LÄNDERREPORT: LETTLAND

Ein Vorbild für krisengeschüttelte Staaten in Europa

Baltisches Land auf dem aufsteigenden Ast - Ehrgeiziges Reformprogramm schafft Spielraum für Steuersenkungen - Bankensektor aber noch wackelig

Ein Vorbild für krisengeschüttelte Staaten in Europa

Von Michele Napolitano *)Lettland, ein relativ kleines Land, erzeugt Interesse weit über seine wirtschaftliche Bedeutung hinaus. Die starke Erholung von einer spektakulären Pleite in den Jahren 2008/2009 bietet interessante politische Lehren für Euro-Länder. Beim Beitritt zur Europäischen Union (EU) war Lettland einer der Stars bei der Wirtschaftsleistung. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs von 2004 bis 2007 im Jahresschnitt um 10 % – verglichen mit einem Wachstum von 2,2 % zeitgleich in Deutschland. Die lettische Wirtschaft zog jedoch beträchtliche Kapitalzuflüsse an. Zusammen mit einem schnellen Wachstum der Bankkredite führte dies zu einer Explosion im Baugewerbe und bei Investitionen. Die Folge war eine Überhitzung der Wirtschaft sowie eine Ausweitung makroökonomischer Ungleichgewichte. Dies mündete in den Zusammenbruch der Parex Banka, der größten inländischen Bank. So wurde Lettland die erste EU-Volkswirtschaft, die den direkten Zugang zu den Finanzmärkten verlor. Im Dezember 2008 erhielt das Land einen Rettungsschirm von EU und Internationalem Währungsfond (IWF). Stabile RatingaussichtFitch setzte zwischen August 2007 und April 2009 Lettlands langfristiges Fremdwährungsrating um vier Abstufungen von “A -” auf “BB +” herab. Am 15. März 2011 stufte Fitch Lettlands langfristiges Fremdwährungsrating schließlich auf “BBB -” hoch und änderte den Ausblick von “stabil” auf “positiv”. Die Hochstufung spiegelte die Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung wider und reduzierte Risiken für die Schuldentragfähigkeit, zudem gab es eine Absenkung der finanziellen Risiken für die Wirtschaft und beim Außenhandel. Im Dezember 2011 änderte Fitch den Ausblick für das Länderrating auf “stabil” und gab so die Abschwächung des externen Wachstums wider.Lettlands Rating von “BBB -” liegt auf einer Stufe mit Bulgarien, Rumänien, Kroatien und Island – und eine Stufe unter Litauen. Lettlands Rating wird untermauert durch ein hohes Pro-Kopf-Einkommen, einen starken institutionellen Rahmen, ein stabiles politisches Umfeld und die EU-Mitgliedschaft. Sie hat zum Zugang zu EU-Mitteln über 4,1 Mrd. Euro geführt.Nach drei Jahren des realen BIP-Rückgangs wuchs die lettische Wirtschaft um 5,5 % gegenüber 2011 durch starkes Exportwachstum und eine Investitionserholung. Fitch hat ihre Wachstumsprognose 2012 gegenüber 2011 von 2,5 auf 3,5 % angehoben. Dies geschah aufgrund der stärkeren Binnennachfrage und sinkender Arbeitslosigkeit. 2012 war Lettland die am schnellsten wachsende EU-Wirtschaft. Das BIP-Wachstum betrug 5,9 % im ersten Halbjahr 2012, getrieben von Zuwächsen bei Investitionen in die Infrastruktur sowie bei der Metallprodukt-Herstellung für den Export. Noch etwas exportlastigDie jüngste Erholung des Wirtschaftswachstums ist nicht getrieben von Zuflüssen von Fremdkapital im Bereich nichthandelbarer Güter. Die Wachstumsbeschaffenheit hat sich zum mehr selbsterhaltenden Weg verschoben; Bereiche, die anfällig sind für eine Blase wie Baugewerbe und Konsum, sind noch rückläufig. Die Exportwirtschaft und Investitionen im Bereich handelbarer Güter treiben die Erholung an.Allerdings bleibt die Wirtschaft anfällig für schwächere Auslandsnachfrage. Fitch