Ehrlichkeit ist eine Zier

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 5.8.2020 Andrew Oswald hat es nur gut gemeint. Der Wirtschaftsprofessor von der University of Warwick ist einer der profiliertesten Ökonomen Großbritanniens. Doch als er unter Verweis auf das äußerst...

Ehrlichkeit ist eine Zier

Von Andreas Hippin, LondonAndrew Oswald hat es nur gut gemeint. Der Wirtschaftsprofessor von der University of Warwick ist einer der profiliertesten Ökonomen Großbritanniens. Doch als er unter Verweis auf das äußerst geringe Covid-19-Sterberisiko junger Menschen vorschlug, sie von den zur Bekämpfung der Pandemie verhängten Ausgangsbeschränkungen zu befreien, um die Wirtschaft nicht vollends vor die Wand zu fahren, machte er sich im auf Gleichstellung gepolten Paralleluniversum Großbritannien höchst unbeliebt. Er hatte darauf hingewiesen, dass der Krankheit in Großbritannien insgesamt um die 80 Menschen unter 30 Jahren zum Opfer fielen, während die Zahl der Verkehrstoten in dieser Altersgruppe bei rund 800 pro Jahr liegt. Oswald würde einen Lockdown für die Alten bevorzugen. Ab 50 verdoppelt sich das Sterberisiko ihm zufolge alle sieben Jahre. Ältere Menschen bezögen Renten. Sie müssten in der Regel nirgendwo hin, sondern könnten von zu Hause aus am Bildschirm vergleichsweise viel Geld verdienen. Die Jungen seien zugunsten der älteren Generation – ihn eingeschlossen – furchtbar behandelt worden, kritisierte Oswald. Das sei schlichtweg nicht fair.Und wieder einmal bewahrheitete sich der alte Spruch: Ehrlichkeit ist eine Zier, doch besser lebt man ohne ihr. Covid-19 lasse sich nicht mit Verkehrsunfällen vergleichen, monierten seine Kritiker. Die junge Generation habe einen wunderbaren Altruismus an den Tag gelegt, das solle man nicht kleinreden. Doch die eigentliche Frage ist, wie viele junge Menschen ihr persönliches Risiko, an Covid-19 zu erkranken, richtig einschätzen. Die meisten dürften es dank der extremen Angstkampagne, mit der die Regierung die Menschen zum Daheimbleiben bewegen wollte, viel zu hoch ansetzen. Mehr Ehrlichkeit in der Kommunikation wäre angesagt.Das gilt noch mehr, wenn nachgewiesen würde, dass Angehörige ethnischer Minderheiten stärker gefährdet sind, sich anzustecken. Um “strukturellen Rassismus” anzuprangern, wird gerne darauf verwiesen, dass mehr BAME-Opfer (Black, Asian, Minority Ethnic) zu beklagen sind. Doch würden entsprechende Auflagen gemacht, wäre ein Aufschrei der Empörung die Folge.Das widersprüchliche Verhalten der Regierung in den vergangenen Wochen hat dazu geführt, dass in Großbritannien jeder macht, was ihm gefällt. Der öffentliche Dienst ist seit März weitgehend abgetaucht. Den Älteren wird keine Zurückhaltung mehr abverlangt. Die Jüngsten leiden am meisten, denn es ist nicht damit zu rechnen, dass Schulen und Universitäten im Herbst den Normalbetrieb wieder aufnehmen werden. Den Schulabgängern droht Arbeitslosigkeit.——Vor Covid-19 sind nicht alle gleich. Wer das anspricht, macht sich unbeliebt. ——