Die zweigeteilte Welt der Schwellenländer

Kapitalströme nach Rekordabflüssen stabiler

Die zweigeteilte Welt der Schwellenländer

rec Frankfurt – In vielen Schwellenländern spitzt sich die Gesundheitskrise infolge der Corona-Pandemie zu. Während Regierungen anderswo Pläne für das Wiederanfahren von Wirtschaft und öffentlichem Leben erarbeiten, steigen etwa in Russland und Brasilien die Fallzahlen der Covid-19-Infizierten zum Teil rasant an. An den Finanzmärkten hingegen haben viele aufstrebende Volkswirtschaften das Schlimmste offenbar fürs Erste hinter sich. Die Kapitalströme aus dem Ausland haben sich vielerorts stabilisiert, die Währungsturbulenzen nachgelassen. Gebannt ist die Gefahr einer großflächigen Wirtschafts- und Finanzkrise damit gleichwohl nicht, zumal die Verwundbarkeiten in etlichen Schwellenländern groß bleiben.Im ersten Quartal dieses Jahres hatten ausländische Investoren eine Rekordsumme von rund 100 Mrd. Dollar aus ihren Portfolios in Schwellenländern abgezogen. Das schürte unter Beobachtern die Furcht vor einem finanziellen Flächenbrand und einer neuen globalen Schuldenkrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte angesichts des beispiellosen Fluchtreflexes der Anleger, die Schwellenländer befänden sich in einem “perfekten Sturm”. Von dem Aderlass, der im März mit Nettoabflüssen von mehr als 80 Mrd. Dollar seinen Höhepunkt erreichte, blieb keine Region verschont.Inzwischen stellt sich die Lage anders dar. “Die Finanzmärkte unterscheiden nun stärker zwischen eher widerstandsfähigen und verwundbareren Schwellenländern”, beobachtet Manfred Stamer, Senior Economist beim Kreditversicherer Euler Hermes. In Summe registrierte der internationale Bankenverband Institute of International Finance (IIF) im April Nettozuflüsse von circa 17 Mrd. Dollar. Vor allem bei Anleihen griffen die Anleger demnach wieder vermehrt zu. An den Aktienmärkten fiel das Plus mit 2 Mrd. Dollar dagegen deutlich geringer aus. Ohne China, das die Pandemie unter Kontrolle gebracht zu haben scheint und die deutlichsten Zuflüsse verzeichnete, stand hier auch im April ein Minus. Problem AuslandsschuldenSpeziell um Lateinamerika machen Anleger Stamer zufolge weiterhin einen Bogen. Hier schwächten sich die Portfolioabflüsse im April mit – 13 Mrd. Dollar gegenüber dem Vormonat (- 16 Mrd. Dollar) kaum ab. Rohstoffexporteure wie Brasilien, Mexiko und Kolumbien teilen ähnliche Probleme: Ihnen macht über die Coronakrise hinaus der Preissturz bei Öl, Kupfer und Co. zu schaffen. Dringend benötigte Devisenzuflüsse bleiben aus. Ihre Währungen haben stark abgewertet. Das erschwert es, ihre vergleichsweise hohen Schulden im Ausland zu bedienen. “Die rohstoffexportierenden Länder sind diejenigen, deren Haushaltssaldo sich in diesem Jahr voraussichtlich am stärksten verschlechtern wird”, erwartet Julien Marcilly, Chefvolkswirt des Kreditversicherers Coface.Wie in früheren Krisen machen Beobachter die Auslandsverbindlichkeiten als Schwachstelle aus. Neben Brasilien zählt Ulrich Leuchtmann, Devisenexperte der Commerzbank, Südafrika und die Türkei zu den “fragilen drei”. Ihm macht das Verhältnis der Auslandsschulden zu den Exporterlösen Sorgen. Hinzu kommen hausgemachte Probleme. In der Türkei trimmt Präsident Recep Tayyip Erdogan die Zentralbank trotz zweistelliger Inflationsraten auf Zinssenkungen, was tendenziell die Lira schwächt und die stark in Fremdwährungen verschuldeten Firmen belastet. Südafrika ächzt unter Investitionsschwäche und hoher Arbeitslosigkeit. In Brasilien weckt Präsident Jair Bolsonaro Zweifel am Kurs der Schuldenkonsolidierung. Aus dem Schneider sind die Schwellenländer jedenfalls nicht: Von Bloomberg befragte Finanzmarktexperten rechnen mit einem neuerlichen Ausverkauf in der zweiten Jahreshälfte.