Disco Phil lädt erneut zum Tanz
Von Andreas Hippin, LondonFür einen konservativen Schatzkanzler hat Philip Hammond (63) eigentlich alles richtig gemacht. Die britische Wirtschaft, der vor dem EU-Referendum 2016 für den Fall eines Ja zum Brexit ein katastrophaler Absturz vorhergesagt wurde, schlägt sich vergleichsweise gut. Die Arbeitslosigkeit bewegt sich auf dem niedrigsten Niveau seit 1974. Die Teuerungsrate entspricht exakt dem Inflationsziel der Bank of England. Und abhängig Beschäftigte können sich über Lohnsteigerungen freuen, wie man sie zuletzt vor der Finanzkrise sah. Die Staatsverschuldung sinkt, und das Haushaltsdefizit ist kräftig geschrumpft.Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen hat der Oxford-Absolvent Erfahrungen in der Privatwirtschaft gemacht. Der Vater dreier Kinder arbeitete zuerst bei Speywood Laboratories, dann für den Pflegeheimbetreiber Castlemead und wurde schließlich Partner bei der Beratungsgesellschaft CMA. Hammond gehört auch nicht zu den Europhilen in seiner Partei, die in der EU die Verkörperung der europäischen Aufklärung sehen. Eher zählt er zu den Euroskeptikern. Ja, er soll sogar die Unterhändler Brüssels als den Feind bezeichnet haben. Spreadsheet PhilWoran liegt es also, dass ihn der Chefökonom eines großen Assetmanagers unter der Hand als “grauen Politiker, der aus dem Nichts kam und dorthin wieder verschwinden wird” charakterisierte? Vermutlich ist es sein Mangel an Charisma, der ihm schon früh den Spitznamen “Spreadsheet Phil” einbrachte. Während sein Vorgänger George Osborne ein enger Vertrauter und Berater David Camerons war, herrschte zwischen Hammond und Theresa May von Anfang an ein unterkühltes Verhältnis. Hammond bezeichnete Mays Lieblingsberater einst als “ökonomische Analphabeten”. Die von ihm befürwortete Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge für Selbständige musste er auf Druck von May wieder zurücknehmen. Das negative Echo in der konservativen Hauspresse dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass er zurückgepfiffen wurde. Hammonds Sachverstand war in der scheidenden Regierung nie wirklich gefragt. Seine Haltung zum Thema Brexit besteht darin, dass er nicht bereit ist, die Wirtschaft vor die Wand zu fahren, um ein ideologisch reines Ergebnis zu erreichen.Sein ehemaliger Kabinettskollege Boris Johnson, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Nachfolge von May in 10 Downing Street antreten wird, hat für so einen keine Verwendung. Der ehemalige Londoner Bürgermeister braucht eine Stimmungskanone, jemanden, der seinen Brexit verkaufen kann – mit leeren Versprechungen, an die sich im Idealfall später keiner mehr erinnert. Dabei hat Hammond auch eine andere Seite: Als Teenager organisierte er Discos in den Gemeindesälen von Essex, was ihm einen weiteren Spitznamen einbrachte: Disco Phil. Er lädt nun wieder zum Tanz, denn er hat seinen Rücktritt nicht angekündigt, um sich aufs Altenteil zurückzuziehen. Hammond verschafft sich auf diese Weise vielmehr den nötigen Spielraum, um es den Brexiteers so schwer wie möglich zu machen, das Land ohne vorherige Übereinkunft mit Brüssel aus der EU zu führen. Er soll vergangene Woche andere Kollegen per Textnachricht dazu aufgefordert haben, sich bei der Abstimmung über einen Antrag zum Nordirlandgesetz zu enthalten. Die Regierung fuhr eine krachende Niederlage ein. Eine vorzeitige Beendigung der Sitzungsperiode – wie von Johnson angedacht – wurde dadurch erschwert.Karrieresorgen plagen Hammond nicht mehr. Seinen Traumjob Schatzkanzler hatte er schon. Und anders als der ehemalige Schatzkanzler Gordon Brown (Labour) wollte er nie selbst Premierminister werden.