IM INTERVIEW: ALEXANDER NOWAK

"Eine Kompromisslösung ist möglich"

Russlands Energieminister signalisiert der Ukraine Entgegenkommen im Gasstreit - Probleme mit der EU

"Eine Kompromisslösung ist möglich"

– Herr Nowak, man hat den Eindruck, dass Ihre trilateralen Treffen mit EU-Energiekommissar Günther Oettinger und dem ukrainischen Energieminister Juri Prodan offensichtlich nichts bringen. Denn Gazprom hat der Ukraine nun tatsächlich eine Rechnung zur Vorauszahlung von Lieferungen im Juni ausgestellt.Ich denke nicht, dass die Treffen sinnlos sind. Der Verhandlungsprozess ist in Gang gesetzt.- Aber es gibt kein Ergebnis.Nun, am 2. Mai fand erst ein Treffen statt. Die Beteiligten brachten fürs Erste einmal ihre Positionen vor. Das nächste Treffen ist für den 19. Mai vorgesehen – allerdings bilateral mit Herrn Oettinger und mir. Am vergangenen Montag fanden zudem trilaterale Treffen auf technischer Ebene statt. Es gab sehr detaillierte Diskussionen – auch über den Preis. Die Ukraine will die Schulden ja nur zahlen, wenn ein Gaspreis von 268 Dollar je 1 000 Kubikmeter gewährt wird.- Es entsteht ein seltsamer Eindruck: Da wird noch über die Begleichung der aufgelaufenen Schulden verhandelt, und Gazprom stellt schon die Rechnung für Vorauszahlung ab Juni aus.Wir sind unzufrieden damit, dass hier nur das Gasthema diskutiert wird, obwohl Präsident Putin im Brief an die 18 europäischen Staatschefs auch die Diskussion über die ukrainische Wirtschaft und ihre Zahlungsfähigkeit in der Zukunft vorgeschlagen hat. Man hat uns bislang nicht einmal informiert, aus welchen Finanzquellen die Ukraine die Schulden begleichen will. Und das vor dem Hintergrund, dass der Internationale Währungsfonds schon die erste Tranche des Kredites an die Ukraine überwiesen hat und laut Oettinger ein Teil davon für die Schuldenbegleichung verwendet werden soll. Die Ukraine hat nun bis zum 2. Juni Zeit zu zahlen.- Russlands Premier Dmitri Medwedjew hat am vergangenen Montag gesagt, die Ukraine müsse bis Ende Mai die nötigen Mittel aufbringen oder einen Teil davon – zumindest aber die Verhandlungen mit der Gazprom beginnen, um Bereitschaft zu demonstrieren, die Schulden begleichen zu wollen.Wir haben uns immer für eine konstruktive Position bei Verhandlungen ausgesprochen. Die russische Seite ist bereit, über weitere Aktionen zu diskutieren – darunter die Zahlungsfristen. Was aber geht heute vor sich? Für März haben wir kein Geld bekommen und für April nicht. Die Ukraine sagt, sie sei bereit, 268,50 Dollar für 1 000 Kubikmeter zu zahlen. Dieser Preis hat von Januar bis einschließlich März gegolten. Also bitte, dann zahlt wenigstens einmal für einige dieser Monate! Zeigt irgendeine Bereitschaft! Dann sind wir bereit, weitere Vorschläge bezüglich Zahlung zu diskutieren.- EU-Energiekommissar Oettinger sagt, dass bis Ende Mai eine einvernehmliche Lösung gefunden werden kann.Eine Kompromisslösung ist möglich, wenn die Ukraine ihre Finanzquellen benennt, die sie für die Bezahlungen hernehmen will, und dies auch garantiert. Und wenn die EU-Kommission wirksame Maßnahmen vorschlägt, wie sie die wirtschaftliche Situation der Ukraine verbessern will. Dann können Varianten für einen Aufschub und ein Zeitplan für die Zahlungen geprüft werden. Möglicherweise werden auch Vereinbarungen über bestimmte Rabatte unsererseits bei Exportzöllen erreicht. Auch im ersten Quartal haben wir solche Rabatte zur Verfügung gestellt.