LÄNDERREPORT: BULGARIEN

Ein Euro-Anwärter mit gutem wirtschaftlichen Potenzial

Maastricht-Kriterien erfüllt - Beitritt zum EWS II in naher Zukunft möglich - Konjunkturerholung schreitet langsam voran - Gutes Umfeld für Investitionen

Ein Euro-Anwärter mit gutem wirtschaftlichen Potenzial

Von Martin Stelzeneder *)Bulgarien erfüllt derzeit die Maastricht-Kriterien, die für den Beitritt zur Eurozone erforderlich sind, wie die Europäische Zentralbank in ihrem jüngsten Konvergenzbericht über die Euro-Mitglieder und -Aspiranten im Mai bestätigte. Nur vier EU-Mitglieder schaffen momentan die Maastricht-Kriterien, nämlich Bulgarien, Schweden, Dänemark und Finnland. 21 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) müssen derzeit ein übermäßiges Defizit verantworten. Im Juli 2010 wurde von der EU gegen Bulgarien ein Verfahren wegen übermäßigen Budgetdefizits eröffnet. Nachdem Maßnahmen ergriffen wurden, das Defizit 2011 mit 2,1 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wieder unter der Marke von 3 % lag und die Kommission von einem weiteren Sinken in den kommenden Jahren ausgeht, wurde das Verfahren Ende Juni 2012 wieder geschlossen. Das bulgarische Budgetdefizit liegt daher bereits seit dem Vorjahr klar unter der Maastricht-Grenze von 3 %, die Staatsverschuldung ist mit ungefähr 17 % weit von den erlaubten 60 % des BIP entfernt, aber auch die Inflationsrate (im Mai 1,7 % im Jahresvergleich) und die langfristigen Zinsen (im Juni 4,8 %) liegen unter den Referenzwerten, die sich jeweils an den aktuell besten EU-Mitgliedern orientieren. Zweifel an NachhaltigkeitFormal betrachtet, gehört Bulgarien zu den drei einzigen EU-Ländern, deren Indikatoren in Einklang mit den Maastricht-Kriterien gebracht wurden. Im Konvergenzbericht der EZB wird jedoch vermutet, dass die Einhaltung der Kriterien für Bulgarien nicht nachhaltig sei und die Werte in einem gewissen Sinne das Ergebnis krisenhafter Entwicklungen darstellten. Überdies wird die ungenügende Unabhängigkeit der bulgarischen Zentralbank kritisiert, die als Argument für eine Beitrittsverweigerung herangezogen werden könnte.Die Anpassungen der zurückliegenden Jahre in Bulgarien (Rückführung des Leistungsbilanzdefizits, sinkende Lohnstückkosten etc. im Rahmen einer sogenannten internen Abwertung) haben gezeigt, dass hier die Restriktionen eines festen Wechselkurses im Gegensatz zu den meisten Euro-Mitgliedern aus Südeuropa internalisiert sind. Insofern wäre Bulgarien eher ein geeignetes Euro-Mitglied. Es gibt gute Gründe dafür, dass die Regierung in Gespräche über die Aufnahme des Lev in das europäische Wechselkurssystem EWS II eintritt. Bislang sind allerdings noch keine Anzeichen erkennbar, dass sich in dieser Richtung etwas ereignet. Vielleicht kommt nach der erfolgreichen Eurobond-Emission, die in den vergangenen Wochen die Regierung beschäftigt hat, Bewegung in die EWS-II-Bewerbung. Von Seiten der Regierung wird jedoch offiziell erklärt, man sei nicht gewillt, gerade jetzt ein “brennendes Haus” (sprich die Eurozone) zu betreten. Frühestens 2015Der Beitritt zum EWS II könnte aber in den nächsten sechs bis zwölf Monaten stattfinden (frühestens, und dies nur, wenn es zu keinen weiteren Erschütterungen in der Eurozone kommt). Die Gespräche dafür könnten im Herbst aufgenommen werden, und eine Entscheidung wäre in der zweiten Dezemberhälfte möglich. Ein Beitritt zur Eurozone setzt einen (mindestens) zweijährigen Aufenthalt im EWS II voraus. Damit wäre eine Euro-Einführung