Industriestaaten

Dysfunktionale Organisation: Russland-Streit bremst G20 aus

Die G20 ist aktuell nur noch eine dysfunktionale Organisation ohne gemeinsame Entscheidungsbasis. Grund hierfür ist der Streit mit Russland.

Dysfunktionale Organisation: Russland-Streit bremst G20 aus

Streit mit Russland bremst die G20 aus

ahe Goa

Die G20 ist aktuell nur noch eine dysfunktionale Organisation ohne gemeinsame Entscheidungsbasis.

Drei Tage und zwei Nächte haben die Sherpas der G20-Staaten im Vorfeld des Energieministertreffens der Organisation am Wochenende im indischen Touristenparadies Goa durchverhandelt, um sich auf gemeinsame Ziele der Industriestaaten zu einigen. Dabei stand da schon fest, dass es auch bei diesem Ministertreffen keine Einigung auf eine offizielle Abschlusserklärung geben würde – wie schon bei den vielen anderen G20-Konferenzen der letzten eineinhalb Jahre. Denn auch wenn der Krieg in der Ukraine nicht auf den offiziellen Tagesordnungen steht, so bringen die westlichen Staaten immer wieder auch Formulierungen ein, die den russischen Angriffskrieg verurteilen. Und gegen diese Passagen legt das G20-Mitglied Russland selbstredend umgehend sein Veto ein, meist unterstützt von China, manchmal auch von anderen Ländern.

Damit bleibt der aktuellen indischen Präsidentschaft bei den Ministertreffen und voraussichtlich auch dem im September anstehenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Delhi, eine eigene Zusammenfassung der Beratungen anzubieten. Eine gemeinsame Handlungs- und Entscheidungsbasis aller G20-Länder gibt es nicht mehr.

Wie sich beim Treffen der Energieminister erneut zeigte, macht Moskau zudem wenig Anstalten, eine Brücke zu bauen, die die Dysfunktionalität des Industriestaatenbündnisses überwinden könnte. Nachdem die russischen Vertreter bereits bei den Sherpas-Verhandlungen im Vorfeld nicht durch inhaltliche Beiträge aufgefallen waren, demonstrierte Russland sein Desinteresse während der Konferenz, indem lediglich ein Statement von Vizeenergieminister Pavel Sorokin per Videoschalte übermittelt wurde. Vor Ort war nur ein Abteilungsleiter aus dem Energieministerium anwesend, wie aus Delegationskreisen zu hören war.

Und das Video-Statement steckte offenbar so sehr voller Propaganda und Fake News, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck im Anschluss der Kragen platzte: “Das Auftreten Russlands bei der G20 hat erneut eine völlige Verkennung der Wirklichkeit gezeigt, eine völlig verdrehte Weltsicht”, schimpfte der Grünen-Politiker im Anschluss. Dabei hatte auch Habeck im Vorfeld der Beratungen schon versucht, die Erwartungen zu dämpfen. Medienberichten zufolge soll Sorokin die Anschläge auf die Nord-Stream-Pipeline thematisiert und den angeblich so sauberen Energiemix seines Landes gelobt haben.

Die Länder, die sich in Goa ernsthaft mit der weiteren globalen Energiewende auseinandersetzen wollten, konnten allerdings auch einige Fortschritte erzielen. Nach Angaben des indischen Vorsitzes einigten sich alle G20-Länder immerhin auf eine Verdoppelung der Energieeffizienz bis 2030. Erstmals gab es zudem ein G20-Bekenntnis zur Dekarbonisierung der energieintensiven Industrie bis 2050. Beim umstrittensten Punkt gab es allerdings keine Verständigung: der Verdreifachung der Erneuerbare-Energien-Kapazitäten bis 2030, wie sie alle G7-Staaten bereits beschlossen haben. Zwar gab es auch auf G20-Ebene eine große Mehrheit für dieses Vorhaben. Allerdings, wie aus den Delegationen zu hören war, legten gleich fünf Länder ein Veto ein: neben Russland war die Rede von Südafrika, Saudi-Arabien, Indonesien und vor allem auch China. Da das Land bereits heute eine recht starke Basis an Wind- und Solarstrom hat, gab es in Peking offenbar die Sorge, dass eine Verdreifachung dieser Kapazitäten bis zum Ende der Dekade kaum umsetzbar ist.

Obwohl der Streit um Russland und den Krieg in der Ukraine die G20 spaltet, ist das Ringen um inhaltliche Lösungen vielleicht nicht ganz umsonst – auch wenn die Ergebnisse in keinem gemeinsamen Abschlusskommuniqué auftauchen. Am Ende war nach Einschätzung des deutschen Wirtschaftsministers auch das Energietreffen in Goa “ein wichtiger Schritt” auf dem Weg zur diesjährigen UN-Klimakonferenz. Die COP 2023 beginnt Ende November in Dubai. Ob es mehr Einigkeit gibt als in der G20, bleibt abzuwarten.

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