Draghi spricht offen über Euro-Austritte

EZB-Präsident überrascht mit Brief an Abgeordnete

Draghi spricht offen über Euro-Austritte

ms Frankfurt – EZB-Präsident Mario Draghi lässt mit überraschenden Aussagen über einen möglichen Euro-Austritt eines Mitgliedslandes aufhorchen. In einem Brief an Europaabgeordnete, den die EZB jetzt auf ihrer Internetseite veröffentlichte, stellte Draghi klar, dass Länder, die die Eurozone verlassen wollen, vorher ihre Verbindlichkeiten bezahlen müssten – wie jene im Zuge des sogenannten Target2-Zahlungssystems.”Sollte ein Land das Eurosystem verlassen, müssten die Forderungen und Verbindlichkeiten seiner nationalen Zentralbank gegenüber der EZB vollständig ausgeglichen werden”, heißt es am Ende eines zweiseitigen Schreibens von Draghi an zwei italienische EU-Abgeordnete, in dem es um das Target2-System geht. Warnung an PopulistenDie Aussage ist in doppelter Hinsicht äußerst bemerkenswert – und brisant. Zum einen liest sie sich wie eine Warnung an Populisten, die mit einem Ausstieg ihres Landes aus dem Euro liebäugeln. In Italien setzt sich die Fünf-Sterne-Bewegung für ein Referendum zum Austritt Italiens aus der Eurozone ein. In Frankreich plädiert der Front National um Chefin Marine Le Pen dafür, den Euro aufzugeben und zum früheren Verrechnungssystem nationaler Währungen (Ecu) zurückzukehren.Vielmehr aber ist es zum anderen absolut ungewöhnlich, dass Draghi selbst über die Möglichkeit spricht, dass ein Land aus dem Euro ausscheidet – wenn auch nur theoretisch. In früheren Debatten über die Target2-Salden hatte die EZB stets argumentiert, dass diese kein Risiko darstellten, da sie nur zum Tragen kämen, wenn ein Land ausscheide – aus EZB-Sicht aber die Teilnahme eines Landes an der Währungsunion irreversibel sei. Auch in der Diskussion über Griechenland hatte die EZB sich stets in diese Richtung geäußert und signalisiert, dass sie das öffentliche Reden über den Euro-Austritt des Landes als gefährlich betrachtete.Mit seinen Aussagen könnte Draghi nun auch Sorgen über ein neuerliches Aufflammen der Euro-Krise schüren. Diese hatten sich zuletzt intensiviert, weil die Lage in Griechenland weiter nicht als gelöst gilt und es in Italien zu einer politischen Krise gekommen ist. Zudem stellt der wachsende Populismus Europa und Euroland vor große Herausforderungen. Viele sehen die Eurozone weiter in der existenziellen Krise.Die Ungleichgewichte im Target-System galten und gelten vielen Experten als eine Art Fieberthermometer für die Krise. Entsprechend schürte der neuerliche Anstieg seit Anfang 2015 Sorgen. Diese Ängste hatte die EZB zwar zuletzt zu dämpfen versucht, als sie in ihrem Wirtschaftsbericht argumentierte, der Anstieg sei Folge des Wertpapierkaufprogramms (Quantitative Easing, QE) und kein Krisensymptom.Sie hatte in dem Bericht aber nicht das Risiko thematisiert, dass etwa die Bundesbank im Falle eines Zusammenbruchs des Eurosystems oder des Austritts eines oder mehrerer Länder ihre Forderungen an andere Notenbanken – über die EZB – nicht beglichen bekäme. Im November sind die Target-Forderungen der Bundesbank auf ein Allzeithoch von 754 Mrd. Euro gestiegen. Italiens Notenbank etwa hat dagegen Verbindlichkeiten von rund 359 Mrd. Euro.