LÄNDERREPORT: ALGERIEN

Einseitig aufgestellte Wirtschaft mit großem Modernisierungsbedarf

Solide makroökonomische Daten dank des hohen Ölpreises - Große anstehende Infrastrukturprojekte - Gute Chancen für deutsche Unternehmen

Einseitig aufgestellte Wirtschaft mit großem Modernisierungsbedarf

Von Sabine Roos *) Algerien ist mit einer Gesamtfläche von 2,3 Mill. Quadratkilometern das größte Land Afrikas. Auch wenn das Staatsgebiet hauptsächlich aus Wüste besteht, reicht die bestehende Infrastruktur nicht mehr aus, den gestiegenen Waren- und Dienstleistungsfluss zu bewältigen.Der Ausbau der Infrastruktur ist jedoch vor allem vor dem Hintergrund der positiven makroökonomischen Entwicklung relevant, die das Land in den vergangenen Jahren dank des hohen Ölpreises verzeichnen konnte: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst kontinuierlich an, 2012 betrug das Plus 2,5 %. Die Inflationsrate lag in den vergangenen drei Jahren jeweils bei für die Region moderaten 3 % bis 6 % und die Staatsverschuldung mit weniger als 10 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf einem Niveau, von dem viele Industrieländern derzeit nur träumen können.Algerien kann sogar mit einem Leistungsbilanzüberschuss von durchschnittlich 8 % in den vergangenen Jahren aufwarten. Auch seine Schulden hat Algerien seit 2005 konsequent zurückgeführt. Entsprechend konnte die Auslandsverschuldung bis Ende 2011 auf unter 5 Mrd. Dollar reduziert werden. Der Zufluss ausländischer Direktinvestitionen betrug 2,847 Mrd. Dollar. Der algerische Dinar ist in einem Managed Float an den US-Dollar angebunden. Die Ölexporte werden in Dollar quotiert, die meisten Importe jedoch werden in Euro fakturiert, weswegen die Zentralbank die Schwankungen gegenüber dem Euro möglichst gering zu halten sucht.Politisch blieb es in Algerien zu Zeiten der sogenannten Arabischen Revolutionen in den Nachbarländern vergleichsweise ruhig: So kam es zwar auch in Algerien Anfang 2011 zu Protesten junger Algerier. Präsident Bouteflika, der 2009 für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden war, hob jedoch den seit 19 Jahren geltenden Ausnahmezustand auf und kündigte außerdem einen umfassenden politischen Reformprozess an. Daraufhin wurden unter anderem Parteien-, Wahl-, Vereins- und Informationsgesetz reformiert. Die ebenfalls angekündigte Verfassungsreform ist allerdings noch nicht umgesetzt worden. Prekäre SicherheitslageAktuelle Schlagzeilen machte nach dem Überfall islamischer Rebellen auf eine BP-Gasförderanlage die prekäre Sicherheitslage insbesondere im Süden des Landes, in der sogenannten Sahelzone, die das Magazin “Economist” jüngst auch als “Afrighanistan” betitelte. Sowohl kriminelle Banden als auch Al Qaida im Maghreb (AQM) suchen dort gezielt nach westlichen Entführungsopfern und es besteht eine erhöhte Gefahr terroristischer Gewaltakte. Das Auswärtige Amt rät von Reisen ab. Westliche Firmen, insbesondere Ölkonzerne, überprüfen derzeit ihre Sicherheitskonzepte, auch sie rechnen in Zukunft mit einer Zunahme an Anschlägen und Unruhen.Möchte das Land seine positive wirtschaftliche Entwicklung fortführen, müssen neben einer Stabilisierung der Sicherheitslage vor allem auch weitreichende Reformen und Investitionsprojekte in Angriff genommen werden. Dies betrifft sowohl die Entwicklung und Modernisierung der Infrastruktur als auch den Wohnungsbau und den Ausbau öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Krankenhäuser und Universitäten. Das staatliche Investitionsprogramm 2010-2014, das hierzu aufgesetzt wurde, umfasst ein Volumen von 286 Mrd. Dollar, die vor allem in den Infrastrukturausbau und Wohnungsbau fließen sollen. Das Schienennetz soll bis 2015 auf 10 500 Kilometer ausgebaut und somit mehr als verdoppelt werden. Im Fokus stehen insbesondere neue Intercity-Verbindungen sowie der Ausbau des S- und U-Bahn-Netzes in den großen Städten, in denen inzwischen 66 % der algerischen Bevölkerung