Ein neuer Deal kurz vor dem EU-Gipfel
Die Brexit-Unterhändler von EU und Großbritannien haben sich doch noch auf ein neues Austrittsabkommen geeinigt. Der Backstop wird gestrichen; dafür bleibt Nordirland eng an den EU-Binnenmarkt angebunden. Vereinbart wurde für die Zukunft ein Freihandelsabkommen, das ohne Zölle und Quoten auskommt.ahe Brüssel – Zwei Wochen vor dem geplanten Austritt aus der EU gibt es doch noch ein neues Brexit-Abkommen. Die Unterhändler beider Seiten verständigten sich darauf, die Passagen im bisherigen Vertrag zum Status von Nordirland zu ändern und auch die Erklärung über die künftigen Beziehungen noch einmal neu zu formulieren. Danach wird Nordirland die Zollregeln der EU weiterhin anwenden und sich auch künftig in vielen Bereichen an die Regeln des Binnenmarkts halten, um eine harte Grenze zu Irland zu vermeiden. Die Zollgrenze wird danach in die britische See verlegt.Der britische Premier Boris Johnson sprach von einem “hervorragenden Deal”, der bedeute, dass Großbritannien nun einen “echten Brexit” vollziehen könne. “Das bedeutet, dass das Vereinigte Königreich die EU am 31. Oktober vollständig und ganz verlässt”, betonte er in Brüssel. Auch in der EU-27 zeigte man sich sehr zufrieden mit der Vereinbarung, die gestern nur wenige Stunden vor Beginn des EU-Gipfels festgezurrt wurde. Verhandlungsführer Michel Barnier betonte, es sei gelungen, Lösungen zu finden, die die Integrität des Binnenmarkts uneingeschränkt wahrten. “Wir haben eine neue und rechtswirksame Lösung geschaffen, um eine harte Grenze zu vermeiden und Frieden und Stabilität auf der Insel Irland zu schützen.” EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einer “fairen und ausgewogenen Vereinbarung für die EU und Großbritannien”.Auf dem EU-Gipfel wurde die Vereinbarung innerhalb von nur Stunden gebilligt. Ob das EU-Parlament und vor allem das britische Unterhaus (siehe Bericht auf dieser Seite) allerdings noch rechtzeitig bis Monatsende grünes Licht geben werden, war gestern noch nicht klar. Nach Angaben von Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde über eine mögliche weitere Verlängerung der Brexit-Frist auf dem Gipfel nicht gesprochen. Nordirland entscheidet mitNordirland wird den Vereinbarungen zufolge weiterhin zum Zollgebiet des Vereinigten Königreichs gehören und soll damit auch in künftige Freihandelsabkommen mit einbezogen werden können, die Großbritannien nach dem Brexit abschließen will. Die Anbindung an die Binnenmarktregeln sollen in regelmäßigen Abständen von der Nordirischen Versammlung gebilligt werden können. Die EU und das Vereinigte Königreich verständigten sich auf einen neuen Mechanismus, demzufolge die Abgeordneten mit einfacher Mehrheit entscheiden dürfen. Eine erste Abstimmung ist vier Jahre nach dem Ende der Übergangsfrist geplant und damit voraussichtlich 2024, sollte die Übergangsfrist nicht – wie möglich – um zwei weitere Jahre verlängert werden. Sollte die Nordirische Versammlung die weitere Anbindung an die EU ablehnen, würde diese nach zwei Jahren auslaufen. Dieser Zustimmungsmechanismus betrifft die wesentlichen Fragen der Angleichung der Rechtsvorschriften für Waren und Zölle, den Elektrizitätsbinnenmarkt, die Mehrwertsteuer und staatliche Beihilfen.Die britischen Behörden sollen Zölle für Waren erheben, die nach Nordirland kommen, wenn diese “Gefahr laufen, in den EU-Binnenmarkt zu gelangen”. Für andere Waren aus dem innerbritischen Warenverkehr werden weiterhin keine Zölle fällig. Wann eine solche “Gefahr” besteht, soll noch ein Gemischter Ausschuss bis zum Ende der Übergangszeit festlegen und Kriterien für eine Risikobewertung erarbeiten.Bis zum Schluss war das Thema Mehrwertsteuer ein Streitpunkt. Nordirland bleibt jetzt Teil des britischen Mehrwertsteuer-Raums. Das bedeutet, dass Großbritannien die Einnahmen aus dieser Steuer behalten darf. Um eine harte Grenze auf der irischen Insel zu vermeiden und gleichzeitig die Integrität des Binnenmarkts zu schützen, werden allerdings die Mehrwertsteuervorschriften der EU für Waren in Nordirland auch weiterhin gelten. Zudem können in Irland geltende Mehrwertsteuerbefreiungen und ermäßigte Steuersätze auch in Nordirland angewandt werden, um eine Wettbewerbsverzerrung zu verhindern. Level Playing Field vereinbartAnders als in der bisherigen politischen Erklärung über die künftigen Beziehungen entschied sich die Johnson-Regierung nun klar für ein Freihandelsabkommen. Dies gilt jetzt als gemeinsames Ziel. Das Handelsabkommen solle dabei ohne Zölle und Quoten zwischen der EU und Großbritannien auskommen, hieß es. Zugleich wurde betont, dass es ein Level Playing Field geben solle und damit Garantien für einen offenen und fairen Wettbewerb. Vor allem sollten die gemeinsamen hohen Standards in den Bereichen staatliche Beihilfen, Wettbewerb, Sozial- und Beschäftigungsstandards, Umwelt, Klimawandel und einschlägige Steuerfragen aufrechterhalten werden, hieß es. Vor allem im EU-Parlament war in letzter Zeit wiederholt die Sorge vor einem Steuer- und Sozialdumping Londons nach dem Brexit aufgekommen.