Digitalkonzerne krempeln das internationale Steuersystem um
Von Angela Wefers, BerlinMit guten Nachrichten sucht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in diesen Tagen für freundliche Stimmung zu sorgen. Rund 100 Mrd. Euro mehr an Körperschaftsteuereinnahmen könnten die Länder international im Jahr verbuchen, wenn die Pläne zu einer globalen Reform der Unternehmensbesteuerung realisiert werden, stellte sie in Aussicht. Dies entspricht 4 % der weltweiten Körperschaftsteuereinnahmen. Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer würden weitgehend gleichermaßen profitieren, hat die OECD analysiert.Ausgangspunkt für die geplante Reform ist die Besteuerung von Digitalunternehmen wie Google, Amazon, Facebook und Apple, deren Geschäftsmodelle in der Wolke gutes Geld verdienen. Mangels Betriebsstätten auf der Erde wird der Fiskus derer aber nicht habhaft. Mit Speck fängt man Mäuse, mag die Devise der OECD-Steuerexperten sein, die seit Sommer 2019 die Arbeit an einem Konzept koordinieren. Das hochkomplexe Reformwerk hat nur dann Chancen zu gelingen, wenn die Zahl der finanziellen Gewinner groß ist. Denn am Ende müssen alle einig sein und mitmachen. Bis Ende dieses Jahres soll die Arbeit abgeschlossen sein – ein sehr ehrgeiziger Zeitplan. Andernfalls drohen Alleingänge der Staaten, die in ein Sammelsurium von nationalen Digitalsteuern münden dürften. Die Wirtschaft ist besorgt. Die Regelungen werden sich dann überlappen, widersprechen und zu Doppelbesteuerung führen. Schwerer AlleingangBundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat seinem französischen Amtskollegen Bruno Le Maire versprochen, Deutschland werde der Einführung einer Digitalsteuer in Europa zustimmen, wenn bis Ende 2020 global kein Konsens erzielt wird. Wird Europa allein aktive, droht ein internationaler Steuerkrieg. Frankreich ist bereits gebrannt: Die Erhebung seiner nationalen Digitalsteuer setzte die Regierung in Paris jüngst auf Druck der USA aus. Washington hatte zuvor mit Schutzzöllen gedroht. Komplexe Modelle Worum geht es bei der Reform? Unter der Regie der OECD erarbeiten Steuerexperten der Regierungen von 137 Ländern ein Steuermodell, das auf die neue Digitalwelt reagiert. Unternehmen können bislang nur dort besteuert werden, wo sie eine Betriebsstätte unterhalten. Damit sind Firmen mit digitalen Geschäftsmodellen nicht mehr greifbar für die Steuerbehörden. Diese Unternehmen generieren Umsätze in Ländern, in denen sie nicht einmal eine Betriebsstätte unterhalten. Dieses Thema wird in der OECD in der sogenannten ersten Säule des Konzepts adressiert. Anfängliche Überlegungen, auf eine Umsatzbesteuerung auszuweichen, sind dem traditionellen Ansatz gewichen, der am Gewinn anknüpft. Ausschlaggebend war dafür auch, dass in der Zeit zunehmender Digitalisierung die Abgrenzung zwischen Unternehmen mit rein digitalen Geschäftsmodellen und klassischen Industrieunternehmen, die ihr Geschäftsmodell zunehmend digitalisieren, fließend ist. Die USA sperren sich allerdings dagegen, einem Modell zuzustimmen, das allein die überwiegend in den USA ansässigen Digitalriesen belasten würde.Die Diskussion hat sich innerhalb der ersten Säule des Konzepts auf einen weiteren Punkt verlagert: Die sogenannten Marktstaaten reklamieren einen größeren Teil des Steuerkuchens für sich. Dies sind überwiegend Schwellen- und Entwicklungsländer, die Güter importieren. Die Hersteller der Einfuhren versteuern ihre Gewinne größtenteils in den Sitzländern der Muttergesellschaften. Für die Länder, in denen die Güter verkauft werden, fällt nichts oder wenig vom Kuchen ab. Die Neuverteilung des Aufkommens birgt aber großes Streitpotenzial. Steuerexperten halten als Grundlage zur Belastung der Gewinne eine international einheitliche steuerliche Bemessungsgrundlage für erforderlich. Dies ist schlechterdings unvorstellbar, weil es schon auf kleiner Basis nicht gelingt: Seit mehr als einer Dekade gibt es das Ziel einer gemeinsame EU-Bemessungsgrundlage. Selbst die seit Jahren anvisiert kleine Lösung zwischen Deutschland und Frankreich steht noch aus. Mindestbesteuerung im Visier Mit der zweiten Säule des OECD-Konzepts soll international eine Mindestbesteuerung eingeführt werden. Der Fiskus will damit Gewinne erwischen, die trotz aller Bemühungen, Steuerschlupflöcher international dicht zu machen, noch durch die Maschen rutschen. Zudem versprechen sich die Staaten, die durch die Neuverteilung von Steuersubstrat Einbußen befürchten müssen, dadurch ein Auffangnetz. Diskutiert wird ein möglicher Mindeststeuersatz von 12,5 %. Hierzulande liegt der dafür maßgebliche Körperschaftsteuersatz mit 15 % kaum höher.Bei allem Optimismus der OECD über zusätzliches Steueraufkommen: Deutschland dürfte als starker Exporteur Steuersubstrat an die Marktländer verlieren. Beim Blick auf die großen Internetriesen ist Deutschland allerdings Entwicklungsland. Diese Leistungen werden von den US-Anbietern importiert.Die Finanzexperten im Bundestag der verschieden Fraktionen zeigten sich bei einer Steuerkonferenz in Berlin jüngst über den Auftrag des Bundesfinanzministeriums an das Ifo-Institut erfreut. Die Wissenschaftler sollen die Steuereffekte für Deutschland ermitteln. Denn bislang fehle es an belastbaren Zahlen über die finanziellen Wirkungen. Schließlich sind es die Abgeordneten, die die internationalen Beschlüsse am Ende in nationales Recht umsetzen müssen.Den Fortschritt der Arbeiten in der OECD dürften die Finanzminister der G20-Industrie- und Schwellenländer an diesem Wochenende im saudischen Riad politisch unterstützen. Anfang Juli wird bei einer internationalen Steuerkonferenz in Berlin die Einigung auf politische Kernaspekte der Reform erwartet. Die Entscheidung soll Ende November beim Treffen der G20-Staats- und Regierungschefs in Riad fallen.