prognostiziert ein Leistungsbilanzdefizit von 2,5 % des BIP 2012 (nach 1,3 % 2011). Damals beliefen sich lettische Warenexporte auf 6 Mrd. Lat, während sich die Warenimporte auf 7,7 Mrd. Lat addierten.Lettland ist relativ geschützt vor der peripheren Schuldenkrise der Eurozone, da seine Haupthandelspartner Litauen und Estland sind. Zusammen mit Russland machen sie ca. 50 % aller Exporte aus. Doch mit 72 % aller Exporte, die in die EU gehen, ist es unwahrscheinlich, dass sich Lettland komplett der Entwicklung entziehen kann. Ein Exportrückgang kann zur Verminderung der Unternehmensinvestitionen führen. Die Aufnahme von Mitteln aus EU-Fonds könnte helfen, den Investitionsrückgang auszugleichen.Lettland ist eine kleine, offene Volkswirtschaft mit einem BIP von ca. 20 Mrd. Euro 2011. Der ausländische Investor ist dem inländischen gleichgestellt. Im Schnitt deckt der Strom ausländischer Direktinvestitionen ein Drittel des Leistungsbilanzdefizits ab. Durch die EU-Mitgliedschaft gelten der Gemeinsame Außenzolltarif und die Regeln der Freihandelsabkommen CEFTA, EFTA und der WTO. Seit 2004 werden in Lettland mit 15 % Körperschaftsteuer die niedrigsten Steuern in der EU erhoben. Damit dürfte der Zustrom ausländischen Kapitals in Zukunft anhalten. Neben ausländischen Direktinvestitionen vornehmlich aus Schweden, Estland und Deutschland kommen Zuflüsse aus EU-Fördertöpfen, die sich von 2007 bis 2013 auf 4,6 Mrd. Euro belaufen.Anlagemöglichkeiten bestehen am Aktienmarkt in Riga. Um handeln zu können, muss man nicht dort sein, da auch der Computerhandel eine starke Rolle spielt. Zudem hat sich ein florierender Rentenmarkt etabliert. Seit dem EU-Beitritt Lettlands liegt die erwartete Rendite im Schnitt 2 Prozentpunkte über der vergleichbaren deutschen Bundesanleihe. Während für Renten- und Aktienhandel sowie Direktinvestitionen ein zuverlässiger Rechtsrahmen besteht, gilt für Geschäftsgründungen, dass teils noch unzureichender gewerblicher Rechtsschutz herrscht.Deutschland ist für Lettland zweitgrößter Warenanbieter, wodurch sich viele Chancen für hiesige Exporteure bieten. Die Schlussstände ausländischer Direktinvestitionen in Lettland betrugen 2011 rund 9,4 Mrd. Euro . Davon wurden Deutschland aber nur 5 % zugeschrieben. Für Portfolioinvestoren haben die baltischen Finanzmärkte bis Mitte 2012 Renditen von 19 % geboten, während Erträge auf Nullkupon 10-jähriger Staatsanleihen in lettischer Lokalwährung bei 3,3 % im Herbst 2012 lagen.Seit 2009 hat Lettland ein aggressives Programm der vorgezogenen Haushaltskonsolidierung, das 17,5 % des BIP entspricht, umgesetzt. Es ist eine der größten Konsolidierungen aller je von Fitch analysierten Staaten. Darüber hinaus veranlasste der Staat eine interne Abwertung der Löhne und Preise, um die externe Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen. Während die Arbeitsmarktflexibilität betont wird, hat dies zu hoher Arbeitslosigkeit geführt – geschätzt auf 15 % Ende 2012.Lettlands Staatsfinanzen verbessern sich weiter. Die Steuereinnahmen sind höher als die ursprünglichen Regierungspläne; die Haushaltsreserven haben sich deutlich erhöht. Die Zentralregierung hat ihren Überschuss auf fast 433 Mill. Euro erhöht. Das entspricht 2,1 % der Wirtschaftsleistung von 2011.In der Folge konnte die lettische Regierung eine Reihe von Steuermaßnahmen durchführen, speziell die Reduzierung der Mehrwertsteuer und der Einkommensteuer im Juli 2012. Dabei wurde der Basissatz für die Mehrwertsteuer