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Eine große Chance für die Eiskönigin

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 29.6.2016 Theresa May (59) hat im Kampf um die Führung der britischen Konservativen ihren Hut noch nicht in den Ring geworfen. Aber nur wenige zweifeln daran, dass sie es tun wird. Eine Meinungsumfrage im...

Eine große Chance für die Eiskönigin

Von Andreas Hippin, LondonTheresa May (59) hat im Kampf um die Führung der britischen Konservativen ihren Hut noch nicht in den Ring geworfen. Aber nur wenige zweifeln daran, dass sie es tun wird. Eine Meinungsumfrage im Auftrag der “Times” zeigt, dass die Innenministerin in der Gunst der Tory-Wähler vor Boris Johnson (54) liegt. Der ehemalige Bürgermeister von London hatte sich vor dem EU-Referendum an die Spitze von Vote Leave gesetzt und gilt als aussichtsreicher Nachfolger des scheidenden Premierministers David Cameron (49). Schatzkanzler George Osborne (45), dem vor der Niederlage der Bremainians ebenfalls Chancen eingeräumt wurden, nahm sich selbst aus dem Rennen.Camerons ehemaliger Stellvertreter, Nick Clegg von den Liberaldemokraten, nannte May die “Eiskönigin”, der ehemalige Vorsitzende der Konservativen, Eric Picles, hatte einen anderen Spitznamen für sie: “Tricksy Belle of Marsham Street”; das ist die Straße, in der sich das Innenministerium befindet. Der ehemalige liberaldemokratische Bildungsminister David Laws beschreibt die Oxford-Absolventin May als knallhart. Er rechnete nach eigenen Angaben nicht damit, dass sie sich so lange halten würde. Aber May ist eine erfahrene Politikerin. Seit mehr als einem Jahrhundert war keiner ihrer Vorgänger länger im Amt. Sie sitzt vier Jahre länger im Unterhaus als Johnson. Vor der Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft hielt sie sich mit öffentlichen Äußerungen zurück, tauchte dann aber im Lager der Bremainians auf. In der Öffentlichkeit entstand der Eindruck, es mit einer Brexit-freundlichen Vertreterin des Status quo zu tun zu haben. Zudem hatte sie beim Thema Zuwanderung die schärfsten Positionen vertreten. Diese geschickte Positionierung könnte ihr nun zum entscheidenden Vorsprung verhelfen.Rund 125 000 Parteimitglieder werden über den neuen Parteichef und Premierminister entscheiden, dessen Name am 2. September verkündet werden soll. Ihm oder ihr obliegen die Verhandlungen über das künftige Verhältnis zur EU. An May dürften sich die Verhandlungskünstler Brüssels die Zähne ausbeißen. Erste Frau an der Tory-SpitzeDie Tochter eines anglikanischen Vikars aus Eastbourne arbeitete vor ihrem Einstieg als Berufspolitikerin für die Bank of England und die Association for Payment Clearing Services, einen Verband von Zahlungsabwicklern. In den Jahren von 1999 bis 2010 hatte sie eine Reihe von Posten in den “Schattenkabinetten” der damals oppositionellen Konservativen inne. Sie war die erste Frau an der Spitze der Konservativen und fungierte zwischen 2010 und 2012 nicht nur als Innen-, sondern auch als Frauen- und Gleichstellungsministerin. Cameron stand sie nie besonders nahe.