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"Digitale Agenda" - Große Worte, aber wenig Konkretes

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 14.8.2014 Die Erwartungen sind gebremst. Trotz großer Worte im Koalitionsvertrag - "wir wollen Deutschland zum führenden digitalen Standort in Europa ausbauen" - sind die bisher bekannt gewordenen Ziele,...

"Digitale Agenda" - Große Worte, aber wenig Konkretes

Von Ulli Gericke, BerlinDie Erwartungen sind gebremst. Trotz großer Worte im Koalitionsvertrag – “wir wollen Deutschland zum führenden digitalen Standort in Europa ausbauen” – sind die bisher bekannt gewordenen Ziele, Pläne und Vorhaben der großen Koalition zur “Digitalen Agenda” nach Meinung nahezu aller Betroffenen doch allzu vage, ohne Zeitpläne und finanziell in keinster Weise unterlegt. Das von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor gut einem Jahr entdeckte “Neuland” ist von den drei Internetministern Sigmar Gabriel (SPD; Wirtschaft), Thomas de Maizière (CDU; Innen) und Alexander Dobrindt (CSU; Verkehr und digitale Infrastruktur) als Sammelsurium netzpolitischer Themen in der Agenda zusammengefasst worden.Diese Themensammlung gilt es nun im Zuge vieler Diskussionen, Prüfungen und in einem offenen, “nicht abschließenden Prozess” zu beackern – angefangen beim Breitbandausbau über die Industrie 4.0, Start-ups, Telemedizin, Landwirtschaft, Cloud Computing bis zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit der Digitalen Agenda “wollen wir die Weichen stellen, damit Deutschland eine Führungsrolle bei der konsequenten, sozialverträglichen, vertrauenswürdigen und sicheren Digitalisierung von Leben, Lernen, Arbeiten und Wirtschaften einnehmen kann”, heißt es in den Grundsätzen der Regierungspolitik in der Fassung vier Wochen vor dem Kabinettsbeschluss am nächsten Mittwoch. Der digitale Wandel biete große Chancen, Wohlstand und Lebensqualität zu steigern “und Deutschlands Zukunftsfähigkeit zu sichern”.So unbestimmt viele Vorschläge auch sind, ist die derzeitige Koalition die erste, die neben der realen Welt auch die digitale zur Kenntnis nimmt und deren Bedeutung als wichtigen Standortfaktor betont. Immerhin ein Fortschritt – auch wenn dieser schnell in eine Verteidigungshaltung wechselt gegen Google, Facebook, Amazon & Co, denen (ohne dass Namen genannt werden) eine missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung vorgeworfen wird. Anbieter mit Sitz in Nicht-EU-Staaten sollen für ihre hiesige Unternehmenstätigkeit denselben Regulierungsvorschriften unterliegen wie Anbieter aus EU-Staaten, heißt es im Agenda-Entwurf. Stärker gegen CybercrimeGanz wichtig – auch als Abgrenzung zu den übermächtigen US-Konzernen – ist der Regierung die Datensicherheit: “Wir wollen Verschlüsselungsstandort Nr. 1 auf der Welt werden.” Dafür soll die Wirtschaft stärker in die Verantwortung genommen werden, die vertrauenswürdige Hard- und Softwareprodukte weiterentwickeln und anbieten soll. Darüber hinaus kündigt die Koalition an, nicht nur das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, sondern auch den Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt zu stärken, damit diese Behörden besser gegen “Cybercrime und Cyberspionage” vorgehen können. Zudem will Berlin ein Verbandsklagerecht zur Verbesserung des Datenschutzes einführen – was immer eine solche Klage auch bezwecken kann.Voraussetzung für all die erhofften Chancen und Potenziale sei jedoch ein flächendeckender Zugang zu leistungsfähigen Datenleitungen. Bis 2018 will die Regierung sicherstellen, dass auch im letzten Dorf im Hunsrück oder der Uckermark Bandbreiten mit einer Download-Geschwindigkeit von mindestens 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) genutzt werden können – ein Versprechen, das Schwarz-Rot auch schon im Koalitionsvertrag festgeschrieben hatte. Dort wie jetzt in der Agenda fehlen freilich Angaben, wie dies finanziert werden soll. 94 Mrd. Euro fehlenDabei ist hier wahrlich viel zu tun. Studien zufolge ist der Anteil von Hochgeschwindigkeitsglasfaserleitungen hierzulande nur einen Bruchteil so hoch wie in anderen Ländern. Auch nutzen in Europa inzwischen mehr Unternehmen Breitband als im angeblich so Industrie-4.0-affinen Deutschland (siehe Grafik). Um diese Lücke zu füllen, muss viel Geld in die Hand genommen werden. Bis zu 94 Mrd.Euro koste ein flächendeckender Ausbau mit der zukunftsweisenden Glasfasertechnologie, rechnet der TÜV Rheinland vor. Selbst das Aufrüsten alter Kupferleitungen würde mit 20 Mrd. Euro zu Buche schlagen – wobei der Kostentreiber die menschenarmen ländlichen Gebiete sind, denen die Agenda “gleichwertige Lebensbedingungen” verspricht. Will aber der Staat die selbst gesteckten Ausbauziele in der vorgegebenen Zeit realisieren, “muss er sich – zumindest in der Fläche – auch finanziell stärker als bisher beteiligen”, erklären die Autoren der neuen DB-Research-Studie “Fortschritt braucht Breitband”. Streit ums GeldDies weiß auch die Bundesregierung und votiert deswegen für einen kostensparenden Technologie-Mix aus Breitband in den Städten und Funk in sehr ländlichen Gegenden. Neben ohnehin verfügbaren Fördermitteln für agrarische Räume hofft Berlin dabei auf die sogenannte “Digitale Dividende II”, also Vergabe-oder Versteigerungserlöse durch den Rückzug des Fernsehens aus dem 700-Megahertz-Bereich, der damit für schnelle (Funk-)Netze frei wird. Doch bevor überhaupt klar ist, wie das weitere Prozedere vonstattengehen soll, ist schon der Streit entbrannt zwischen Bund und Ländern über die erhofften Erlöse.