Ein neuer Eiserner Vorhang in Europa?

Von Andreas Heitker, Brüssel Börsen-Zeitung, 11.3.2017 Eigentlich sollte das Weißbuch zur Zukunft der Union, das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgelegt hat, auf dem Gipfel der Staats-und Regierungschefs noch gar kein Thema sein. Und...

Ein neuer Eiserner Vorhang in Europa?

Von Andreas Heitker, BrüsselEigentlich sollte das Weißbuch zur Zukunft der Union, das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vorgelegt hat, auf dem Gipfel der Staats-und Regierungschefs noch gar kein Thema sein. Und doch wurde in Brüssel heftig diskutiert – und zwar über das “Szenario 3”, das Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten (“Wer mehr will, tut mehr”). Offensichtlich wächst nämlich in einigen europäischen Hauptstädten die Furcht vor der Zwei-Klassen-EU und davor, durch eine systematische Änderung der Politik mehr und mehr abgehängt zu werden.Einige Regierungschefs sähen dieses Zukunftsszenario als Errichtung einer neuen Trennlinie, gar als “eine Art neuen Eisernen Vorhang”, wie Juncker aus den Gesprächen am zweiten Gipfeltag berichtete. Der Luxemburger sieht sich missverstanden: Ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, der unterschiedlichen Integrationstiefen gebe es doch schon längst, argumentiert er. Schengen. Der Euro. Die Finanztransaktionssteuer. Das EU-Patent. Das Scheidungsrecht. Die europäische Staatsanwaltschaft. Alles Projekte, die nicht alle Mitgliedstaaten der Union mittragen.Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchte, die Wogen zu glätten, und verwies darauf, dass die Unterschiedlichkeit innerhalb der Einheit Europas ja in den EU-Verträgen angelegt worden sei. Dies sei schon heute “gelebte Realität”, betont die CDU-Vorsitzende und bekennende Befürworterin von Mehrgeschwindigkeits-Lösungen. Ihr Motto, das auch das Leitmotiv für die anstehende Rom-Erklärung zum 60. EU-Geburtstag werden könnte: “Geeint, aber in Vielfalt geeint”.In Berlin rechnet man damit, dass es in der EU ohnehin nicht zu einer Festlegung auf eines der fünf Weißbuch-Szenarien kommen wird, sondern diese projektabhängig entschieden werden – dass also in einem Fall ein “Weiter so wie bisher” und in einem anderen ein “Viel mehr gemeinsames Handeln” gewählt wird.Nach bisherigem Stand wird die Rom-Erklärung, die einen Ausblick auf die EU in zehn Jahren geben soll, solche Grundsatzentscheidungen gar nicht enthalten. Die Deklaration soll vielmehr kurz in allgemeinen Formulierungen gehalten werden. Schließlich sollen sich nach dem Brexit alle verbleibenden 27 Mitgliedstaaten wiederfinden – was um so schwieriger wird, je konkreter die Sätze ausfallen. Projekte wie den Ausbau der Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur, mit denen sich alle 27 Staaten identifizieren können, gibt es aktuell nicht zu viele. Und wie schnell ein Mitglied aus der viel beschworenen EU-Einheit ausscheren kann, hat Polen auf dem Gipfel eindrucksvoll bewiesen. ——–Einige Staaten sorgen sich, in einem Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten abgehängt zu werden.——-