frühestens im Jahr 2015 möglich.Nach einigen Rückschlägen und wirtschaftlichen Problemen konnte Bulgarien mit umsichtiger und entschlossener Wirtschaftspolitik der letzten Krise entgegenwirken. Das Wachstum hat sich zwar verlangsamt, dies reflektiert jedoch hauptsächlich die Probleme auf den Auslandsmärkten. Im Jahr 2011 konnte sich Bulgarien zwar weiter von der Rezession erholen, aber das Wirtschaftswachstum blieb gedämpft. Der Inlandskonsum schrumpfte um 0,3 % im Jahresvergleich durch steigende Arbeitslosigkeit, und die Investitionen blieben im negativen Bereich.Der Bankensektor hat seine Tätigkeit an die langsame wirtschaftliche Erholung angepasst. Aufgrund der eingeschränkten Kreditvergabe und der hohen Arbeitslosigkeit lag das Kreditwachstum 2011 bei 4 % im Vorjahresvergleich. Zugleich sind jedoch die Bankeinlagen gestiegen. Somit hat sich das Verhältnis von Krediten zu Einlagen auf rund 106 % verbessert, deutlich unter dem Niveau von 2009 und 2010 (um die 115 % bis 120 %).Das reale BIP-Wachstum dürfte 2012 ungefähr um 1,0 % im Jahresvergleich steigen, um 2013 wieder einen Wert von 2,5 % zu erreichen. Dies hängt auch stark von der Erholung der Eurozone ab und noch viel mehr von der Möglichkeit, EU-Strukturfonds zu absorbieren. Gestützt durch das leichte Anziehen der Inlandsnachfrage konnte das Wirtschaftswachstum im ersten Quartal 2012 ein Plus von 0,9 % im Jahresvergleich erreichen. Der Konsum hat 1,4 % zugelegt, und die Bruttoanlageinvestitionen haben – zum ersten Mal seit Ende 2008 – um 1,3 % expandiert.Bei all dem hat die Haushaltspolitik ihren konservativen und vernünftigen Kurs beibehalten, sodass per Ende Mai ein Budgetüberschuss verbucht werden konnte. Einige Sektoren (z. B. die Landwirtschaft) werden sich in den kommenden Quartalen wahrscheinlich geringfügig schlechter entwickeln als prognostiziert, was die positiven Ergebnisse im ersten Quartal großteils wieder zunichtemachen dürfte. Auf der Nachfrageseite dürften der Konsum und die Investitionen in diesem Jahr die Erholung antreiben, zumal das Exportwachstum durch die Unsicherheit in der Eurozone und die bescheidene Auslandsnachfrage extrem beschränkt sein wird. Noch unter VorkrisenniveauAllerdings liegen die erwarteten Steigerungsraten deutlich unter den benötigten Dimensionen, d. h. die bulgarische Wirtschaft wird 2012 noch immer nicht das Vorkrisenniveau erreicht haben. Mit einer vollständigen Erholung ist allenfalls 2013 zu rechnen. Investitionen werden jedenfalls durch die Körperschaftsteuer und die Einkommensteuer von jeweils 10 %, die niedrigen Lohnstückkosten und das (fast zur Gänze) fehlenden Währungsrisiko begünstigt.Die nur langsame Erholung der Inlandsnachfrage wird dazu beitragen, dass das Wirtschaftswachstum vorerst unter Potenzial bleiben wird, was wiederum den Druck von der Inflation nimmt. Die Inflationsraten zum Ende des Jahres 2012 bzw. im Jahresdurchschnitt werden demgemäß mit 3,1 % bzw. 2,7 % prognostiziert. Es wird zu einer Phillips-Relation zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit kommen; die Arbeitslosigkeit wird für das Gesamtjahr bei durchschnittlich 11,9 % liegen (auch wenn eine saisonal bedingte Zunahme der Personaleinstellungen eingesetzt hat, die über den Sommer hinweg eine vorübergehende Senkung der Quote bringen wird).Nach einer beeindruckenden Defizitreduktion seit Jahresbeginn haben die guten Einnahmen bereits zu einer Lockerung der Ausgabenpolitik geführt, etwa in Form von Rentenerhöhungen. Die solide fiskalische Position