NOTIERT IN FRANKFURT

Ein Aston Martin mit Rücktritt

Viel ist zuletzt über die Coronakrisengewinnler geschrieben worden. Zum Beispiel über die Fahrradläden. Unglaubliche 95 % von ihnen erklärten im Sommer bei einer Ifo-Umfrage, dass sie mit ihrem Umsatz zufrieden seien. In der Tat hat in diesem Jahr...

Ein Aston Martin mit Rücktritt

Viel ist zuletzt über die Coronakrisengewinnler geschrieben worden. Zum Beispiel über die Fahrradläden. Unglaubliche 95 % von ihnen erklärten im Sommer bei einer Ifo-Umfrage, dass sie mit ihrem Umsatz zufrieden seien. In der Tat hat in diesem Jahr das Geschäft mit Fahrrädern geboomt. 3,2 Millionen Räder sind nach Verbandsangaben im ersten Halbjahr 2020 verkauft worden. Fast 10 % mehr als zwölf Monate zuvor. Eine Wachstumsrate, bei der selbst Chinesen neidisch werden können.Na klar, Erklärungen sind schnell zur Hand. Man könnte vermuten, die Menschen versuchten angesichts von Corona, den öffentlichen Nahverkehr zu meiden. Zudem bewegten sie sich in Pandemiezeiten gerne unter freiem Himmel. Und außerdem spiele für immer mehr Deutsche eine Rolle, sich umweltschonend fortzubewegen.Kann sein. Muss aber nicht sein. Mindestens genauso plausibel sind nämlich zwei ganz andere Argumente. Erstens ist Radfahren in Zeiten von E-Bikes viel bequemer geworden. Wer bergauf schwitzt, ist selbst dran schuld. Sage und schreibe jedes dritte Rad, das dieses Jahr in Deutschland verkauft wurde, hat einen E-Motor. Und die Industrie tut alles dafür, dass der immer besser versteckt wird.Eine Entwicklung wie beim Handy. Aus den einst radiogroßen Monstern sind bekanntlich smarte Kleingeräte geworden, bei denen man aufpassen muss, dass sie einem nicht in die Bierflasche fallen. Und genauso gibt es längst E-Bikes, deren Gestell fast so schlank ist wie das eines Rennrads.Zweitens ist Radfahren in Zeiten von Vollholz-Velos und anderen Edel-Drahteseln viel schicker geworden. Wer anderen imponieren will, macht das heute nicht mehr mit 200 PS, sondern mit 28 Zoll. Dabei ist gutes Rad natürlich teuer. Was früher einmal Klapprad hieß, nennt sich heute Faltrad – und kostet gleich mal das Doppelte. Mit einem 3-Gang-Hollandrad zählt man heutzutage auf Frankfurts Radwegen schnell zur sozialen Randgruppe. Um beim Schaulauf vor der Ampel mithalten zu können, sollte es eigentlich schon ein Aston Martin mit Rücktritt sein.Den Fahrrad-Boom mitbeschleunigt haben dürfte die Möglichkeit, sich des leidigen Instandhaltens zu entledigen. Schläuche flicken war gestern. Fahrradleasing heißt das Zauberwort, mit dem man sich derlei Anstrengungen erspart. Swapfiets und andere Anbieter haben gerade hierzulande Konjunktur.Und natürlich spielt am Ende das Marketing eine große Rolle für den Verkaufserfolg. Anders als früher riecht es, wenn man heute einen Fahrradladen betritt, nicht mehr wie beim Schuster. Nein, die modernen Radläden sind Salons, in denen chromfarbene Ersatzteile ausgestellt sind wie beim Juwelier die Perlenketten. Und natürlich haben viele Läden auch hippe Namen wie Radgeber, Nobelhobel oder Velo de Ville. Allein, deren Besitzer mögen sich, was die pfiffigste Namensgebung angeht, anstrengen, wie sie wollen – an den einprägsamsten Namen eines Fahrradladens werden sie nicht herankommen. Den gab es schon vor 20 Jahren zwischen Duisburg und Bochum: Essen auf Rädern.