- Also, wenn die Ukraine Zahlungsbereitschaft signalisiert, wird auch der Preis diskutiert?Nicht der vertraglich fixierte Preis wird diskutiert, denn der steht bis 2019 fest, sondern die Möglichkeit von Rabatten im Rahmen der Zolltarife.- Der frühere Verzicht auf russische Exportzölle hatte den Preis auf etwa 385 Dollar gedrückt. Wenn Russland – wie Sie jetzt andeuten – wieder auf den Exportzoll verzichten könnte, käme man wieder auf diesen Preis?Eine genaue Höhe kann ich Ihnen nicht nennen; ich kann nur sagen, dass der Durchschnittspreis im Vorjahr für die Ukraine 382 Dollar betragen hatte. In Europa lag er bei 380 Dollar.- Also liegt hier die Linie für einen Kompromiss: Ein Preis von 268 Dollar, wie ihn die Ukraine fordert und wie er im ersten Quartal gegolten hat, ist wohl eher illusorisch?Ich denke, der Preis sollte ein gewöhnlicher Marktpreis sein.- Wer in Russland trifft eigentlich die Entscheidungen darüber, wie in solchen Fällen vorzugehen ist? Sie als Energieminister, die Gazprom oder Staatspräsident Wladimir Putin?Das kann eine komplexe Entscheidung sein. Gazprom ist ja eine Aktiengesellschaft, aber mit der Kontrollmehrheit des Staates ein strategisches Unternehmen. Daher nimmt der Staat an wichtigen Entscheidungen teil. Wenn es um Budgeteinnahmen geht, werden sie auf der obersten Ebene des Präsidenten getroffen.- Vor zwei Wochen hat Gazprom plötzlich ein Memorandum unterzeichnet, wonach die geplante Pipeline South Stream nicht nach Italien, sondern nach Wien gelenkt werden soll. Wie kommt es zu diesem Meinungswandel?Ich möchte klarmachen: Dieses Memorandum bedeutet nicht, dass wir Italien aus dem South-Stream-Projekt ausschließen. Wir werden ganz einfach noch einen wichtigen zusätzlichen Teilnehmer haben mit einem der größten europäischen Gashubs in Baumgarten.- Aber warum kam die Entscheidung gerade jetzt?Gazprom prüfte den effizientesten Routenverlauf. Diese Route war auch früher schon in Betracht gezogen worden. Das war wohl eher eine marktwirtschaftliche Überlegung als eine konjunkturelle. Die Entscheidung ist übrigens nicht endgültig.- Faktum jedenfalls ist, dass die EU die Entscheidung über weitere Durchleitungsvolumina für Gazprom durch die deutsche Nordstream-Anschlussleitung Opal abermals verschoben hat und auch bezüglich South Stream die bestehenden Regierungsabkommen in Frage stellt. Wie deuten Sie das?Ich schließe nicht aus, dass hier eine Konfrontation bei der Prüfung der Pipelinefrage besteht. Die EU gibt den Widerstand ja auch unverhüllt zu. 2013 kamen wir mit Opal gut voran, im Herbst waren die Dokumente für die EU-Entscheidung vorhanden. Jetzt hat die EU zusätzliche Dokumente angefordert, obwohl der deutsche Regulator schon einmal die Entscheidung getroffen hatte, 100 % der Opal-Kapazitäten Gazprom zur Verfügung zu stellen. Für uns ist das sehr seltsam: Da wird Versorgungssicherheit gefordert und gleichzeitig konträr gehandelt. Das Gleiche betrifft auch South Stream. Dabei sind alle Teilnehmerstaaten an South Stream interessiert.