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Eine hohe Erbschaftsteuer ist gut für die Wirtschaft

Börsen-Zeitung, 13.8.2016 Ob 6,3 Mrd. Euro viel oder wenig Geld sind, ist - wie vieles im Leben - eine Frage der Perspektive. Der Betrag entspricht in etwa jener Summe, die der Bund ursprünglich als Rücklage für die Flüchtlingskosten in diesem Jahr...

Eine hohe Erbschaftsteuer ist gut für die Wirtschaft

Ob 6,3 Mrd. Euro viel oder wenig Geld sind, ist – wie vieles im Leben – eine Frage der Perspektive. Der Betrag entspricht in etwa jener Summe, die der Bund ursprünglich als Rücklage für die Flüchtlingskosten in diesem Jahr bilden wollte; am Ende ist es mit 8 Mrd. Euro etwas mehr geworden. 6,3 Mrd. Euro sind einerseits mehr als beispielsweise die Ausgaben des Bundeshaushalts für Ernährung und Landwirtschaft, andererseits aber nicht einmal 1 % des Gesamtsteueraufkommens im vergangenen Jahr. 6,3 Mrd. Euro, so das Statistische Bundesamt dieser Tage, betrug das Erbschaftsteueraufkommen im Jahr 2015 (vgl. BZ vom 12. August). Aus Sicht der Lobbyisten von Familienunternehmen und mittelständischer Wirtschaft ein so geringer Betrag, dass sich schon der Erhebungsaufwand nicht lohne und die Erbschaftsteuer am besten ganz abgeschafft werden sollte. Damit liegt man auf der steuerpolitischen Linie eines Donald Trump, der die Erbschaftsteuer in den USA kippen möchte – aber dazu später mehr. Viele AusnahmenNun könnte man argumentieren: Kleinvieh macht auch Mist. Oder man packt den Stier bei den Hörnern respektive die Erbschaftsteuer bei ihren vielen Ausnahmen. Denn die großen Tiere bleiben weitgehend verschont von dieser Steuer. Sonst wäre ihr Aufkommen nicht auf dem Niveau des Landwirtschaftsetats, sondern läge mit rund 20 Mrd. Euro zwischen den Ausgaben für Bildung und Forschung (16,4 Mrd. Euro) und dem Etat für Verkehr und digitale Infrastruktur (24,6 Mrd. Euro). “Erben ist ungerecht”Allein 2015 wurden Betriebsvermögen im Wert von 57 Mrd. Euro steuerfrei übertragen. Man könnte auch sagen: als Betriebsvermögen kaschierte Privatvermögen. Denn der Übergang erfolgte ja in der Regel nicht von einem Betrieb zum nächsten, sondern von einer Privatperson auf deren Erben. Aber das deutsche Erbschaftsteuerrecht behandelt Vermögen unterschiedlich, je nachdem, wie es verpackt ist. Häuser, zumal selbst genutzte, werden anders bewertet als vermietete Immobilien und Anteile am eigenen Familienunternehmen anders als Anteile an börsennotierten Gesellschaften, also Aktien. Rational ist das nicht und gerecht schon gar nicht. Im deutschen Erbschaftsteuersystem finden sich ideologische Restanten des Reichserbhofgesetzes: Der deutsche Häuslebauer wie auch der Handwerker oder Mittelständler dürfen nicht von ihrer Scholle vertrieben werden.Die Gegenposition, die es nicht im parteipolitischen Spektrum, aber unter Wissenschaftlern gibt, lautet: Die Erbschaftsteuer sollte 100 % betragen, denn (Ver-)Erben ist ungerecht. Dieser dem individualistischen Liberalismus entspringende Gedanke hatte Einfluss auf den Umgang der Amerikaner mit der Erbschaftsteuer. Schon Staatsgründer und US-Präsident Thomas Jefferson forderte, jeder Bürger müsse sich “an der Startlinie neu aufstellen”.Bis zur Jahrtausendwende hatten die Amerikaner jenseits eines großzügigen Freibetrags einen Erbschaftsteuersatz von immerhin bis zu 55 %; seither bis zu 35 %, wenngleich bei gut 5 Mill. US-Dollar Freibetrag pro Nachlass. Dass Präsidentschaftskandidat Donald Trump nun in seinem steuerpolitischen Programm die völlige Abschaffung der Erbschaftsteuer fordert, entlarvt ihn, der angeblich den Amerikanismus wieder in den Vordergrund rücken will, als gänzlich unamerikanisch.Für die deutschen Politiker aus Bund und Ländern, die sich nach der Sommerpause im Vermittlungsausschuss auf einen Kompromiss in der vom Bundestag beschlossenen Erbschaftsteuerreform einigen müssen, sollten weder Donald Trump noch Lobbyisten aus der deutschen Wirtschaft maßgeblich sein. Das würden die Verfassungsrichter auch nicht zulassen, die sich ja an den unverhältnismäßigen Begünstigungen beim Vererben großer Unternehmensvermögen stießen und die Reform erzwangen. Aber die amerikanische Nachlassbesteuerung könnte sehr wohl Orientierung geben hinsichtlich ihrer einfachen und transparenten Regeln, zumal die USA ja nicht als unternehmensfeindlich verrufen sind. Dass die Abschaffung der vielen Ausnahmen für Betriebserben dem Wirtschaftsstandort Deutschland und Arbeitsplätzen hierzulande schade, ist eine Mär, die durch ständige Wiederholung nicht glaubhafter wird. Wie beim VertikutierenErstens lassen sich durch großzügige Stundungsregeln Härten vermeiden. Zweitens wäre es für betroffene Familienunternehmen kein Nachteil, wenn sie wenigstens anlässlich eines Generationenwechsels durchlüftet würden. Es ist wie mit dem Vertikutieren des Rasens: Über Erbfälle zögen frisches Kapital und neue Ideen ein. An Möglichkeiten hierfür fehlt es nicht dank leistungsfähiger Family Offices und Private-Equity-Gesellschaften. Und für die hierzulande unterentwickelte Kapitalmarkt- und Aktienkultur wäre eine Erbschaftsteuer nach US-Vorbild ein Segen.Aber es geht bei der Erbschaftsteuer ja nicht um ein Förderprogramm für den Finanzmarkt, sondern um Einnahmen für den Staat, um Chancengerechtigkeit und gesellschaftlichen Wohlstand. Eine Vermögensverteilung, die als ungerecht empfunden wird, stellt nicht nur die Soziale Marktwirtschaft, sondern auch die Gesellschaft insgesamt in Frage. In Zeiten, da auch in Deutschland die Zunahme der Ungleichheit behauptet wird, würde sich die Erbschaftsteuer – anders als eine Vermögensteuer – als geeignetes Instrument der Umverteilung anbieten. Denn sie setzt an leistungslos erworbenem Vermögen an. Man muss ja nicht radikalen Vorschlägen wie einer 100-%-Besteuerung folgen, mit der sowohl die Arbeitsmotivation der Menschen als auch die nötige volkswirtschaftliche Kapitalbildung stark litten. Aber dass eine hohe Vermögenskonzentration zu geringer sozialer Mobilität führt, ist belegt. Und es kann gesellschaftlich nicht gewünscht sein, dass über Erfolg im Leben nicht das jeweilige Talent, sondern Firmenvermögen oder Wertpapierdepots der Eltern entscheiden.—-c.doering@boersen-zeitung.de——–Von Claus Döring Die Erbschaftsteuer wäre ein geeignetes Instrument der Umverteilung, weil sie an leistungslosem Vermögen ansetzt.——-