Ein Gentleman für die Tories
Von Andreas Hippin, LondonRory Stewart (46) hat sich im Rennen um die Nachfolge von Theresa May an der Spitze der Konservativen zum Lieblingskandidaten derjenigen entwickelt, die auf einen Neuanfang hoffen. Besonders beliebt ist der ehemalige Tutor der Prinzen William und Harry jedoch bei den Anhängern anderer Parteien.Wählen dürfen den neuen Parteichef und künftigen Premierminister aber nur die 120 000 Mitglieder der Tories. Entsprechend weit abgeschlagen findet sich der Sohn eines MI6-Geheimdienstoffiziers, der in Hongkong das Licht der Welt erblickte, auf den Rennlisten der Buchmacher, die dem ehemaligen Außenminister Boris Johnson und dem früheren Brexit-Staatssekretär Dominic Raab die größten Chancen einräumen.Allerdings werden Stewart von Konservativen schon seit einiger Zeit Führungsqualitäten nachgesagt. Er verfüge über ausreichend Eitelkeit und Ego, um sich für den Job zu bewerben. Stewart selbst beschreibt seine politische Orientierung als “radikale Mitte” und verfolgt weder ein erneutes EU-Referendum noch einen “No Deal”-Brexit. 2016 votierte er für den Verbleib in der Staatengemeinschaft. Nun müsse ein Kompromiss gefunden werden.Dazu könnten Bürgerversammlungen wie zuletzt in Frankreich stattfinden, mit dem Erzbischof von Canterbury als Vermittler, sagte Stewart dem “Evening Standard”. Er sei bereit, mit jedem zu reden, wenn nötig auch mit Nigel Farage. Durch seine Auslandsaufenthalte habe er gelernt, dass es bei Verhandlungen nicht auf rote Linien oder Härte ankomme, sondern darauf, einfallsreich und geschickt zu sein – sowie darauf, immer wieder die Hand auszustrecken. Entwaffnend höflichDer “Independent” bezeichnete ihn als “Gegengift zur krassen Arroganz von Boris Johnson und echtes Plus für das Land”. Stewart gilt als entwaffnend höflich. Seitdem er 2010 für den Wahlbezirk Penrith and The Border ins Unterhaus gewählt wurde, hat er sich als Abgeordneter, Ausschussvorsitzender und Staatssekretär bewährt. Bei der Wahl 2015 verdoppelte er seine Mehrheit nahezu. “Sein Lebenslauf liest sich wie der eines Gentleman des 19. Jahrhunderts, der dafür ausersehen war, einen Posten als Kolonialstatthalter zu übernehmen”, hieß es im konservativen “Telegraph”.Ebenso wie Johnson besuchte Stewart zunächst das Eliteinternat Eton, um dann am Balliol College in Oxford zu studieren. Als Teenager hatte er – wie viele junge Männer aus gutem Hause – eine Vorliebe für Labour, aber das legte sich schnell. Start im AußenministeriumStewart fing im Außenministerium an. Ab 1999 diente er als britischer Repräsentant in Montenegro. Er reiste zu Fuß durch die Türkei nach Bangladesch, wurde währenddessen ins Gefängnis geworfen, von Taliban verprügelt und von maoistischen Rebellen bedroht.2003 war er “Deputy Governorate Coordinator” der Übergangsverwaltung der Koalition im Irak in Maysan und Dhi Qar. In Nasiriyah wurde sein Amtssitz zeitweise von Anhängern des Milizenführers Muqtada Al-Sadr belagert. Nachdem Stewart den Krieg im Irak zunächst befürwortet hatte, änderte er mit Blick auf das Ergebnis seine Meinung und verließ das Außenministerium. Von 2005 bis 2008 leitete er die von Prinz Charles angestoßene Turquoise Mountain Foundation in Afghanistan.