- Sie wollen für South Stream eine Ausnahme aus der Regelung des Dritten EU-Energiepakets, wonach Lieferant und Pipelinebesitzer getrennt sein müssen. Was ist, wenn Sie diese Ausnahmegenehmigung nicht bekommen?Wir denken, dass wir die Frage trotzdem lösen müssen, denn das EU-Energiepaket widerspricht den bilateralen Regierungsabkommen, die mit den teilnehmenden Staaten und Russland geschlossen worden sind. Es gibt eine internationale Konvention darüber, dass solche bilateralen Vereinbarungen über der inneren Gesetzgebung stehen. Das EU-Energiepaket verhindert Investitionen und garantiert keine Amortisierung des Projekts.- Wenn man die Ausnahme vom Energiepaket nicht erhält, kann das Projekt dann noch scheitern?Ich würde das nicht so sagen. Wir versuchen ja derzeit, diese Frage im Gespräch mit der EU zu lösen. Auch denken wir, dass die Blockade des Projekts den Regeln der Welthandelsorganisation WTO widerspricht, weshalb wir an die WTO appelliert haben, die Frage des Investitionsschutzes und des freien Handels zu prüfen.- Das Verhältnis zwischen der EU und Russland in der Pipelinefrage ist also verfahren. Trägt Russland nicht eine Mitschuld daran?Ihre Frage zielt auf die extremen Standpunkte. Wir denken, dass wir im Rahmen des Gesetzes und der geschlossenen Vereinbarungen handeln. Natürlich könnte man heute sagen, man hätte sich früher einigen können. Aber ich würde nicht von Fehlern reden. Ein Komplex verschiedener auch politischer Faktoren beeinflusst einfach die Entschlüsse auf beiden Seiten – gerade heute angesichts der Situation in der Ukraine. Aber ich möchte betonen, dass Europa unser strategischer Partner ist. Wir begrüßen, dass europäische Unternehmen ihre Projekte in Russland realisieren und hier investieren. Auch diese Unternehmen wollen keine Wirtschaftssanktionen.- Nun, das ist die Ebene der Unternehmen …Nicht nur. Auch auf der Ebene des Staates schaffen wir die Bedingungen dafür. EU-Energiekommissar Oettinger versucht hier ziemlich konstruktiv an die Situation, die sich mit der Ukraine ergeben hat, heranzugehen. Und Russland ist bereit, gemeinsam mit der EU zu einer Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Ukraine beizutragen. Aber wir sind nicht mehr bereit, das wie früher allein zu tun.- Aber ist es nicht auch Oettinger, der die russischen Pipelineprojekte derzeit bremst?Nun, das wird er wahrscheinlich nicht allein als Person tun, sondern es ist eher allgemeine Politik der EU-Kommission. 2013 gab es ja zunächst große Fortschritte.- Jetzt aber haben wir andere Zeiten.Ja. Aber was die Ukraine betrifft, so versteht Oettinger sehr genau, dass ein Vertrag besteht. Er hat auch vorgeschlagen, Finanzmittel des IWF für die Begleichung der Schulden zu verwenden. Soweit ich verstehe, will er, dass Russland und die Ukraine sich preislich einigen. Jedes Land verteidigt ganz einfach seine Position. Und wir haben unsere eigene Sichtweise. Aber man kann Überschneidungspunkte finden, denn durch die Realisierung der Projekte werden alle Seiten gewinnen.- Seit über einem Jahrzehnt verhandelt Gazprom auch über einen großen Liefervertrag mit China. Es heißt, im Mai wird er unterzeichnet. Ist der Durchbruch geschafft?Wir denken, es bestehen große Chancen, dass es beim Besuch Putins in China noch im Mai zur Unterzeichnung kommt. Ein kleiner Punkt ist offen – der Preis.- Das ist er seit Jahren.Jetzt fliegt Gazprom-Chef Alexej Miller mit nach China und nimmt aktiv an den Verhandlungen teil. In den nächsten Tagen fliegt er nochmals. Man ist heute zu einem hohen Grad bereit, zu einer endgültigen Vereinbarung zu gelangen.