LEITARTIKEL

Dynamik im Land

Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Über Jahrzehnte hinweg galt Deutschland als die Exportnation schlechthin. Wenn die größte Volkswirtschaft der Eurozone inzwischen den Titel des Export-Weltmeisters an China...

Dynamik im Land

Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Über Jahrzehnte hinweg galt Deutschland als die Exportnation schlechthin. Wenn die größte Volkswirtschaft der Eurozone inzwischen den Titel des Export-Weltmeisters an China verloren hat, dann nicht aus eigenem Verschulden, sondern wegen der schieren Masse, die das bevölkerungsreichste Land der Erde inzwischen ins Ausland liefern kann. Nein, auch ohne den Spitzentitel zählt Deutschland nach wie vor zu den führenden Anbietern auf den Weltmärkten. Und in seinem Spezialbereich, dem Maschinen- und Anlagenbau, ist es nach wie vor eine Klasse für sich.Die Exportquote, also der Wert der Ausfuhren bezogen auf die wirtschaftliche Gesamtleistung, wächst in Deutschland seit vielen Jahrzehnten: Lag sie in den 1950er Jahren in Westdeutschland noch bei weniger als einem Fünftel und hatte sie im ersten Jahr der Wiedervereinigung gerade Mal ein Viertel erreicht, beträgt sie inzwischen mehr als die Hälfte.Dies könnte sich nun ändern, allerdings ist die große, grundsätzliche Bedeutung des Exportsektors für die wirtschaftliche Prosperität Deutschlands ungefährdet. So geht auch die Bundesbank in ihrer Konjunkturprognose für die Jahre 2014 bis 2016 davon aus, dass die Ausfuhren nach wie vor eine wichtige Wachstumsstütze bilden und auch müssen. Denn ohne die zusätzlichen Einnahmen aus den Exporten würde eine Grundlage für die Ausweitung von Konsum und Investitionen hierzulande fehlen und damit eine wesentliche Voraussetzung für eine florierende Binnenwirtschaft.Die konjunkturelle Bedeutung der Exporte wird aber künftig tatkräftig von der Binnennachfrage – derjenigen der Privathaushalte wie auch der Firmen – unterstützt. Der private Konsum ist in Deutschland seit jeher eine recht konstante Größe im Bruttoinlandsprodukt (BIP). Sein Anteil liegt, wenn man auf die vergangenen gut 20 Jahre blickt, meist recht eng um die 56 % des BIP herum. Eine signifikante Ausnahme bildet das Jahr 2009, als dieser Wert in einem Zacken nach oben schnellte und im Folgejahr sofort wieder zurückfiel. Dahinter verbirgt sich aber kein plötzlicher Kaufrausch der Deutschen. Vielmehr war der Außenhandel in dem Rezessionsjahr aufgrund der globalen Finanzkrise nachgerade implodiert, während der Konsum seine jahrzehntelange, stoische Konstanz beibehielt.Inzwischen freilich entwickelt der Privatkonsum in Deutschland eine neue Dynamik, die durchaus nachhaltig sein kann. Denn nach den umfangreichen Reformen der vergangenen Jahre steigt die Beschäftigung in Deutschland ungebrochen auf immer neue Rekordhochs. Zusammen mit den jüngst üppigeren Gehaltserhöhungen sorgt dies für höhere Einkünfte der Bürger und eine Stimmungsaufhellung, so dass die Privathaushalte auch eher bereit sind, die höheren Einkommen für Anschaffungen auszugeben – und nicht wie früher aus Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes auf die hohe Kante zu legen, weil aufgrund der damaligen Rigiditäten am Arbeitsmarkt eher mit längerer denn mit tendenziell kürzerer Arbeitslosigkeit zu rechnen war.Aber auch die Unternehmensinvestitionen ziehen nun wieder an und verstärken die deutsche Binnennachfrage. Die Betriebe verspüren zum einen immer größeren Nachholbedarf, hoffen zum anderen aber auch auf anziehende Verkäufe: erstens aus dem Export angesichts der wieder auflebenden Konjunktur in den Industrieländern, zweitens aus einem anhaltend höheren Konsum im Inland.Dieser Strukturwandel hin zu einer gewichtigeren Binnennachfrage ist unter dem Gesichtspunkt der Konjunkturstetigkeit und des nachhaltigen Wirtschaftswachstums zu begrüßen. Er dürfte auch bei den Euro-Partnern Freude auslösen, fordern sie doch vehement, dass Deutschland die Binnennachfrage anrege.Aber, solch eine Verschiebung der Gewichte in einer ganzen Volkswirtschaft ist kein Selbstläufer. Sie ist Gefährdungen ausgesetzt – weniger von außen, die man zudem meist ohnehin nicht beeinflussen kann, sondern von innen. Wer glaubt, das robuste Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre und absehbar auch der kommenden Jahre dazu nutzen zu können, die so schmerzlich erarbeiteten Reformen wieder zurückzudrehen, geht in die Irre – und sei es noch so gut gemeint. Die grundlegend sehr günstigen Aussichten für die deutsche Volkswirtschaft sind die Folge der harten Reformen der vergangenen Jahre – und ohne das, was in den Reformen erreicht worden ist, sind die wirtschaftlichen Erfolge schnell wieder dahin.——–Von Reinhard KulsDie deutsche Volkswirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Die Binnennachfrage kommt stärker zum Tragen – wird aber bedroht.——-