Eine Budgetintegration in der Eurozone wird nicht kommen
Die Regierungschefs der Eurozone haben Mitte Dezember die Einführung eines “budgetären Instruments” beschlossen, wenn auch nur als Teil des weitergefassten EU-Budgets. Zahlreiche Kommentatoren hatten schon lange einen Ausbau der budgetären Kapazität der Eurozone gefordert, um einen Stabilitätspuffer zu schaffen in Zeiten krisenhafter Zuspitzungen. Der Berg kreißte und gebar eine Maus: Nach einem Jahr zähen Ringens wurde nun allenfalls die prinzipielle Bereitschaft zu einem Budget bekundet, aber keine Details, nicht einmal dessen Größe vereinbart. Darüber wird hinter verschlossenen Türen, und manchmal auch vor laufenden Mikrofonen, weiter gestritten. Des Weiteren soll das Budget auch nicht primär zur Stabilisierung in Krisenzeiten dienen, sondern der “Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit”. Alles also im Prinzip nicht mehr als eine Fußnote zum gewaltigen EU-Strukturfonds für wachstumsfördernde Investitionen, die zu diesem Zweck bereits seit Jahrzehnten existieren. Befürworter gratulieren sichDie jetzt beschlossene “Reform” ist insofern nicht einmal mehr ein Schatten der weitreichenden Fantasien einer vertieften Fiskalintegration des seinerzeit frischgewählten französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Befürworter beglückwünschen sich dennoch. Denn mit den Beschlüssen sei erstmals das Tor einen Spalt breit geöffnet worden, heißt es. Über kurz oder lang werde dieser Spalt immer breiter. Die Befürworter der Fiskalintegration müssten sich nur in Geduld üben.Es steht jedoch zu erwarten, dass die Erwartungen der Befürworter eines immer weiter reichenden Eurobudgets enttäuscht werden. Lange Zeit galt Berlin als Bremser, der einer tiefergreifenden Vergesellschaftung von Budgets aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen entgegenstand. Da ist etwas dran. Aber jetzt, wo sich die Bundesregierung, auch aus Gründen der Unterstützung für den in die Defensive geratenen Macron, etwas geschmeidiger als ehedem zeigt, wird der eigentliche harte Kern des Widerstands sichtbar: Unter der Führung der Niederlande hat sich eine “Neue Hanse” aus kleinen nordeuropäischen Mitgliedstaaten artikuliert, die sich bis dahin hinter Deutschlands breitem Rücken versteckt hielten. Das hat sich jetzt geändert. Zunächst belächelt als “Wopke und die Sieben Zwerge” (in Anspielung auf den holländischen Finanzminister Wopke Hoekstra und die weiteren sieben Mitglieder der Neuen Hanse) wird diese Gruppe einer weiter reichenden Budgetintegration nachhaltig im Wege stehen. Dafür gibt es verschiedene Gründe.Kleine Staaten sind krisenanfälliger und volatiler. Während der vergangenen 20 Jahre war die Wachstumsfluktuation der weltweit zehn kleinsten entwickelten Volkswirtschaften rund viermal so hoch wie die der zehn bevölkerungsreichsten. Wenn aber die wirtschaftlichen Schocks, denen sich ein kleines Land ausgesetzt sieht, größer sind, belastet das die nationale Schuldentragfähigkeit. Die typischerweise tieferen Rezessionen von weniger diversifizierten Kleinstaaten können in der Krise zu rasch ausufernden Budgetdefiziten führen. Tatsächlich aber ist der durchschnittliche Stand der Staatsschulden der zehn bevölkerungsreichsten Industriestaaten mit fast 100 % des Bruttoinlandsprodukts (1997) nahezu doppelt so hoch wie der der zehn kleinsten (54 %). Trotz höherer Anfälligkeit haben die