EZB-FORUM IN SINTRA - IM INTERVIEW: STEFAN GERLACH

"Eine schnellere Anhebung der Zinsen wäre nicht gut"

Der Ex-Vize-Chef der irischen Zentralbank über den jüngsten EZB-Entscheid, die Diskussionen in Sintra und die Geldpolitik der Zukunft

"Eine schnellere Anhebung der Zinsen wäre nicht gut"

Stefan Gerlach gehört zu jener illustren Schar von 150 Gästen, die an der EZB-Konferenz in Sintra teilgenommen hat. Von 2011 bis 2015 war Gerlach selbst Vize-Chef der irischen Zentralbank. Heute ist er Chefvolkswirt der schweizerischen EFG Bank.- Herr Gerlach, was ist die zentrale Erkenntnis, die Sie von der diesjährigen EZB-Konferenz in Sintra mitnehmen?Die hat weniger mit dem eigentlichen Konferenzthema zu tun, sondern mit der aktuellen Geldpolitik: nämlich dass die jüngste geldpolitische Entscheidung der EZB sehr positiv aufgenommen worden ist. Im Gespräch mit Zentralbankern, Akademikern und Marktteilnehmern konnte man eine breite Übereinstimmung feststellen, dass dies der richtige Schritt war.- Lassen Sie uns aber zunächst noch bei der Konferenz bleiben: Würden Sie nach den Sintra-Diskussionen über die “Preis- und Lohnsetzung in den Industrieländern” sagen, dass Zentralbanken die Art, wie sie den Inflationsprozess betrachten und wie sie versuchen, die Inflation zu steuern, grundsätzlich überdenken müssen?Larry Summers hat bei seinem Vortrag argumentiert, dass die Große Depression der 1930er Jahre zur keynesianischen Nachfragepolitik geführt hat und die Große Inflation der 1970er und 1980er Jahre zur Unabhängigkeit der Zentralbanken und zur Inflationssteuerung – dass sich die Politik nach der Großen Rezession jetzt aber kaum verändert hat. Das ist zutreffend. Allerdings wurde die Regulierung der Finanzmärkte erheblich verschärft, und in vielen Ländern wurde die makroprudenzielle Politik eingeführt.- Was müsste sich denn Ihrer Ansicht nach in der Geldpolitik konkret ändern?Es ist für mich noch nicht ganz offensichtlich, was geändert werden sollte – aber die Frage sollte gestellt werden. Macht es beispielsweise Sinn, die Wirtschaft “heiß laufen zu lassen”, wenn sie sich von einer Rezession erholt? So könnte es zum Beispiel gelingen, dass Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt zurückkehren, die es aufgegeben hatten, einen Job zu finden, und die sich zurückgezogen hatten. Es könnte womöglich auch gelingen, Arbeitsmarktgruppen, die historisch niedrige Beschäftigungsquoten haben, anzulocken – beispielsweise Asylsuchende, Personen mit Vorstrafen etc. Sie bleiben dann womöglich in der Erwerbsbevölkerung und können die Wirtschaftstätigkeit für die kommenden Jahre ankurbeln.- Welche Rolle spielt für die Zentralbanken die Kommunikation? Müssen sie, wie in Sintra teilweise argumentiert wurde, stärker den Fokus auf Haushalte und Unternehmen richten statt auf Finanzmarktteilnehmer?Die Kommunikation bleibt wichtig. Aber es scheint klar, dass die Haushalte den Zentralbanken nicht viel zuhören, gerade weil die Inflation für sie kein Thema mehr ist. Im Gegensatz dazu hören die Märkte aufmerksam zu und sie sind es, die die Anleiherenditen und damit die Hypothekenzinsen und die Kreditkosten der Unternehmen bestimmen. Das ist gut.- Was halten Sie von Vorschlägen, ein zeitweises Überschießen des verbreiteten 2-Prozent-Inflationsziels zu tolerieren – wie sie in der US-Notenbank diskutiert werden?Ein vorübergehendes Überschießen wäre kein Problem, wenn es zufällig passiert. Aber ich bin nicht sicher, ob die Zentralbanken darauf hinarbeiten sollten, dass die Inflation überschießt. Das birgt Gefahren.- Was meinen Sie konkret?Im Laufe der Zeit werden sich Episoden von Unter- und Überschießen ausgleichen, so dass die durchschnittliche Inflation über längere Zeiträume dem Ziel entspricht. Wenn die Zentralbanken aber beginnen, am Ziel herumzubasteln, besteht das Risiko, dass Inflationsziele mit der Zeit nicht mehr als verbindlich angesehen werden.- Wie bewerten Sie die Idee, von der Inflations- auf eine Preisniveausteuerung umzusteigen, bei der ein Verfehlen des Ziels in einem Jahr in den nächsten Jahren ausgeglichen werden muss?Ich sehe nicht, dass das bald kommt. Die Vorteile dürften in der Praxis gering sein, aber die Zentralbanken würden ernsthafte Probleme haben, wenn sie diese Politik der Öffentlichkeit erklären würden. Ich sehe auch keinen Bedarf dafür. Etwas zugespitzt formuliert: Das ist eine Lösung, die nach einem Problem sucht.- Sie haben bereits den jüngsten EZB-Entscheid erwähnt. Die EZB hat in Aussicht gestellt, ihre Anleihekäufe Ende 2018 zu beenden. Ist das eine richtige Entscheidung?Ja, ganz sicher. Neue Anleihekäufe haben an Wirksamkeit verloren, und der EZB gingen die Anleihen aus, die sie kaufen kann. Die Wiederanlage fälliger Anleihen aus den 2,4 Bill. Euro der EZB wird die Renditen auf jeden Fall niedrig halten.- Die EZB will zugleich bis weit ins Jahr 2019 hinein die Leitzinsen unverändert lassen. Ist das angemessen und birgt eine solche Guidance nicht Risiken für die Glaubwürdigkeit?Angesichts der niedrigen Inflation ist dies völlig angemessen. Die Prognosen der EZB deuten darauf hin, dass die Inflation mit der derzeitigen Politik allmählich auf 2 % ansteigen wird. Eine schnellere Anhebung der Zinssätze würde zu einer niedrigeren Inflation führen – was nicht gut wäre.—-Die Fragen stellte Mark Schrörs.