Eine Partei in Trümmern
Weniger als vier Wochen vor den Wahlen in den USA ist jener Augenblick gekommen, den die etablierten Republikaner befürchtet hatten: Ihr Präsidentschaftskandidat Donald Trump erkennt, dass er mit seinen unverzeihlichen Eskapaden den Bogen überspannt hat und seine Siegchancen täglich sinken. Wähler, die bisher mit bemerkenswerter Toleranz ein Auge zudrückten und Trumps abstruse Entgleisungen mit jener erfrischenden Offenheit begründeten, die ihm zu einem Durchmarsch bei den Vorwahlen verholfen hatte, sind mit ihrer Geduld am Ende.Nun hat der aufmüpfige Selbstdarsteller, der nie und nimmer freiwillig gehen wird, eine klare Entscheidung getroffen: In den Sog seiner drohenden Niederlage sollen auch sämtliche “illoyalen” Republikaner gezogen werden, die in seiner verzerrten Wahrnehmung einzig und allein für seine Talfahrt verantwortlich sind. Die Folgen könnten gravierend sein. Nach der Kampfansage ihres Kandidaten an die Partei und ihre einflussreichsten Vertreter ist nicht auszuschließen, dass Trump nicht nur im direkten Duell mit Hillary Clinton eine verheerende Niederlage einstecken wird, sondern die Demokraten auch gleich beide Kongresskammern zurückerobern.Begonnen hatte der Sturzflug am vergangenen Wochenende. Als jenes Skandalvideo aufflog, in dem der konservative Kandidat behauptete, dass er es sich als “Star” leisten könne, sich an Frauen zu vergreifen, brach heilloses Chaos aus. Republikaner liefen ihm in Scharen davon. Mittlerweile haben ein Drittel aller republikanischen Senatoren und über zwei Dutzend Abgeordnete Trump den Rücken gekehrt. Weder werden sie für ihn Wahlkampf machen noch dem rechtspopulistischen Demagogen ihre Stimme schenken. Paul Ryan, der Sprecher und somit Fraktionschef des Repräsentantenhauses, also faktisch der mächtigste Republikaner auf dem Kapitolshügel, brachte dann das Fass zum Überlaufen. Auch er könne den Präsidentschaftskandidaten nicht mehr unterstützen, sagte er am Tag nach der zweiten Fernsehdebatte. Erzürnt war er nicht nur über das Video. Ryan hatte erheblich irritiert, dass, anstatt sich aufrichtig zu entschuldigen, der Immobilienunternehmer ein peinliches Spektakel inszenierte und versuchte, seine eigenen Entgleisungen mit dem Verhalten von Ex-Präsident Bill Clinton zu entschuldigen.Prompt warf der selbstverliebte Showmann Trump jenem Parteifreund, dessen Unterstützung er dringender braucht als die jedes anderen Republikaners, vor, “schwach und ineffektiv” zu sein. Sämtlichen Abtrünnigen “werde ich es zeigen”, wetterte er in einem digitalen Amoklauf auf Twitter. Seine Umfragewerte sanken fast stündlich, und am Mittwoch hatte Clinton in sämtlichen heiß umkämpften Staaten wie Florida, North Carolina, Ohio, Michigan und einer Handvoll anderen die Nase vorn oder ihre Führung ausgebaut. Aussagekraft hatte eine Erhebung, die die Stimmung unter US-Wählern besonders akkurat widerspiegelt: Ungeachtet der Tatsache, dass sie der ehemaligen Außenministerin nicht vertrauen, meinten zwei Drittel der Befragten, dass Clinton ein angemessenes Temperament habe, um das höchste Amt im Lande zu bekleiden. Nur ein Viertel spricht dem unberechenbaren Trump diese Eigenschaft zu.Wie auch andere Republikaner hat Ryan mittlerweile erkannt, dass die Präsidentschaftswahl kaum noch zu gewinnen sein wird. Ihm und seinen Parteikollegen geht es vielmehr darum, die Mehrheiten im Parlament zu behaupten, und diese könnten angesichts der Verwirrung in den eigenen Reihen durchaus wackeln. Genüsslich schlachten nämlich demokratische Kandidaten für beide Kongresskammern die Tatsache aus, dass viele ihrer republikanischen Gegner den undisziplinierten Paradiesvogel unterstützen oder bisher unterstützt haben. Wer auf dessen Seite stehe, sei selbst als Volksvertreter nicht tragfähig, argumentieren sie.Die Strategie könnte aufgehen. Im Senat müssen die Demokraten lediglich 4 von 34 zur Disposition stehenden Mandaten zurückerobern und im Unterhaus von jenen 435 Sitzen, die am 8. November zu vergeben sind, einen Nettogewinn von 17 verbuchen. Beide Ziele sind angesichts der bürgerkriegsähnlichen Zustände, die in der Republikanischen Partei herrschen, realistisch.