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Eine mutlose Wahl für die Bank of England

Von Benjamin Triebe, London Börsen-Zeitung, 21.12.2019 Nach langwieriger Suche steht nun fest, wer die britische Notenbank nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs führen wird. Nach allem Brexit-Durcheinander der vergangenen Monate wurde am...

Eine mutlose Wahl für die Bank of England

Von Benjamin Triebe, LondonNach langwieriger Suche steht nun fest, wer die britische Notenbank nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs führen wird. Nach allem Brexit-Durcheinander der vergangenen Monate wurde am Freitag jener Mann als neuer Gouverneur der Bank of England (BoE) angekündigt, der von Beginn an als aussichtsreichster Kandidat galt: Andrew Bailey, der derzeitige Chef der Financial Conduct Authority (FCA). Analysten bezeichneten den 60-Jährigen als sichere Wahl, denn mit seiner Fachkompetenz und dem zurückhaltenden Auftreten lasse er wenig Raum für Kontroversen. Weiterer KarrieresprungWenn Bailey kommendes Jahr den Vorsitz der Notenbank übernimmt, wird es schon das zweite Mal sein, dass ihm dieses Profil einen Karrieresprung ermöglicht. Die Spitze der FCA hatte er im Jahr 2016 auf Wunsch von Schatzkanzler George Osborne übernommen, der einen ausgleichenden Behördenchef wünschte, nachdem Vorgänger Martin Wheatley öfters die Konfrontation auch mit der Politik gesucht hatte. Die FCA steht häufig in der Öffentlichkeit, denn sie ist die Regulierungsbehörde für Finanzdienstleistungen und den Schutz von Anlegern und Bankkunden. Der Bank of England obliegt neben der Geldpolitik die Aufsicht über die Stabilität des Bankensystems.Der Wechsel zur BoE ist für Bailey eine Rückkehr und kein Neuanfang: Sein Namenszug prangt bereits auf Millionen Pfundnoten. Geboren im englischen Leicester stieß Bailey nach einem Studium in Cambridge bereits im Jahr 1985 zur Notenbank. Er arbeitete sich durch mehrere Abteilungen und bekleidete zeitweilig das Amt des Kassierers, dessen Unterschrift die Banknoten ziert. 2013 stieg er zum stellvertretenden Gouverneur auf, verließ die BoE jedoch drei Jahre später, um den Chefposten der FCA zu übernehmen.Beobachtern gilt Bailey als Insider, der von draußen kommt. In seiner Zeit bei der Notenbank war er zwar nie an Zinsentscheiden beteiligt und ist in geldpolitischer Hinsicht ein unbeschriebenes Blatt. Doch ein wichtiger Teil seiner Reputation gründet auf seinem Umgang mit der globalen Finanzkrise, als er in verantwortlicher Position in der BoE unter anderem die Hypothekenbank Northern Rock und die Royal Bank of Scotland (RBS) vor dem Zusammenbruch bewahrte.Bei der FCA erhielt Baileys Image jedoch Kratzer, weil die Behörde zu spät oder unzureichend auf Skandale reagierte, die Kleinunternehmen oder Kleinanleger schädigten. Der prominenteste Fall des laufenden Jahres ist der Kollaps eines Anlagefonds des populären Fondsmanagers Neil Woodford, der entgegen der Regulierung nicht ausreichend in liquide Vermögenswerte investiert hatte. Privatanleger misstrauischDas Vertrauen der Privatanleger in Bailey gilt deshalb als angeschlagen. Bei institutionellen Finanzmarktteilnehmern sollte ihm das besser nicht passieren. Gegenwärtig ist der Ruf der BoE bereits durch ein schwerwiegendes Sicherheitsleck belastet, das manchen Investoren frühzeitigen Zugang zum Inhalt von Pressekonferenzen ermöglichte.Die Ernennung Baileys kann auch als verpasste Chance gesehen werden. Mit Minouche Shafik, der Direktorin der London School of Economics (LSE), lag auch eine weibliche Kandidatin aussichtsreich im Rennen, die ebenfalls zuvor eine hohe Position in der BoE innehatte. Shafik wäre die erste Chefin in der 325-jährigen Geschichte der Notenbank gewesen. Gerüchten zufolge war der Regierung ihre kritische Haltung zum Brexit aber zu unbequem. Bailey äußerte sich weitgehend neutral zum EU-Ausstieg, betonte aber auch, der Finanzplatz London müsse die Freiheit haben, seine Regeln unabhängig zu definieren. In der VerlängerungWegen der Brexit-Unsicherheit war der derzeitige Gouverneur Mark Carney zwei Mal gezwungen, seine auf zunächst fünf Jahre begrenzte Zeit als Chef der BoE zu verlängern. Er wird es nun noch ein drittes Mal tun, denn statt wie vorgesehen Ende Januar 2020 wird die Staffelübergabe an Bailey erst Mitte März erfolgen. Dadurch fällt der Wechsel nicht mit dem Tag des voraussichtlichen EU-Ausstiegs zusammen. Die wirtschaftlichen Folgen des Brexit werden Baileys auf reguläre acht Jahre angelegte Amtszeit prägen. Nach einer Senkung im Nachgang zum Brexit-Referendum im Sommer 2016 sowie zwei folgenden Erhöhungen liegt der britische Leitzins seit August 2018 unverändert bei 0,75 %. Die Teuerung ist komfortabel gering, ebenso die Arbeitslosigkeit, doch das Wirtschaftswachstum lahmt. Auch innerhalb der Notenbank mehren sich Rufe nach einer Zinssenkung.