"Draghis Pokerface"
Eurolands Regierungen sollen die Euro-Krise lösen, fordert die Europäische Zentralbank (EZB). Sie selbst mischt sich derzeit nicht in das Spiel zwischen Politik und Finanzwelt ein. Sie belässt ihren Leitzins vorerst unverändert bei 1 % und kündigt keine neue Liquiditätsflut an. Von Stephan Balling, FrankfurtDie Europäische Zentralbank (EZB) weigert sich, den Krisenball, der ihr ins Feld gespielt wird, anzunehmen. Notenbankpräsident Mario Draghi machte auf der Pressekonferenz nach der Zinssitzung des EZB-Rates am Mittwoch deutlich, dass die Regierungen nun spielen müssen, nicht die Geldpolitik. “Einige Probleme haben mit Geldpolitik nichts zu tun”, beteuerte Draghi vor dem Hintergrund der sich wieder zuspitzenden Euro-Krise. Vor allem Spaniens Banken stürzten die Finanzmärkte zuletzt immer wieder in Unruhe. Draghi äußerte sich dazu aber nicht konkret und ging kaum auf die Situation der Iberer ein.Er sagte lediglich: “Die Geldpolitik hat kein Recht, für Versäumnisse anderer in die Bresche zu springen. Es gibt keinen Kuhhandel zwischen der EZB und den Regierungen in der Eurozone.” ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski erklärte nach der Pressekonferenz: “Die EZB will den Druck auf die europäischen Politiker maximal halten.”Eigene Handlungen hat die EZB vorerst vermieden. Der Leitzins blieb trotz der sich eintrübenden Konjunktur im Euroraum unverändert bei 1 %. Laut Draghi votierten nur wenige der zurzeit 22 Ratsmitglieder für eine Zinssenkung, um Kreditvergabe und Konjunktur zu stimulieren. Auch neue besondere Maßnahmen blieben aus. Zwar verlängerte die EZB ihre unbegrenzte Kreditvergabe an die Banken, also die Vollzuteilung bei ihren Offenmarktgeschäften, bis mindestens Ende 2012 (teils bis Anfang des Jahres 2013). Aber sie wird vorerst keine extralang laufenden Liquiditätsspritzen mehr anbieten.Zentralbankgeld gibt es vorerst mit einer maximalen Laufzeit von drei Monaten. Im Dezember 2011 und im Februar 2012 hatten die Währungshüter mithilfe zweier Dreijahrestender netto gut 500 Mrd. Euro an Liquidität in den Interbankenmarkt gepumpt. Draghi kündigte keine abermaligen Hilfen in dieser Art für marode Banken in Teilen des Währungsgebiets an, schloss sie aber auch nicht aus.Auch die wirtschaftlichen Perspektiven sind für die EZB derzeit kein Anlass, in Panik zu geraten. Ihre Wachstumsprognosen vom März hat sie weitgehend bestätigt. In diesem Jahr erwarten die Währungshüter einen leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP), im nächsten Jahr wieder einen leichten Zuwachs. “Unser Basisszenario hat sich nicht verändert”, sagte Draghi.Der ökonomische Ausblick sei keineswegs so schlecht wie Ende 2011, als die EZB den Geldmarkt flutete und den Leitzins um 50 Basispunkte senkte. Auch einen Vergleich zu der Zeit nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers wollte Draghi nicht ziehen. Damals brach im ersten Quartal 2009 weltweit die Konjunktur drastisch ein, in Euroland schrumpfte das BIP um 5,4 %. “Wir sind noch weit von einer solchen Situation entfernt”, erklärte Draghi.Ob die EZB im Fall einer sich deutlich verschlechternden Lage bei ihrer Linie bleibt, bezweifelt ING-Ökonom Brzeski indes: “Es ist hart zu glauben, dass die EZB an der Seitenlinie stehen würde, wenn der Druck wächst. Es steht zu viel auf dem Spiel.” Draghi habe sein “Pokerface” aufgesetzt, so Brzeski.—– Bericht und Interview Seite 7- Leitartikel Seite 8- Personen Seite 16- Marktberichte Seite 17 und 18