LEITARTIKEL

Ein Boom, den keiner braucht

Der Dow Jones Industrial hat in der vergangenen Woche an vier Tagen in Folge auf Rekordhoch geschlossen. Die Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Stand seit Dezember 2008. Zudem zieht die Kreditaufnahme von Privathaushalten und Unternehmen nach...

Ein Boom, den keiner braucht

Der Dow Jones Industrial hat in der vergangenen Woche an vier Tagen in Folge auf Rekordhoch geschlossen. Die Arbeitslosenquote ist auf dem niedrigsten Stand seit Dezember 2008. Zudem zieht die Kreditaufnahme von Privathaushalten und Unternehmen nach Jahren der Konsolidierung wieder an. Auch die über Jahre brachliegende Buy-out-Szene wittert Morgenluft. Der Flut an positiven Nachrichten stehen nur die drastischen Haushaltskürzungen entgegen, die seit Anfang des Monats greifen. General-Electric-Chef Jeff Immelt klagt deshalb schon darüber, dass die schwierigen Budgetverhandlungen in Washington verhindern, dass das US-Wachstum sein “volles Potenzial” entfalten kann.Konjunkturbremse “made in Washington”? Sicher nicht. Ein genauerer Blick auf die einzelnen Elemente der US-Wirtschaft – wie Arbeitsmarkt und Verschuldung – zeigt das schwache Fundament des jüngsten Booms. Zunächst zum Arbeitsmarkt: Die US-Wirtschaft, die zu gut 70 % am privaten Konsum hängt, steht und fällt mit der Job-Entwicklung. Eine Arbeitslosigkeit von nur noch 7,7 % entspricht zwar dem niedrigsten Stand seit Dezember 2008. Doch auf dem damaligen Beschäftigungsniveau befinden sich die USA noch lange nicht. Derzeit sind knapp 3 Millionen Amerikaner weniger in Lohn und Brot. Vollzeitstellen gibt es sogar fast 6 Millionen weniger. Der Anteil der Teilzeitjobber kletterte von 16 % auf nahezu 20 %. Mit anderen Worten: Die US-Konjunktur entwickelt sich noch immer zu schwach, um ausreichend neue Jobs zu generieren, die ein angemessenes Auskommen sichern. Die niedrige Arbeitslosenquote kommt auch daher, dass sich viele US-Bürger aus der aktiven Stellensuche längst verabschiedet haben. Rechnet man alle mit ein, die arbeiten wollen, aber nicht aktiv suchen, und auch jene, die eine Vollzeitstelle anstreben, aber nicht bekommen, dann liegt die reale Arbeitssuchendenquote bei 14,3 % statt der publizierten 7,7 %.Der gestiegene Anteil der Teilzeitjobber erklärt auch, warum die Haushaltseinkommen trotz höherer Beschäftigungsquote kaum vom Fleck kommen. Dass sowohl Konsumklima als auch die Ausgaben privater Haushalte angezogen haben, ist auf andere Faktoren zurückzuführen. So ist das Haushaltsvermögen zuletzt wieder kräftig gestiegen. Historisch niedrige Zinsen haben die Häuserpreise anziehen und das Immobilienvermögen wieder steigen lassen. Zudem haben die Aktienkurse allein in den ersten vier Jahren unter Präsident Barack Obama um knapp drei Viertel angezogen. Auch 2013 ging die Rally weiter – gestützt von Liquiditätsspritzen der US-Notenbank Fed. Der Dow Jones Industrial Average markierte vergangene Woche vier Rekordhochs in Folge. Mit 66,1 Bill. Dollar ist das Haushaltsvermögen auf dem höchsten Stand seit 2007.Zeit für einen Boom? Viele Analysten weisen darauf hin, dass die US-Unternehmen und Konsumenten ihre Hausaufgaben gemacht und ihren Verschuldungsgrad seit der Finanzkrise reduziert haben. Dieser Blick auf die Entwicklung blendet allerdings Entscheidendes aus. Als Volkswirtschaft haben die USA keineswegs den Leverage heruntergefahren. Tatsächlich war die Gesamtverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt mit weit mehr als 250 % noch nie höher – nicht einmal unmittelbar vor der Finanzkrise, wie aus Daten der Fed hervorgeht. Die Schuldensenkung von Finanzsektor und Privathaushalten wurde von der massiven Ausweitung der Staatsverschuldung mehr als kompensiert. Der langfristige Trend steigender Verschuldung ist in den Vereinigten Staaten also ungebrochen. Dass die Haushaltskürzungen nun keinen Einbruch der US-Wirtschaft nach sich ziehen, ist damit erklärbar, dass sowohl Unternehmen als auch Privathaushalte endlich wieder mehr Geld leihen.Fährt die öffentliche Hand ihre Ausgaben jetzt nicht zurück, steigt der Verschuldungsgrad weiter und die nächste Blase bildet sich eher früher als später. Allein wegen der massiven Anleihekäufe der Fed über 85 Mrd. Dollar im Monat scheint ein erneuter Crash am Kapitalmarkt in der mittelfristigen Zukunft unausweichlich. An der Wall Street wird derzeit lediglich diskutiert, in wie vielen Jahren dies der Fall sein wird – Schätzungen reichen von zwei bis fünf. Insofern ist das öffentliche Gejammer von Firmenchefs wie Immelt, der Staat nehme mit seinen Kürzungen der Wirtschaft die Chance auf einen Boom, völlig unangebracht. Ohne die Billionen an Wirtschaftshilfen aus Washington hätte schon die letzte Krise ihr “volles Potenzial” ausgeschöpft. Ein Grund mehr, nicht mit weiteren Billionen sicherzustellen, dass dies der nächsten Krise beschieden ist. Für deren Bewältigung dürften sonst nämlich die Mittel fehlen.——–Von Sebastian Schmid ——-Die US-Wirtschaft nimmt Fahrt auf. Haushaltskürzungen drohen den Motor abzuwürgen. Einen besseren Zeitpunkt für Einsparungen gibt es indes kaum.