiv, und sie gibt Hoffnung, dass wir die Pandemie bald kontrollieren können“, sagte der RKI-Chef. Die steigende Impfquote werde in absehbarer Zeit spürbare Erleichterungen bringen. Bevor die Beschränkungen im Alltag aber deutlich reduziert werden könnten, müsse der Anteil der immunisierten Bevölkerung bei der derzeit vorherrschenden Virusvariante deutlich oberhalb von 80% liegen. „Ich kann daher nur alle bitten, noch ein bisschen Geduld aufzubringen“, sagte Wieler abschließend. „Es braucht Zuversicht gepaart mit Umsicht, denn zu viel Ungeduld würde nur dem Virus helfen“, gab Spahn die Marschroute für die nächsten Wochen vor. „Zu viele öffnen gerade ziemlich viel, bei relativ hoher Ausgangsinzidenz“, sagte der Minister mit Blick auf die ersten geplanten Öffnungsschritte für Gastronomie und Tourismus, wo die Inzidenzzahlen das erlauben. Das Vereinigte Königreich, das in den vergangenen Wochen gerne als Vorbild in der Coronapolitik herhalten musste, habe erst bei deutlich geringeren Infektionszahlen mit Öffnungen be­gonnen, sagte Spahn. „Ich kann nur appellieren, dass dort, wo Lockerungen gemacht werden, die vor allem im Außenbereich zu machen, weil das Infektionsrisiko draußen deutlich geringer ist.“

Tourismusverbände befürworteten die Länderinitiativen zur Öffnung, fordern aber einheitliche Konzepte. „Wir begrüßen, dass die Politik endlich erkannt hat, dass verantwortungsvoller Tourismus mit Sicherheitskonzepten selbst bei einem In­zidenzwert bis 100 möglich ist“, sagten Michael Buller und Petra Thomas, die Sprecher des Aktionsbündnisses Tourismusvielfalt, dem 28 Tourismusverbände angehören. Ein „Flickenteppich“ aus 16 Verordnungen sei aber keine Lösung, kritisiert Buller. Gesundheitsexperten der Opposition warnten vor zu schnellen Lockerungen. Wenn die Mobilität zunehme, würden auch die Infektionszahlen steigen, betonten auch Spahn und Wieler.

Angesichts der Debatte über Lockdown-Erleichterungen werden auch aus der Wirtschaft Forderungen nach Öffnungsperspektiven für Unternehmen lauter. Die Bundesregierung müsse das Wiederhochfahren von Gesellschaft und Wirtschaft zusammendenken, mahnte etwa der Präsident des Industrieverbands BDI, Siegfried Russwurm. „Erforderlich sind aus wirtschaftlichen ebenso wie psychologischen Gründen konkrete Öffnungsperspektiven auch für Unternehmen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und um Existenzen zu sichern“, so Russwurm.

Die deutsche Wirtschaft hat unter der zweiten und dritten Welle noch einmal heftig gelitten. Im ersten Quartal 2021 ging die Wirtschaftsleistung um 1,7% zurück, nach einem Plus von 0,5% Ende 2020. Mit der an Fahrt aufnehmenden Impfkampagne wächst aber die Zuversicht für den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Bundesregierung hob unlängst ihre Wachstumsprognose für 2021 auf 3,5% an.

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