GASTBEITRAG

Ein neues Geldsystem für Europa

Börsen-Zeitung, 14.8.2015 In Island zeichnet sich eine Revolution ab. Im Auftrag des Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson hat eine Kommission einen Reformvorschlag für das isländische Geld- und Bankwesen gemacht. Grundidee: den Banken...

Ein neues Geldsystem für Europa

In Island zeichnet sich eine Revolution ab. Im Auftrag des Ministerpräsidenten Sigmundur Davíð Gunnlaugsson hat eine Kommission einen Reformvorschlag für das isländische Geld- und Bankwesen gemacht. Grundidee: den Banken das Recht zur Geldschöpfung zu nehmen und dieses nur noch der Notenbank zu überlassen. Ein solches Geldsystem nennt man englisch “Sovereign Money”, auf Deutsch etwas blumiger “Vollgeld”. Die Regierung Islands ist mit den Gedanken nicht allein. In der Schweiz wird eine Volksabstimmung zu diesem Thema vorbereitet, deren Unterstützer aus allen politischen Richtungen kommen.Dazu muss man wissen, dass im heutigen Geldsystem Banken fast unbegrenzt Geld schaffen können. Wenn ein Kunde einen Kredit von seiner Bank bekommt, so leiht ihm die Bank nicht die vorhandenen Guthaben von Sparern aus, sondern schreibt ihm Geld auf dem Konto gut. Damit steigt gleichzeitig die Geldmenge in der Volkswirtschaft. Nur ein Bruchteil des Geldes, welches im Umlauf ist, stammt von der Notenbank, also von der EZB oder der Federal Reserve in den USA. Banksystem sakrosankt?Seit der Aufhebung der letzten Bindung unseres Geldes an Gold in den 1970er Jahren hat sich die Kredit- und damit Geldschöpfung immer mehr von der realwirtschaftlichen Entwicklung entfernt. Der isländische Bericht zählt in diesem Zeitraum 147 teils folgenschwere Bankenkrisen in 114 Ländern weltweit. Das Kreditwachstum lag und liegt um ein vielfaches höher als das Wachstum der Wirtschaft, wie zuletzt auch eine Studie von McKinsey gezeigt hat.Alle Maßnahmen seit 2008 dienten dazu, die Banken bei Beibehaltung des heutigen Systems weniger anfällig für Krisen zu machen. Dabei stößt die Regulierung an ihre Grenzen. Als in Folge der Großen Depression in den 1930er Jahren in den USA die Bankenregulierung verschärft wurde – der sogenannte Glass-Steagal Act – genügten 37 Seiten. Die heutige Regulierung, der Dodd-Frank Act, benötigt hingegen 848 Seiten für den Versuch, die Bankrisiken zu begrenzen. Inklusive Ausführungsbestimmungen wird er auf 30 000 Seiten geschätzt. Ein bildhaftes Indiz dafür, dass wir mit der Regulierung nicht in der Lage sind, die vielfältigen Ausweichreaktionen der Banken zu verhindern.Konsequent zu Ende gedacht setzt eine wirkungsvolle Regulierung voraus, dass Banken bei Fehlmanagement pleitegehen können. Solange dies nicht der Fall ist, profitieren sie von der impliziten Garantie des Staates, im Zweifel doch wieder einzuspringen. Die bisherigen Bemühungen, einen geordneten Abwicklungsprozess für Banken in Europa einzuführen, gehen zwar in die richtige Richtung. Sie bleiben jedoch angesichts von bis zu drei Billionen Euro an faulen Schulden in Europa immer nur ein Feigenblatt.Hier bietet die Idee des Vollgeldes eine Alternative. Bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts schlugen die Professoren Henry Simons und Irving Fisher vor, den Geschäftsbanken zu verbieten, Geld zu schaffen. Banken dürften nur noch jenes Geld verleihen, welches sie wirklich als Einlagen in den Büchern haben. Diese Einlagen würden zu 100 % aus Zentralbankgeld bestehen. Beide Professoren sahen darin einen Weg, das Kreditwachstum einer Volkswirtschaft zu stabilisieren und Zyklen aus Boom und Krise zu verhindern.Zudem ließen sich im Zuge des Systemwechsels die Schuldenprobleme lösen: Da die Banken nicht genügend Einlagen an Zentralbankgeld haben, um ihre derzeitigen Ausleihungen zu hinterlegen, müssten sie sich das Zentralbankgeld beim Staat leihen. Da die Banken im erheblichen Umfang Staatsanleihen halten, könnte man in einem zweiten Schritt eine Bilanzverkürzung vornehmen: Die Forderungen und Verbindlichkeiten werden einfach verrechnet. Die Staatsschulden wären getilgt. Nutzen überwiegtIm Jahr 2012 haben zwei Forscher im Auftrag des IWF die Idee aufgriffen und für die heutige Zeit durchgerechnet. Mit den modernen Instrumenten der Ökonometrie kamen sie zu folgendem Ergebnis:n Die Umstellung auf ein Vollgeldsystem würde funktionieren und der Nutzen sogar über dem von Fisher und Kollegen erwarteten Werten liegen.n Im Fall der USA würde es sogar eine teilweise Tilgung der privaten Schulden ermöglichen, da der Finanzsektor in Summe Verbindlichkeiten von rund 200 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) hat. Gleiches gilt erst recht für Europa, wo der Bankensektor noch viel aufgeblähter ist.n Die Forscher erwarten mittelfristig gar eine Stärkung der Wirtschaftsleistung der USA um 10 % (geringere Realzinsen, weniger Besteuerung, geringere Kosten der Kreditüberwachung, weil weniger zweifelhafte Kredite vergeben werden) und keinerlei Beeinträchtigung der Kernfunktion des Bankensektors: der effizienten Verteilung von Krediten.Letztlich handelt es sich um eine “Monetarisierung” der bestehenden Schulden. Das muss keineswegs inflationär wirken, da Inflation sich nur aus einer Mehrnachfrage und damit letztlich Kreditwachstum ergibt. Die Kredite wurden in der Vergangenheit bereits vergeben, die Inflation haben wir also schon hinter uns. Die derzeitige Strategie der Notenbanken, über den Aufkauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren die Wirtschaft zu beleben, im Fachjargon “Quantitative Easing” genannt, läuft zudem ebenfalls auf eine Monetarisierung hinaus. Vertrauensbildung nötigDie offene Frage bleibt, ob ein solches System das Vertrauen der Bevölkerung genießen würde. Voraussetzung ist, dass der Staat mit der nun gegebenen Möglichkeit der monopolisierten Geldschaffung vorsichtig umgeht. Zu groß ist die Gefahr, dass die Politik der Versuchung nicht widerstehen wird, durch großzügiges Geldmengenwachstum Scheinblüten zu erzeugen und damit die Krisen noch zu vergrößern.Da andererseits die Einführung von “Vollgeld” den vielleicht schmerzfreiesten Ausweg aus der kritischen Überschuldung darstellt, würde sich eine Debatte darüber jedenfalls lohnen. Hier sind uns die demokratischen Kulturen kleiner Länder wie der Schweiz und Islands voraus. Vertrauensbildend wirkt die öffentliche Diskussion solch fundamentaler Fragen der Wirtschaftsordnung allemal.—-Daniel Stelter, Publizist und Gründer des Diskussionsforums “Beyond the obvious”, ehemaliger Partner der Boston Consulting Group