Disney als chinesischer Kulturbotschafter
Was ist eigentlich ein Tulou, und was hat er im kommenden Disney-Film “Mulan” zu suchen? Inmitten des Handelskonflikts zwischen China und USA, der nicht nur wirtschaftspolitische, geostrategische und technologische Streitpunkte, sondern auch kulturelle Gräben offenbart, löst ein Hollywood-Film zu einer chinesischen Heldin, die schon gut 1500 Jahre auf dem Buckel hat, interessante Kontroversen aus. Mulan ist eine in China allseits bekannte Figur aus einem alten Volksgedicht: Ein junges Mädchen aus guter Familie nimmt einen heroischen Rollenwechsel vor. Sie zieht als Mann verkleidet anstelle ihres durch Krankheit geschwächten Vaters in einen Krieg der nördlichen Wei-Dynastie gegen feindliche, auswärtige Kräfte und glänzt dabei mit unbändigem Willen und kämpferischem Elan. Eine Heldin also, die chinesische Tugenden zum Schutz von Familie und Heimat hochhält.Der Filmriese Disney Company hat den Mulan-Stoff schon 1998 höchst erfolgreich als Musical-Zeichentrickfilm verarbeitet. Dabei kommt die tapfere Hauptprotagonistin eher niedlich, quirlig und tollpatschig herüber. Zur Belustigung trägt ihr Weggefährte bei, ein etwas dümmlicher Drache namens Mushu, der mit dem Originalstoff freilich nichts zu tun hat. Die amerikanisierte Verballhornung von Mulan wurde damals in China erst von der Zensur gebremst und fiel dann bei den Zuschauern durch. Die Neuauflage aber soll als Realfilm mit chinesischstämmigen Schauspielern hüben und drüben einen Treffer landen. Schließlich ist Chinas riesiger Kinomarkt ein immer wichtigeres Absatzterritorium für die Hollywood-Maschinerie.”Mulan” wird erst im März 2020 im Kino anlaufen, aber Disney hat einen kurzen Trailer als Appetithappen verbreitet – mit gewaltiger Resonanz. Er wurde weltweit Hunderte Millionen Mal abgerufen, das Gros der Klicks stammt dabei aus China. Auf den ersten Blick wirkt alles sehr originalgetreu historisch-chinesisch: Die Kamera schweift über die Ebene und zeigt einen Tulou, das sind riesige Rundbauten aus Lehm, die einst als bewohnte Festungen dienten und heute als Weltkulturerbe Touristen anlocken. Mulan wird eröffnet, dass sie unter die Haube kommen soll, um Ehre ins Haus zu bringen. “Schweigsam, beherrscht, anmutig, diszipliniert, das sind Eigenschaften einer guten Ehefrau”, heißt es dazu. Dann sieht man, wie die “fügsame” Mulan in wilden Gefechtsszenen ihre Gegner fertigmacht und die Losung ausgibt: “Es ist meine Pflicht zu kämpfen.” *Ein Martial-Arts-Spektakel mit “female empowerment” – das sollte doch sowohl in den USA wie auch China den Zeitgeist treffen, oder etwa nicht? Nun, es hagelt Kritik von anderer Seite. Die einen beklagen, dass der lustige Drachen Mushu fehlt. Eine britische Zeitung schimpft, dass sich Disney in China anzubiedern versuche, um nationalistische Werte der Regierung zu befriedigen. Eine hochpolitische Einschätzung des 90-Sekunden-Trailers. Chinesischen Beobachtern hingegen genügen schon die ersten Sekunden, um mit den Augen zu rollen.Es hapert bei der Historientreue: Wie kann es sein, dass Mulan fröhlich auf einen Tulou zureitet? Die nördliche Wei-Dynastie spannte sich von 386 bis 589 n. Chr., die pittoresken Tulou-Bauten hingegen stehen erst seit dem 13. Jahrhundert und auch nur in der südlichen Provinz Fujian. Das ist Luftlinie rund 3 000 Kilometer von Mulans Wirkungsstätte entfernt. “Hey Disney, macht doch einen weiteren Zeitsprung von 800 Jahren und lasst Mulan per Hochgeschwindigkeitszug anreisen, um ihrer Pflicht zu kämpfen nachzukommen”, höhnt ein Kritiker. Abgesehen davon sind Mulans Gewänder nicht dynastiegerecht, und ihre Schwertkampfbewegungen gleichen japanischen Ninja-Warriors.Nun denn, Disney hat noch neun Monate Zeit, um Dinge zurechtzuzupfen. Vielleicht haben sich bis dahin Handelsstreit und USA-China-Befindlichkeiten so weit entspannt, dass man “Mulan” ganz ohne Anbiederungsverdacht goutieren kann – oder aber so weit verschärft, dass Hollywood-Filme erst gar nicht mehr in chinesische Kinos gelangen.