- Der Deal kann also auch noch platzen?Wenn die Wahrscheinlichkeit der Unterzeichnung hoch ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit der Nichtunterzeichnung wohl eher niedrig.- Seit vier Monaten geht die Ölförderung in Russland zurück, was Analysten als alarmierend bezeichnen. Ist der Alarm berechtigt?Unsere Strategie bis 2030 sieht vor, dass wir das Fördervolumen bei 530 Mill. Tonnen halten. Die Schwankungen bewegen sich im Bereich von unbedeutenden 0,2 %. Wir haben die gleiche Situation wie in anderen Teilen der Welt: Es gibt nicht viele neue Lagerstätten, die leicht zugänglich sind. Bei uns geben die alten Lagerstätten aus den fünfziger und sechziger Jahren immer weniger her. Für die neuen Lagerstätten in Ostsibirien und in der Arktis braucht es große Investitionen. Im Vorjahr haben wir unsere Gesetzgebung revolutionär umgestaltet, um die Ausbeutung in alten Lagerstätten zu steigern und die Ausbeutung schwer zugänglicher Lagerstätten zu stimulieren. Prognosen sind diesbezüglich schwer, denn die Investitionen hängen auch von der wirtschaftlichen Situation ab.- Im Moment steht eine tiefgreifende Änderung der Steuergesetzgebung an, weil im Mai die Eurasische Wirtschaftsunion mit Weißrussland und Kasachstan etabliert wird. Man will die Exportzölle verringern und dafür die Extraktionssteuer erhöhen. Birgt das nicht die Gefahr, dass noch weniger in neue Förderstätten investiert wird?Die Diskussion darüber läuft. Es geht aber nicht um einen ruckartigen Schritt, sondern eine Übergangszeit von zehn Jahren zur Anpassung der Exportzölle an die der Nachbarstaaten. So gesehen sollten sie keine negativen Auswirkung auf die Förderung haben. Wir stehen vor einem tiefgreifenden Umbau des Steuersystems für den Ölsektor.- Viele Analysen gehen heute davon aus, dass der Ölpreis (Sorte WTI) binnen fünf Jahren von derzeit 90 bis 100 Dollar je Barrel auf 75 Dollar fällt, weil zuletzt viele nicht traditionelle Lagerstätten entdeckt worden sind und alternative Brennstoffe an Bedeutung gewinnen. Teilen Sie tendenziell die Einschätzung?Für die nächste Zeit wird kein Preisverfall auf unter 90 Dollar stattfinden. Hier gibt es mehrere Faktoren. Erstens besteht derzeit ein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage beim Öl. Viele Experten schätzen, dass Öl in den kommenden Jahrzehnten eine der Hauptquellen für Energie bleibt. Der Selbstkostenpreis für Ölförderung indes steigt – auch bei den nicht traditionellen Lagerstätten. Die Ölexportländer berechnen alle ihr Budget ausgehend von einem bestimmten Ölpreis, und zumindest mir ist nicht bekannt, dass irgendeines dieser Länder einen Preis unter 90 Dollar je Barrel annimmt.- Vor der Krim liegen viele Gaslagerstätten, welche die Ukraine schon auszubeuten begann. Was plant Russland mit den Ressourcen?Wir studieren das Thema erst. Priorität hat derzeit die Energieversorgung der Krim. Die Lagerstätten, aus denen bereits gefördert wird, werden weiter ausgebeutet. Soweit ich weiß, geht es hier um rund 2 Mrd. Kubikmeter. Wir haben Ziele, das weiterzuentwickeln.- Auch hinsichtlich des Exports?Das kann ich noch nicht sagen. Denn hier ist in erster Linie wichtig, die Konsumenten auf der Krim zu bedienen.—-Das Interview führte Eduard Steiner.