Bulgariens lässt sich auch mit der geringen Staatsaktivität begründen. Staatseinnahmen und -ausgaben liegen bei 33 % bis 35 % der Wirtschaftsleistung; in Westeuropa liegen diese Relationen bei 40 % bis 50 %. Alles in allem ist die fiskalische Position der Regierung im Wirtschaftszyklus 2012 jedoch als weitgehend neutral einzuschätzen; höchstwahrscheinlich wird ein Defizit vergleichbar dem von 2011 gemeldet werden. Um den am 15. Januar 2013 fällig werdenden Eurobond über 818 Mill. refinanzieren zu können, hat die bulgarische Regierung Anfang Juli fünfjährige Eurobonds mit einem Kupon von 4,25 % und Fälligkeit am 9. Juli 2017 über 950 Mill. Euro begeben (mit einem Renditeaufschlag von 387,6 Basispunkten zu deutschen Staatsanleihen). Erst Ende Mai hat die Ratingagentur Moody’s die Bonitätsstufe von “Baa2” für langfristige Fremdwährungsverbindlichkeiten Bulgariens bestätigt.Bulgarien hat einen der niedrigsten öffentlichen Verschuldungsstände in der EU, gilt jedoch auch als eines der ärmsten Mitgliedsländer. Ausgedrückt in Kaufkraftstandards erreichte das BIP pro Kopf in Bulgarien 2011 nur 45 % des EU-Durchschnitts. Das Wohlstandsniveau könnte auch ein Thema bei der Parlamentswahl 2013 werden. 2009 konnte die 2006 gegründete Mitte-Rechts-Partei GERB (“Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens”) unter der Führung von Bojko Borissow mit knapp 39,71 % der abgegebenen Stimmen die Wahl für sich entscheiden. In der Zwischenzeit müsste sich die Regierungspartei jedoch mit weniger Mandaten zufriedengeben. Laut letzten Meinungsumfragen dürfte GERB derzeit 30 % der Stimmen erhalten. Die sozialistische Oppositionspartei könnte demzufolge jedoch auch nur 18 % erlangen.Ein neuerliches Aufflammen der Verschuldungsproblematik bei den südeuropäischen Ländern könnte für Bulgarien aufgrund der geografischen Nähe – im Hinblick auf Griechenland – und des möglichen Status der bulgarischen Banken als “sicherer Hafen” kurzfristig positive Kollateralwirkungen haben. Zwar wäre ein Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der Rückkehr bulgarischer Arbeitskräfte aus Griechenland unumgänglich, aber die Wahrscheinlichkeit wäre gegeben, dass wegen der niedrigen Gründungs- und Baukosten Unternehmen nach Bulgarien (z. B. Nahrungsmittelverarbeitung, Textilien) übersiedelt werden. Schuldenkrise bremstNach einem fulminanten Start musste der bulgarische Leitindex Sofix seine anfänglich erzielten Gewinne im Zuge der global schlechten Stimmung wieder abgeben und schloss 2011 mit einem Verlust von 11 % ab. Auch in Zukunft wird die Entwicklung der Börse in Sofia maßgeblich von zwei internationalen Faktoren beeinflusst werden: Zum einen ist dies der weitere Verlauf der europäischen Schuldenkrise sowie die Abwehr von Ansteckungseffekten auf größere Euro-Staaten und zum anderen die globale konjunkturelle Entwicklung dies- und jenseits des Atlantiks.Fundamental ist der bulgarische Aktienmarkt im internationalen Vergleich durchaus attraktiv bewertet. So beträgt das Kurs-Gewinn-Verhältnis der im Sofix vertretenen Titel auf aggregierter Basis 5,4. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis liegt bei aggregiert 0,53. Unter der Annahme einer wieder an Fahrt gewinnenden Konjunktur (BIP 2012 mit plus 1,0 % und 2013 mit plus 2,5 % erwartet) sollten die lokalen Faktoren als Basis für eine signifikante Erholung in diesem Jahr gegeben sein.—-*) Martin Stelzeneder (Raiffeisen Bank International Wien), Senior Research Analyst bei Raiffeisen Research.