von 22 auf 21 % gesenkt. Der persönliche Einkommensteuersatz ist mit Wirkung vom 1. Januar 2013 von 25 auf 24 % gekürzt worden. Er wird um weitere 2 Prozentpunkte jedes Jahr gekürzt werden, bis er 2015 dann 20 % erreicht.Starkes BIP-Wachstum, ein höheres Steueraufkommen als erwartet und niedrigere Zahlungen für Zinsen und Sozialleistungen 2012 haben dazu geführt, dass die öffentlichen Finanzen die Ziele des IWF deutlich übertreffen. Das gesamtstaatliche Haushaltsdefizit betrug 3,5 % des BIP 2011, deutlich unter dem gesetzten 6 %-Ziel des ursprünglichen IWF-Programms. Zwei BankenpleitenWährend Lettland es geschafft hat, die Wirtschaft wieder zum Wachstum anzuregen, bleiben große Risiken im Bankensektor. Die sollten nicht unterschätzt werden – der Schuldenüberhang im privaten und öffentlichen Sektor bleibt wohl mittelfristig eine Einschränkung beim staatlichen Kreditrating.Lettland hat zwei Bankenpleiten erlebt: Parex Banka im Oktober 2008 und Krajbanka im November 2011. Während die Parex Banka systemrelevant war und zum EU/IWF-Rettungspaket führte, war es die Krajbanka nicht. Sie hatte kaum Auswirkungen auf die Staatsbilanz. Die Bankenpleiten zeigen Regulierungsmängel auf.Die Gesundheit des Bankensystems bleibt fraglich. Der Bestand an notleidenden Krediten lag Ende August 2012 bei 12,3 % aller Kredite. Jedoch nimmt der Bestand an Vermögenswerten schlechter Qualität ab. Er wird großteils von der Parex Bank gehalten. 2012 ist wohl das erste profitable Jahr für das Bankensystem seit der Rezession 2009. Das Kapital, das im Bankensystem gehalten wird, übersteigt mit einer Eigenkapitalquote von 17,3 % bei Weitem das regulatorische Minimum von 8 %.Risiken ergeben sich aus dem Schuldenabbau des Bankensektors, der mehrheitlich in nordischem Besitz ist – mit Verbindlichkeiten gegenüber den Muttergesellschaften der Banken, die 2011 deutlich um 1,8 Mrd. auf 6 Mrd. Euro gesunken sind. Tochtergesellschaften führen weiter Geld an ihre Muttergesellschaften zurück, da Kredite in Lettland eher zurückgezahlt als neu aufgenommen werden.Das Rettungsprogramm von IWF und EU wurde Ende 2011 erfolgreich abgeschlossen. Dabei erfüllte Lettland alle Ziele zur Reduzierung des Haushaltsdefizits. Dadurch erhielt das Land Mitte 2011 wieder Marktzugang. Dieser ermöglichte es ihm, einen Fünf-Jahres- und einen Zehn-Jahres-Eurobond in Dollar aufzulegen – kombinierter Nennwert: 1,5 Mrd. Dollar. Dies wurde zu günstigen Konditionen knapp über der Durchschnittsrendite von 5 % abgeschlossen. Das deutet auf eine Verbesserung des Investorenvertrauens hin.Lettland hat im September 2012 begonnen, seinen IWF-Kredit vor Fälligkeit zurückzuzahlen, obwohl es noch einem Schuldentilgungsplan 2014/15 entgegensieht. Mit dem Regierungsplan, 5 Mrd. Euro auf dem internationalen Anleihenmarkt aufzunehmen, um die Tilgung von Krediten vorzufinanzieren, ist der Zeitplan, offizielle Gläubigerschulden mit Schulden, die auf den privaten Markt ausgestellt sind, zu ersetzen, ehrgeizig. Jedoch deuten die starke Nachfrage nach den zwei Eurobonds und die geringe öffentliche Verschuldung darauf hin, dass es machbar ist. Voraussetzung: Die Marktbedingungen sind nicht extrem.Die Exit-Strategie aus dem IWF-Programm ist die geplante Euro-Einführung Anfang 2014. Die Regierung bleibt dem Ziel in hohem Maße verpflichtet, trotz der jüngsten Instabilität in der Eurozone. Die Euro-Einführung würde Wechselkursrisiken minimieren.—-*) Michele Napolitano ist Assistant Director bei Fitch Ratings.