EUROPÄISCHE ZENTRALBANK LÄUTET ENDE VON QE EIN -- IM INTERVIEW: VOLKER WIELAND

"Diese Entscheidung war schon lange überfällig"

Der Wirtschaftsweise über das Votum des EZB-Rats, die Lage der Euro-Wirtschaft und die Bilanz von QE

"Diese Entscheidung war schon lange überfällig"

– Herr Professor Wieland, die Europäische Zentralbank (EZB) hat mehr oder weniger klar angekündigt, ihre Anleihekäufe Ende 2018 zu beenden. Ist das die richtige Entscheidung?Diese Entscheidung war schon lange überfällig. Die Geldpolitik hat eher zu lange im Krisenmodus massiver Anleihekäufe verharrt. Die EZB hätte die Anleihekäufe angesichts der anhaltenden Wachstumsraten von um die 2 %, der annähernden Vollauslastung der Produktionskapazitäten im Durchschnitt des Euroraums und von Inflationsraten von deutlich mehr als 1 % schon früher beenden können. Ich hoffe, dass der Ausstieg jetzt trotzdem noch rechtzeitig kommt. – Zuletzt hat aber die Euro-Wirtschaft an Schwung verloren, zudem haben die Risiken zugenommen – wie der globale Handelsstreit oder die politische Lage in Italien. Ist das kein Grund zur Besorgnis?Man sollte eins nicht übersehen: Die EZB hat jetzt mit ihrer Ankündigung die Anleihekäufe erst einmal noch verlängert. Zudem wird sie im Rahmen der Reinvestitionen weiterhin sehr stark am Anleihemarkt intervenieren und den extrem hohen Stand der Notenbankbilanz erhalten. Und schließlich hat sie auch noch angekündigt, die Zinsen würden mindestens bis Mitte nächstes Jahr konstant bleiben. Man muss zudem die Konjunkturabschwächung richtig einordnen.- Das heißt konkret?Ein Teil der Währungsunion befindet sich bereits in der Überauslastung. Das trifft insbesondere auf Deutschland zu. Insofern ist es wenig verwunderlich, wenn sich die Wachstumsrate der realen Wirtschaftsleistung verlangsamt. Dem Negativrisiko aus dem Handelsstreit mit den USA steht die Möglichkeit positiver Wachstumseffekte aufgrund der umfangreichen Steuersenkung in den USA entgegen. Auch Frankreich senkt die Steuer auf die Gewinne, die die Unternehmen dort erwirtschaften. Die Lage in Italien hat sich tatsächlich allein aufgrund der fahrlässigen Kommunikationen der Parteien bei der Regierungsbildung verschlechtert. Wer bei einer Staatsschuldenquote von 130 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) das Defizit massiv erhöhen will, fällige Anleihen im Besitz der Notenbank nicht begleichen will und über den Austritt aus dem Euro redet, muss sich nicht wundern, wenn die Anleihepreise verfallen und die Zinsen auf diese Anleihen nach oben schießen. Alles andere wäre bedenklich gewesen. Der Markt funktioniert. Die EZB kann nicht die Geldpolitik verwenden, um die politischen Wunschvorstellungen einer Regierung eines Mitgliedstaats zu befriedigen. – Der EZB-Rat hält sich beim QE-Ende eine Hintertür offen für den Fall, dass die künftigen Daten enttäuschen. Könnte die EZB ohne Gesichtsverlust noch einmal umkehren?Das ist nicht nur ein Hintertürchen. Der EZB-Rat hat lediglich seine Erwartung, seine Prognose zur eigenen Politik geäußert. Das heißt, wenn Wirtschaftswachstum und Inflation geringer als erwartet ausfallen, kann er ohne Weiteres die Anleihekäufe auch nach Dezember fortsetzen. Das wäre konsistent mit dieser Ankündigung. Ein Gesichtsverlust wäre damit nicht verbunden, da es sich nicht um eine Festlegung handelt, die unabhängig von der tatsächlichen Wirtschaftsentwicklung wäre. – Sie haben es bereits erwähnt: Der EZB-Rat hat zugleich erklärt, dass die Leitzinsen “mindestens bis zum Ende des Sommer 2019” nicht erhöht werden? Wie schätzen Sie diesen Ausblick ein? Ist eine solche explizite zeitliche Festlegung für eine Zentralbank nicht riskant?Auch das ist lediglich eine Prognose. Grundsätzlich ist es sinnvoll, solch eine Prognose zu veröffentlichen. Es sollte Teil einer guten Normalisierungsstrategie sein. Man kann aber darüber streiten, ob die konkrete Prognose angemessen ist. Sie ist jedenfalls nicht zeitlich begrenzt. Insgesamt signalisiert die EZB damit, dass sie erwartet, noch lange Zeit eine sehr akkommodierende Politik umzusetzen, auch wenn jetzt die Inflationsrate schon nahe 2 % liegt.- Wie beurteilen Sie unter dem Strich die Anleihekäufe der EZB seit Anfang 2015?Ich bezweifle zwar, dass diese Ankäufe notwendig waren, da ich die Einschätzung hoher Deflationsrisiken der Jahre 2014/15 nicht teile. Aber die Anleihekäufe dürften die Finanzierungskosten der Mitgliedstaaten deutlich reduziert haben. Möglicherweise haben sie auch signifikant zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Die EZB hat jedenfalls Schätzwerte vorgelegt, die das nahelegen. Da die zugrunde liegenden Modelle nicht öffentlich sind, lässt sich dies nicht überprüfen. Ich hoffe, dass die Risiken, die diese Anleihekäufe mit sich bringen, beherrschbar bleiben. Das wird uns noch lange beschäftigen. Mittelfristig sollte die EZB die Bilanz wieder reduzieren. – Wie lange wird Ihrer Einschätzung nach die Normalisierung der Geldpolitik im Euroraum dauern? Sind Zinsniveaus wir vor der Krise wieder vorstellbar?Wie lange es dauert, wird unter anderem davon abhängen, ob die EZB ein Überschießen der Inflationsraten der Verbraucherpreise oder weitere Übertreibungen bei den Vermögenspreisen toleriert. Das langfristige Nominalzinsniveau wird durch die Zielinflationsrate von nahe 2 % und den realen Gleichgewichtszins bestimmt. Es gibt zwar eine Debatte darüber, ob der reale Gleichgewichtszins gefallen ist. Nach meiner Einschätzung und eigener Forschungsarbeit lässt die bisher vorliegende empirische Evidenz aber keine verlässliche Aussage zu. Wer heute Entscheidungen trifft, die vom langfristigen Zinsniveau abhängen, sollte zumindest vorbereitet sein, eine Rückkehr auf frühere Normalniveaus verkraften zu können.—-Die Fragen stellte Mark Schrörs.