Eine "Selbstmordfraktion" auf dem Kriegspfad

Wie eine ideologisch verblendete Abgeordnetentruppe der Republikaner die USA in Geiselhaft nimmt

Eine "Selbstmordfraktion" auf dem Kriegspfad

Von Peter de Thier, WashingtonDas Tauziehen um die Verabschiedung eines neuen Haushaltsgesetzes in den USA und demnächst auch die Anhebung der staatlichen Schuldengrenze geht weiter. Insofern ist in dem Duell zwischen Präsident Barack Obama und der republikanischen Opposition noch kein Ende abzusehen. Die Schuld an dem politischen Debakel in Washington tragen diesmal ausnahmslos rechtsgerichtete Republikaner. Ihr Kalkül: Je vehementer sie gegen die Politik des Präsidenten vorgehen, desto höhere Chancen rechnen sie sich aus, kommendes Jahr in ihrem Wahlbezirk im Amt bestätigt zu werden.In Washington werden sie inzwischen die “Selbstmordfraktion” genannt, weil sie bereit sind, der Wirtschaft und zugleich dem Ansehen des demokratischen Systems in den USA massiven Schaden zuzufügen, allein um ihrer Ideologie treu zu bleiben. Jene exakt 80 Mitglieder zählende “Fraktion” des Repräsentantenhauses demonstrieren seit Monaten ihre Macht, indem sie jedes gesetzliche Vorhaben des Weißen Hauses konsequent zu torpedieren versuchen. Besonderen Anstoß nehmen sie an der 2010 verabschiedeten Gesundheitsreform, die faktisch jedem Amerikaner eine Versicherungspflicht auferlegt. “Es ist purer Sozialismus”, schimpft etwa der texanische Senator Ted Cruz, derzeit der Fahnenträger der Erzkonservativen. “Es handelt sich um einen unzulässigen Eingriff in die Wirtschaft und das Privatleben. Es ist nicht die Sache des Staates, jedem Bürger eine Krankenversicherung vorzuschreiben”, sagt er.Es sind nicht nur die Ansichten dieses Texaners, sondern auch seine Methoden, welche die Vorgehensweise der “Selbstmordfraktion” charakterisieren. Vor dem Ablauf des Fiskaljahres 2013, das am 30. September endete, versuchte Cruz noch mit einem 21 Stunden langen Redemarathon im Plenarsaal des Senats eine Haushaltsabstimmung zu blockieren. Während seine 79 Kollegen, allesamt Sympathisanten des “Tea Party”-Flügels der Partei, Cruz zujubelten, reagierten gemäßigte Republikaner, die mit einem Haushaltskompromiss den seit Tagen andauernden Verwaltungsstillstand verhindern wollten, unverhohlen zornig. Ihr Problem: Sie sind ebenso wie das gesamte politische System – das hatte Obama korrekt festgestellt – Geiseln einer Fraktion, die praktisch jedes Gesetzesvorhaben zu Fall bringen will, speziell wenn es um die Gesundheitsreform, Haushalts- und Steuerpolitik oder Finanzmarktregulierung geht. Blockadekraft der Tea PartyDer Einfluss dieser “Selbstmordfraktion”, durchweg Sympathisanten des erzkonservativen Tea-Party-Flügels, leitet sich aus ihrer reinen Blockadekraft ab: Sie stellen mit 80 Abgeordneten mehr als ein Drittel der 235 gewählten Volksvertreter im Unterhaus. Damit sind sie imstande, fast jedes Gesetz zu stoppen.Wegen des wachsenden Einflusses dieser Gruppe zögern selbst viele moderatere Republikaner, gegen die Konservativen zu votieren. Ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre unnachgiebigen Positionen rühren auch daher, dass die Obama-Gegner ausschließlich aus Wahlbezirken kommen, in denen ihre Chancen auf Wiederwahl im November kommenden Jahres umso größer sind, je extremer sie sich gegen höhere Steuern, staatliche Ausgabenprogramme, gesetzliche Krankenversicherung und striktere Finanzmarktaufsicht stemmen.In keinem der 80 Bezirke, die sich durch einen überproportionalen Anteil weißer Männer mit geringer Schulbildung auszeichnen, konnte nämlich bei der letzten Präsidentschaftswahl Obama die Marke von 30 % der Wählerstimmen knacken. Ted Cruz, den Demokraten polemisch als “den neuen Fraktionschef aller Republikaner in beiden Kongresskammern” bezeichnen, fasst es simpel zusammen: “Wir sind ein kapitalistischer Staat, kein sozialistischer, und unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass das so bleibt.” Sie begreifen aber offenbar nicht, dass sie inzwischen eine Staatspleite riskieren mit dann desaströsen Folgen, wenn sie sich bis zum 17. Oktober auch einer Erhöhung der Schuldengrenze verweigern.