Dritte Brexit-Verschiebung perfekt
Der ursprünglich für Ende März und zuletzt für Ende Oktober geplante Brexit wird ein drittes Mal verschoben. Die EU einigte sich auf einen flexibel handhabbaren Aufschub bis Ende Januar. In Großbritannien zeichnet sich unterdessen ab, dass doch noch eine Mehrheit für Neuwahlen zustandekommen könnte.ahe/hip Brüssel/London – Der Brexit-Termin am 31. Oktober ist endgültig Geschichte. Die EU-27 verständigte sich darauf, Großbritannien wie beantragt eine weitere Frist bis Ende Januar 2020 zu genehmigen. Die Verlängerung ist flexibel gehalten – das heißt, dass auch ein früherer Austritt aus der EU möglich ist, sollte die Ratifizierung des Brexit-Abkommens im Londoner Unterhaus schon vorher gelingen. Stichtag wäre dann jeweils der erste Tag des Folgemonats, also damit der 1. Dezember oder der 1. Januar 2020.EU-Ratspräsident Donald Tusk gab nach der Verständigung der EU-Botschafter in Brüssel bekannt, die Entscheidung über die Verlängerung könne formell nun durch ein schriftliches Verfahren umgesetzt werden. Ein weiterer EU-Gipfel sei damit nicht nötig. Mit der Verlängerung wurde unter anderem auch verbunden, dass Großbritannien für die kommende EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen einen Kommissar nominieren muss, falls diese ihr Amt schon vorher antritt. Nach derzeitigem Planungsstand wird dies am 1. Dezember geschehen. Premierminister Boris Johnson stimmte der “Flextension” bereits schriftlich zu, bat die Staatengemeinschaft jedoch, weitere Verlängerungen abzulehnen. Er habe wegen eines vom Unterhaus verabschiedeten Gesetzes (Benn Act) keine andere Möglichkeit, als zuzustimmen. Er hätte es vorgezogen, wenn das Parlament die von ihm ausgehandelte Einigung schnell abgesegnet hätte, heißt es in Johnsons Schreiben an Tusk. “Leider fürchte ich, dass dieses Parlament das niemals tun wird, solange es die Möglichkeit einer weiteren Verzögerung hat.” Deshalb strebe er Neuwahlen im Dezember an.Nun kann das schriftliche Verfahren der EU-27-Staaten starten. Es soll innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen sein. Der Verlängerungsbeschluss wurde möglich, nachdem Frankreich seinen Widerstand aufgegeben hatte. Paris hatte bis zuletzt nur auf einen kurzen Aufschub gedrungen. Die Umstände hätten sich aber geändert, hieß es gestern zur Begründung im Élysée-Palast mit Verweis auf Neuwahlen in Großbritannien. Es sei nicht die Absicht Frankreichs gewesen, einen europäischen Beschluss zur Fristverlängerung zu blockieren. Die Einheit der EU-Staaten müsse gewahrt bleiben, hieß es. Banken wollen KlarheitDie Verlängerung der eigentlich für den 31. Oktober festgesetzten Brexit-Frist erhielt viel Beifall. Ein Sprecher der Bundesregierung sprach von einer “guten Lösung”. Der Ball liege nun bei Großbritannien. Es sei wichtig, dass die zusätzliche Zeit produktiv genutzt werde. Und der Präsident des EU-Parlaments, David Sassoli, verwies darauf, dass der Beschluss Großbritannien nun noch mehr Zeit gebe, klarzumachen, was es wolle. Das Europaparlament werde den Brexit-Vertrag in der Zwischenzeit eingehend prüfen. Sassoli hatte sich Anfang des Monats in London mit Speaker John Bercow zu privaten Gesprächen getroffen.Auch in der deutschen Finanzwirtschaft wurde es als richtig bezeichnet, dass mit der Verlängerung ein harter Brexit verhindert wird. “Gleichwohl sollte nunmehr in London endlich Klarheit geschaffen werden, denn die permanente Verzögerung von Entscheidungen führt zum Verschieben von Investitionsentscheidungen und andauernder Unsicherheit auf beiden Seiten des Kanals”, betonte Andreas Krautscheid, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken (BdB). “Das muss ein Ende haben.”In Großbritannien glaubt allerdings einer aktuellen Umfrage zufolge nur jeder Zehnte der befragten Erwachsenen, dass das Land den Handelsblock am 31. Januar verlassen wird. Wie der Marktforscher YouGov ermittelte, rechnen dagegen 22 % damit, dass es keinen Brexit geben wird. Knapp ein Drittel beantwortete die Frage nach dem wahrscheinlichsten Austrittstermin mit “weiß nicht”.Unterdessen fand die Regierung nicht die nach dem Fixed Term Parliaments Act von 2010 erforderliche Zweidrittelmehrheit im Unterhaus, um Neuwahlen am 12. Dezember durchsetzen zu können. Vor allem Labour blockiert mit Blick auf ihre Umfragewerte einen baldigen Urnengang. Allerdings zeichnet sich dennoch ab, dass der Stillstand bald beendet werden könnte. Liberaldemokraten und die schottischen Nationalisten von der SNP wollen einen Gesetzesvorschlag einbringen, der Neuwahlen am 9. Dezember ermöglichen würde. Er könnte mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Allerdings forderte SNP-Fraktionsführer Ian Blackford, dass 16- und 17-jährige sowie EU-Bürger mitwählen können. Dass sich die Tories darauf einlassen, gilt als unwahrscheinlich.