LEITARTIKEL

Draghis Grenzen

So mancher Beobachter wähnt die Europäische Zentralbank (EZB) in diesen Tagen, da sie auf eine neuerliche Lockerung ihrer Geldpolitik zusteuert, als omnipotent - und EZB-Präsident Mario Draghi, der gerade Halbzeit seiner achtjährigen Amtszeit...

Draghis Grenzen

So mancher Beobachter wähnt die Europäische Zentralbank (EZB) in diesen Tagen, da sie auf eine neuerliche Lockerung ihrer Geldpolitik zusteuert, als omnipotent – und EZB-Präsident Mario Draghi, der gerade Halbzeit seiner achtjährigen Amtszeit gefeiert hat, als so mächtig wie nie zuvor. Tatsächlich geht in Euroland offenbar so gut wie nichts mehr ohne die EZB – und Draghi selbst scheint noch mehr als seine Vorgänger in der Lage, den EZB-Rat auf den gewünschten Kurs zu bringen. Die Allmachtsfantasien rund um die Notenbank kontrastieren aber auf eklatante Weise mit den ganz realen – dreifachen – Grenzen der EZB. Wenn die Euro-Hüter diese Grenzen auf Dauer ignorieren, droht ein böses Erwachen – für die EZB und für Euroland.Da sind erstens die Grenzen des EZB-Mandats. Die vordringliche Aufgabe der Notenbank ist es, für Preisstabilität zu sorgen. Sie ist nicht dafür da, klamme Staaten vor der Pleite oder vor unangenehmen Politikentscheidungen zu bewahren. Es ist auch nicht ihre Aufgabe, nicht lebensfähige Banken zu schützen. Wenn die Euro-Hüter nun ohne erkennbare wirtschaftliche Not eine Ausweitung ihres Anleihekaufprogramms Quantitative Easing (QE) anvisieren, nähren sie aber die Kritik, dass es ihr doch vor allem darum geht, dass sich die Staaten günstig refinanzieren können. Und mit der schier endlosen Politik der unbegrenzten Liquidität zum Nulltarif hält die EZB auch “Zombie-Banken” am Leben. Höchste Zeit wird es zudem für ein Ende der Beteiligung an der Troika, mit der sie Teil des politischen Prozesses geworden ist. Die EZB setzt mit all dem nicht nur ihre funktionelle Unabhängigkeit aufs Spiel: Findet sie in Zukunft noch den Mut zu Zinserhöhungen, wenn sich die Schuldenberge weiter aufgetürmt haben und sie sich zur größten Gläubigerin der Staaten aufgeschwungen hat? Letztlich könnte sogar auch die vertraglich verankerte institutionelle Unabhängigkeit in Gefahr geraten. Dass in den USA unter dem Motto “Entmachtet die Fed!” Forderungen nach mehr politischer Kontrolle über die Geldpolitik salonfähig werden, muss der EZB ein warnendes Beispiel sein.Zweitens sind der EZB aber auch de facto Grenzen gesetzt, ihr eigentliches Mandat und Ziel zu erreichen – also eine Inflationsrate von mittelfristig unter, aber nahe 2 %. Es ist generell eine Illusion zu glauben, eine Zentralbank könne die Inflation auf die Nachkommastelle genau feinsteuern. Besonders eindrucksvoll zeigen sich die Beschränkungen der EZB aktuell: Die Mini-Inflation im Euroraum ist vor allem eine Konsequenz des Ölpreisverfalls, der primär mit strukturellen Brüchen am Ölmarkt zu tun hat. Zudem scheinen niedriges Wachstum und niedrige Inflation nach dem Platzen einer Schuldenblase unvermeidlich. Viele Faktoren liegen also jenseits des EZB-Einflusses. Das gilt auch mit Blick auf das richtige strukturelle Umfeld, für das die Politik Verantwortung trägt. Das alles heißt nicht, dass die EZB bei einer Zielverfehlung fatalistisch die Hände in den Schoß legen sollte. Sie sollte aber auch nicht auf Teufel komm raus versuchen, die 2 % möglichst schnell zu erreichen, wenn sie durch die Wahl der Mittel langfristig gewaltige Risiken kreiert. Das 2-Prozent-Ziel selbst infrage zu stellen erscheint zumal im aktuellen Umfeld kontraproduktiv. Die EZB sollte aber anerkennen, dass es angesichts der Schwere der Schocks mehr Zeit als sonst braucht, das Ziel zu erreichen – und die Gründe viel besser erklären.Die dritte Grenze schließlich bezieht sich auf die zur Verfügung stehenden Instrumente. So sehr Draghi & Co. auch das Gegenteil behaupten – irgendwann ist der Handlungsspielraum der Währungshüter erschöpft. Die EZB stößt wie andere Zentralbanken bereits an diese Grenze: Die Leitzinsen liegen nahe oder sogar unter null, die Zentralbankbilanz ist aufgebläht. Bei jeder weiteren Maßnahme erscheint das Verhältnis von Nutzen und Kosten immer schlechter. Umso wichtiger ist, dass andere Akteure, allen voran die Politik, endlich ihren Verpflichtungen gerecht werden. Völlig abstrus ist auf jeden Fall die Idee, die EZB könne einfach Geld an alle Bürger verschenken – bekannt unter dem Begriff “Helikoptergeld”. Dass Draghi sich unlängst im EU-Parlament überhaupt auf eine solche Debatte eingelassen hat, ist irritierend – auch wenn er durchaus auf Probleme und Restriktionen hinwies. Die EZB darf nicht auch noch dieses Tabu brechen.Die große Gefahr ist, dass die Tendenz, von der EZB immer mehr und am Ende Unmögliches zu verlangen, und die Bereitschaft der EZB, dieses Spiel mitzuspielen, erst ein Ende finden, wenn die EZB völlig entzaubert ist – wenn sie endgültig als ohnmächtig statt allmächtig dasteht. So weit darf es nicht kommen: Der totale Verlust des Vertrauens in die EZB und in das Geldsystem als Ganzes ist das Letzte, was Euroland (jetzt) braucht.——–Von Mark Schrörs Die EZB und Notenbankchef Mario Draghi erscheinen manchem Beobachter als allmächtig. Das ist ein Irrglaube – der in einem bösen Erwachen enden kann.——-