LEITARTIKEL

Ein Hauch von Griechenland

Beim ehemaligen griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis dürfte die Berichterstattung über die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU das eine oder andere Déjà-vu auslösen. Die britischen Konservativen sind ähnlich zerstritten wie...

Ein Hauch von Griechenland

Beim ehemaligen griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis dürfte die Berichterstattung über die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU das eine oder andere Déjà-vu auslösen. Die britischen Konservativen sind ähnlich zerstritten wie einst die griechische Regierungspartei Syriza, in der sich linksradikale Grexit-Befürworter und überzeugte Europäer beharkten. Die Herangehensweise der Europäischen Kommission an die Verhandlungen mit London unterscheidet sich nicht groß von der Behandlung Athens. Man versucht, die Spaltung noch zu vertiefen.In Brüssel wähnt man sich bereits auf der Zielgeraden. Und sollte wider Erwarten doch etwas schiefgehen, glaubt man, dass ein ungeordneter Brexit ebenso beherrschbar wäre wie damals ein Austritt Griechenlands. Der angebliche Durchbruch bei den Verhandlungen im Dezember bestand darin, dass die angeschlagene britische Premierministerin Theresa May nahezu alle Forderungen erfüllt hat – von der Austrittsgebühr bis hin zum Fortbestand der Sonderrechte von in Großbritannien lebenden EU-Bürgern nach dem Austrittstermin. Erhalten hat sie dafür lediglich die vage Zusage, dass es eine Übergangsperiode geben soll, um noch länger über das künftige Verhältnis verhandeln zu können. Tatsächlich handelt es sich bei dieser Frist um ein Asset, dessen Wert rapide verfällt, wie Schatzkanzler Philip Hammond bereits feststellte. Je länger es dauert, sich auf etwas zu einigen, desto weniger ist es wert.Die am laufenden Band durchgestochenen EU-Strategiepapiere deuten darauf hin, dass sowohl das Modell Norwegen als auch das Modell “Kanada plus” vom Tisch sind, von einer maßgeschneiderten Übereinkunft, die auch den Handel mit Dienstleistungen beinhaltet, ganz zu schweigen. Stattdessen will Resteuropa einen asymmetrischen Deal, der seinen enormen Überschuss im Warenhandel mit dem Vereinigten Königreich festschreiben würde, ohne dass dafür Konzessionen gemacht werden müssten.Man kann das angesichts des bisherigen Erfolgs für eine gelungene Verhandlungsstrategie halten und darauf wetten, dass der britische Außenminister Boris Johnson sein Amt niederlegen muss, wie von den Freunden Brüssels im britischen Parlament verlangt. Varoufakis erging es nicht anders. Als böser Bube der griechischen Finanzkrise wurde er lächerlich gemacht, mit wüsten Anschuldigungen überzogen und schließlich vom immer noch regierenden Ministerpräsidenten Alexis Tsipras aus dem Amt gedrängt. Wäre der Anführer der Brexiteers erst einmal aus dem Weg geräumt, am besten samt Gefolge, müsste man die Verhandlungen über die Form der Übergangsperiode nur noch so lange hinauszögern, bis es zu spät für die britische Regierung ist, das Land auf den Handel auf Basis der Regeln der Welthandelsorganisation WTO vorzubereiten. Großbritannien wäre zwar auch dann noch nicht in einer so schwachen Position wie einst Griechenland, allerdings müssten sich die Briten mangels gangbarer Alternativen noch viele Jahre den Vorgaben der Kommission unterwerfen. Währenddessen hätten die Finanzzentren auf dem Kontinent ausreichend Zeit, ihre Kapazitäten auszubauen. Die City of London würde eine weit weniger dominante Rolle in Europa spielen. Die Verhandlungsposition Londons wäre noch weiter geschwächt. All das kann aber nur eintreten, wenn es die britische Regierung zulässt.Varoufakis hatte den Briten von Anfang an empfohlen, sich nicht auf den Verhandlungsstil Brüssels einzulassen. Der für den Brexit zuständige Staatssekretär David Davis liest angeblich sein Buch über seine Athener Erfahrungen mit der Kommission, der Troika und diversen europäischen Politikern. Es spricht nicht mehr viel für eine Übereinkunft im Sinne Brüssels, egal wie viel Geld George Soros noch dafür aufwendet, Briten gegen den Brexit zu mobilisieren. Der Ärger der Befürworter eines klaren Schnitts über die bisherige Verhandlungsstrategie der Regierung nimmt immer mehr zu. Sie haben zwar im Parlament keine Mehrheit, dafür aber großen Zuspruch aus der Bevölkerung. Selbst in der Finanzbranche wächst die Ablehnung der Brüsseler Forderungen.Der Ausgang des Machtkampfs in der konservativen Partei ist nicht vorhersehbar. Gut möglich, dass Hammond und seine Verbündeten ihn verlieren. Auf dem Kontinent ist man darauf in keinster Weise vorbereitet. Dann wird sich zeigen, wie beherrschbar der Brexit ist. May wird, anders als ihr anpassungsfreudiger griechischer Amtskollege, dann wohl nicht mehr im Amt sein.——–Von Andreas HippinDie Position Großbritanniens ist nicht so schwach wie die Griechenlands. Trotzdem gibt es interessante Parallelen zwischen Brexit und Grexit.——-