Regierungen kleinerer Volkswirtschaften nachhaltiger budgetiert.Aber die Staatsschulden der großen sind nicht nur höher, sondern sie wachsen auch noch schneller als bei den kleinen. In der Dekade seit dem Vorkrisenjahr 2007 hat sich die Staatsschuldenquote der zehn bevölkerungsreichsten Industrienationen um mehr als 30 Prozentpunkte erhöht, mehr als doppelt so schnell wie bei den zehn bevölkerungsärmsten. Geht man bis 1997 zurück sogar dreimal so schnell! Die öffentlichen Finanzen von großen und kleinen divergieren immer weiter (siehe Grafik).Wen wundert es da, dass die kleineren Mitgliedstaaten der Eurozone nur wenig Begeisterung zeigen, wenn es um die Frage einer europäischen Budgetintegration geht? Müssten sie doch trotz geringerer Schuldentragfähigkeit die eigentlich stärkeren Großmitglieder stabilisieren helfen. Da bleibt man doch lieber auf sich allein gestellt. Zumal sich gesellschaftlicher Konsens zugunsten einer nachhaltigen Haushaltsführung in kleineren Gesellschaften offenbar besser auf den Weg bringen lässt. Man denke nur an die extreme Anpassung im Baltikum 2009, als die Volkswirtschaften dort um 15 % geschrumpft sind. Asymmetrie bei den GroßenDagegen scheint in vielen der großen Mitgliedstaaten eine Asymmetrie vorzuliegen: Expansiver Impuls in der wirtschaftlichen Abschwächung ja, aber keine kompensierende Korrektur im Aufschwung. Das führt zwangsläufig zu einer ausufernden Staatsverschuldung. Die jüngsten Erfahrungen mit den Protesten der Gelbwesten in Frankreich unterstreichen, wie schwer es für große Länder bleibt, auch nur eine moderate Haushaltsdisziplin umzusetzen. Und das selbst bei einer politischen Führung mit ausgeprägtem technokratischen Reformwillen.Die Kleinen treibt natürlich weiter auch der Verdacht um, dass in der EU mit zweierlei Maß gemessen wird: Junckers launiges “Italien ist Italien” nährt nur den Unmut ob der wahrgenommenen Großzügigkeit gegenüber den Großen. Frankreichs erwarteter und geduldeter Defizitanstieg über 3 % in 2019 wird in der Neuen Hanse ähnlich aufgenommen werden.Reformen über multilaterale Budgets müssen in der EU einstimmig beschlossen werden. Die “Sieben Zwerge” werden aus den oben genannten Gründen ihre Zustimmung aller Voraussicht nach verweigern. Ein bedeutsames Eurobudget wird deshalb in absehbarer Zeit nicht beschlossen. Das muss jedoch kein Problem darstellen: Es gibt weder empirische noch theoretische Belege, dass eine Währungsunion zwangsläufig einer Fiskalunion bedarf, auch wenn das gerade im angelsächsischen Raum immer wieder gerne vorgebracht wird. Und wenn die “Großen” eine höhere Verschuldungsaffinität haben als die “Kleinen”, wie wäre es erst mit einem “Supergroßen”, wie dem Budget der gesamten Eurozone? Leicht auszumalen.Natürlich steht es den Befürwortern einer tieferen fiskalischen Integration prinzipiell frei, als kleinere Gruppe spontan vorzupreschen. Dass es aber bislang noch nicht einmal Diskussionen dazu gab, dass zum Beispiel Italien und Frankreich gemeinsam haftend einen Minieurobond begeben, entlarvt freilich die Stoßrichtung der Integrationsverfechter: Man möchte doch eigentlich lieber an der Reputation der Niedrigschuldenländer teilhaben und Zinskosten sparen. Letztere haben freilich den Braten gerochen!—-*) Der Autor war zuvor Global Chief Rating Officer Sovereign Ratings bei Standard & Poor’s (S&P). —-Moritz Kraemer, Chief Economic Advisor bei Acreditus in Dubai