Draghi warnt vor langfristigen Risiken

EZB-Chef prangert fehlende politische Reformen an

Draghi warnt vor langfristigen Risiken

dm Frankfurt – Am Tag nach dem Start des umstrittenen Ankaufprogramms für Unternehmensanleihen hat sich Mario Draghi zu Wort gemeldet. Auf einem Wirtschaftsforum der Europäischen Kommission in Brüssel nahm der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag Kritik an der Notenbankpolitik auf. Er betonte wie bei früheren Gelegenheiten die Grenzen der geldpolitischen Möglichkeiten. Die Politiker würden sich zu sehr auf die Geldpolitik stützen, sie müssten nun handeln. “Strukturreformen können helfen, das Ausmaß und die Dauer von Schocks zu begrenzen”, so Draghi. Es gebe zwar “viele verständliche politische Gründe für die Verzögerung von Strukturreformen, aber nur wenige gute wirtschaftliche”. Die Kosten, die Reformen zu verzögern, seien “einfach zu hoch”.Nach rund vier Jahren aggressiver geldpolitischer Lockerung und unkonventioneller Maßnahmen wie des Kaufs von Staatsanleihen – und seit Mittwoch auch Unternehmensanleihen – zeigt der Wachstumstrend in Europa nur verhalten nach oben, und die Teuerungsrate liegt weit unter dem Ziel der EZB, die eine solche von unter, aber nahe 2 % anstrebt. Von Reuters befragte Ökonomen erwarten darum mehrheitlich die Verlängerung der Anleihekaufprogramme über März 2017 hinaus. Schwache ProduktivitätDraghi entwarf in Brüssel ein trübes Bild der wirtschaftlichen Perspektiven der Staatengemeinschaft. Europa riskiere, langfristigen wirtschaftlichen Schaden durch eine schwache Produktivitätsentwicklung und geringes Wachstum zu nehmen. Die Eurozone liege zurück, was seine innovativen Fähigkeiten anbelange, insbesondere im Dienstleistungssektor. Zudem wies er auf die Notwendigkeit von Arbeitsmarktreformen hin. Die ungünstige demografische Entwicklung belaste dereinst das Potenzialwachstum. Auch dürfe die Fiskalpolitik nicht gegen die Geldpolitik arbeiten, indem sie die aggregierte Nachfrage dämpfe. Darüber hinaus sei der institutionelle Aufbau der Eurozone weiterhin “unvollständig”, was Unsicherheit schaffe. Am Devisenmarkt brachten die Aussagen Draghis den Euro-Kurs unter Druck. Bis in den späten Handel ermäßigte sich der Euro gegenüber dem Greenback weiter und notierte um 0,6 % tiefer auf 1,1329 Dollar. Belastend wirkten sich auch Sorgen um einen möglichen Austritt Großbritanniens aus der EU aus.Am Donnerstag nahm in Berlin auch der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau vor einem Bundestagsausschuss Stellung zur EZB-Politik. Er erklärte wie Draghi, die Inflation dürfe ihr vorgegebenes Ziel nicht zu lang verfehlen, und verteidigte die Politik des billigen Geldes. Solange die Inflation zu niedrig sei, wie heute der Fall, müsse die Zentralbank handeln, sonst würde sie ihr Mandat nicht erfüllen, und das Deflationsrisiko in Europa und Deutschland würde zunehmen. Der Notenbankgouverneur wies die Kritik an einer zu lockeren Haltung zurück. Die EZB-Geldpolitik sei “keine südeuropäische Marotte”.Kritische Worte richtete er aber an sein Heimatland. Die Regierung in Paris müsse noch energischer Reformen vorantreiben. “Ich würde mir wie Sie wünschen, dass Frankreich die erforderlichen Reformen beschleunigt”, sagte er vor den Bundestagsabgeordneten. Frankreich sei aber nicht untätig gewesen, das Defizit werde seit zwei Jahren abgebaut.