leben, Tendenz steigend. Für den Straßenbau sind 23 Mrd. Euro eingeplant, davon soll die Hälfte für den Bau einer 1 200 Kilometer langen Ost-West-Autobahn inklusive Mautstationen, Autobahnraststätten und Servicecentern verwendet werden. Im Wohnungsbau sind 2,45 Mill. neue Wohnungen in Planung, davon über die Hälfte im städtischen Bereich. Diese Zahlen tragen dazu bei, dass bereits jetzt der Bausektor der am schnellsten expandierende Wirtschaftszweig ist und jeden fünften algerischen Arbeitnehmer beschäftigt. Mangel an ArbeitsplätzenAuch im Energiesektor stehen Megaprojekte an: So ist eine Verdopplung des Produktionsvolumens geplant, was dem geplanten Bau acht neuer Kraftwerken geschuldet ist. Das Stromnetz soll von 10 000 Kilometer auf 44 000 Kilometer Länge ausgebaut und vor allem durch den Auf- und Ausbau von Fotovoltaik- und Solarthermieanlagen gespeist werden. Auch bei den klassischen Energieträgern sind weitere Investitionen geplant: So sollen von Algerien zwei neue Erdgas-Pipelines nach Spanien und Italien gebaut werden. Die EU ist nicht nur der wichtigste Handelspartner Algeriens, sondern auch der Hauptabnehmer algerischer Energie-Exporte. Seit 2005 besteht ein Assoziierungsabkommen mit dem Ziel einer gemeinsamen Freihandelszone bis 2020. Wie auch in vielen anderen afrikanischen Ländern nehmen allerdings die Exporte in die BRIC-Staaten Brasilien, Russland, Indien und insbesondere China exponentiell zu.Der Ausbau der Infrastruktur ist für die Diversifizierung der algerischen Wirtschaft von enormer Bedeutung. Derzeit erbringen Öl- und Gasexporte rund 98 % der Exporteinnahmen und tragen je nach Energiepreis zwischen 30 % und 46 % zum BIP bei. Ihrer Struktur nach ist die algerische Volkswirtschaft eine staatlich dominierte Rentenwirtschaft auf Basis von Erdöl und Erdgas. Der Großteil aller Industrie- und Konsumgüter wird aus dem Ausland importiert. Anders als in den Nachbarländern Marokko und Tunesien ist der Tourismussektor nur sehr schwach entwickelt und schafft bisher kaum Arbeitsplätze. Dies soll sich aber in den nächsten Jahren ändern. Im Lichte der aktuellen Schlagzeilen der Region ist dies allerdings schwer vorstellbar.Der Erdöl- und Erdgassektor generiert zwar hohe Einnahmen, sorgt aber nicht für genügend Arbeitsplätze. Dies führt zu einer hohen Arbeitslosigkeit, die die politische Stabilität gefährdet. Die Arbeitslosigkeit betrug in den letzten Jahren offiziell knapp 10 %. Inoffizielle Schätzungen gehen jedoch von weitaus höheren Zahlen aus, denen zufolge jeder fünfte bis jeder vierte, insbesondere junge Algerier arbeitslos ist. Die Hälfte der 37 Millionen Algerier ist unter 28 Jahre alt. Die Regierung bemüht sich zwar, die Entstehung von Arbeitsplätzen zu fördern, indem sie versucht, den Privatsektor zu stärken, und vor allem kleine und mittlere Unternehmen und die Landwirtschaft unterstützt.Die geringe Effizienz des Banken- und Finanzsektors und die schwachen Kapazitäten der öffentlichen Verwaltung führen allerdings weiterhin zu einem für den Privatsektor ungünstigen Geschäftsklima. So besteht für ausländische Unternehmen kein freier Marktzugang auf den algerischen Markt: Ausländische Unternehmen dürfen im Land nur mit 51-prozentiger Beteiligung algerischer Unternehmen gegründet werden und benötigen hierfür die Erlaubnis des Conseil National de l’Investissement. Gute BeziehungenDennoch: Laut Angaben der deutsch-arabischen Handelskammer sind mehr als 150 deutsche Unternehmen in Algerien aktiv und es besteht ein hohes Geschäftspotenzial, insbesondere im Bau- und Energiesektor. Die deutsch-algerischen Wirtschaftsbeziehungen sind traditionell gut, es bestehen ein deutsch-algerisches Investitionsschutzabkommen und ein Rahmenabkommen zur technischen Zusammenarbeit. Ein Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung trat 2007 in Kraft.—-*) Sabine Roos ist Volkswirtin und Länderspezialistin Middle East bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft .