Eine alte Liebe erkaltet
Kaum jemand in Europa hat sich so sehr mit dem Dollar beschäftigt wie die Russen. Und ganz anders, als es die jetzige staatliche Propaganda zur Reduzierung der Abhängigkeit von der global dominierenden Reservewährung vermuten lässt, war der Dollar im Volk auch durchaus beliebt. Das hat mit den instabilen 1990er Jahren zu tun, in denen er sich als sicherer Hafen zur Werterhaltung etabliert hat, während der Rubel eine Abwertung um die andere durchmachte. In den schlimmsten Zeiten bis Anfang dieses Jahrtausends hinein wurden angesichts der rapiden Teuerungen in russischen Geschäften sogar die Preise in “variablen Einheiten” ausgewiesen, worunter man eindeutig “Dollar” zu verstehen hatte. Und in den ersten Jahren der Rezession nach der Krim-Annexion ab 2014 flüchteten die Leute abermals in die US-Währung, weil der Rubel infolge des Ölpreisverfalls und der Sanktionen rasant abstürzte.Umso frappierender ist, dass nun die “Entdollarisierung” anscheinend in vollem Gang ist. So ist der Anteil der Dollar-Einlagen von privaten und juristischen Personen bei russischen Banken zwischen 2016 und September 2018 von 37 auf 26 % zurückgegangen. Was die Privatpersonen betrifft, so kommt natürlich zum Tragen, dass sie in den vergangenen drei Jahren Reallohneinbußen hinnehmen mussten, weshalb die Ersparnisse überhaupt abnahmen.Im Übrigen wirkt die Propaganda des Staates. Angesichts bevorstehender, weiterer US-Sanktionen gegen das Land ist der Kreml vor allem daran interessiert, mögliche äußere Schocks abzuwenden und daher gerade im Außenhandel – und bei den Währungsreserven – die Dominanz des Dollars zu reduzieren und die anderer Währungen sowie natürlich des Rubels zu stärken. Vieles läuft dabei auf der Ebene der Ankündigungen, denn selbst innerhalb des russischen Establishments ist man sich über die Sinnhaftigkeit und Geschwindigkeit dieses Unterfangens nicht ganz einig. Umso mehr Aufsehen erregte vorige Woche ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, dem zufolge zwei russische Ölkonzerne den Ölverkauf an westliche Abnehmer nicht mehr in Dollar, sondern in Euro abrechnen wollen. Damit nicht genug, machen sie und auch der staatliche Branchenprimus Rosneft offenbar gehörigen Druck auf die Abnehmer, Strafklauseln in die neuen Lieferverträge für 2019 aufzunehmen. Ihr Sinn: Sollten die europäischen Firmen im Fall neuer US-Sanktionen gegen russische Firmen die Geldüberweisungen an diese zurückhalten, könnten sie zu Strafzahlungen gezwungen werden. Die Verhandlungen seien, so ein Gesprächspartner von Reuters, in den vergangenen Wochen “besonders hart”.Die Angst vor neuen Sanktionen aufgrund der Vergiftung eines russischen Ex-Spions im Frühjahr in London ist groß in Russland. Alle, die irgendwie betroffen sein könnten, bauen vor.Am vorsichtigsten zeigte sich bisher die russische Zentralbank. Sie hat das Ausmaß ihrer US-amerikanischen Staatsanleihen seit Ende des Vorjahres von 100 Mrd. radikal auf belanglose 14,1 Mrd. Dollar reduziert. Und sie kauft Gold wie verrückt, so dass Russland nun auf über 2 000 Tonnen oder 17 % der globalen Reserven sitzt.Der Außenhandel tut sich ungleich schwerer, wiewohl auch dort die Rolle des Dollars etwas zurückgeht. Der Rubel selbst freilich spielt, wie die bisherige Statistik zeigt, kaum eine Rolle. In der Außenhandelsstatistik kommen laut russischer Zentralbank auf den Dollar 70 % der Abrechnungen. Demgegenüber werden gerade einmal 15 % der Geschäfte in Euro getätigt, obwohl Russlands gesamter Außenhandel zu 40 % mit der EU erfolgt. Das heißt, dass der Großteil des Handels mit Europa bis heute in Dollar erfolgt.Den Dollar zugunsten des Euro zu reduzieren sei ja vielleicht noch möglich, meint Natalja Orlowa, Chefökonomin von Russlands größter Privatbank Alfa-Bank, in einem Kommentar in der Zeitung “Wedomosti”: Aber den Dollar zugunsten des Rubels zu verdrängen schlichtweg nicht. Es würde nämlich auch voraussetzen, dass ausländische Zentralbanken Rubel in ihren Reserven halten.Dazu sind aber bis auf ein paar Staatsbetriebe die russischen Unternehmen genauso wenig bereit wie auch ihre Partner im Ausland.