Emotionaler Streit über EZB-Politik
Von Mark Schrörs, FrankfurtFinanzkonferenzen, zumal wenn sie stark wissenschaftlich geprägt sind, sind meist eher trockene Veranstaltungen. Die Reden und Wortbeiträge sind häufig vor allem etwas für Feinschmecker des jeweiligen Themas, die Diskussionen überwiegend sachlich und selten sonderlich lebhaft. Umso bemerkenswerter war das, was sich gestern beim ersten Geldpolitik Forum der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) an der Goethe-Universität Frankfurt abspielte.Passend zum Wachwechsel bei der Europäischen Zentralbank (EZB) von Mario Draghi zu Christine Lagarde (vgl. BZ vom 31. Oktober) hatte die Kommission Geldpolitik der DVFA das Forum mit der Überschrift versehen: “Die zukünftige Geldpolitik im Euroraum: Neubeginn oder weiter wie gehabt?” Die Strategie der EZB, die Herausforderungen für die gegenwärtige Geldpolitik, die Rolle der Zentralbank für die Finanzstabilität – all diese Aspekte standen auf der Agenda. Rund 100 Gäste hatten sich im Renate von Metzler-Saal im Casino der Uni eingefunden.So richtig hoch her ging es aber, als es um die Unabhängigkeit der EZB ging. “Die Unabhängigkeit der supranationalen EZB als institutionelle Versuchung” – schon der Titel dieses Teils des Forums war provokant formuliert. Noch mehr aber galt das für den Impulsvortrag von Markus C. Kerber. Professor an der TU Berlin und Mitglied der DVFA Kommission Geldpolitik: “Unabhängigkeit oder grenzenlose Macht?” hatte er seinen Vortrag überschrieben.Kerber, der wiederholt vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen die EZB-Anleihekäufe geklagt hat, ging erneut hart ins Gericht mit der Zentralbank – und das bekannt wortgewaltig: Die EZB habe ihre Unabhängigkeit genutzt, um ihr Mandat maßlos zu überziehen, wetterte Kerber, der auch wieder von einer “Diktatur” der EZB sprach. Sein Fett bekam auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) ab, der der EZB keine Grenzen setze. Beim anschließenden Panel spielte sich Kerber als Moderator dann die EZB-kritischen Bälle zu mit Christoph Degenhart, Professor für Staatsrecht an der Universität Leipzig, und Stefan Homburg, Professor für öffentliche Finanzen an der Universität Hannover.Degenhart, der in Karlsruhe die Kläger gegen die EZB vertreten hatte, kritisierte etwa, dass das Recht auf Demokratie zwischen den EU-Institutionen EZB und EuGH zerrieben zu werden drohe und dass die EZB losgelöst von unmittelbarer staatlicher oder supranationaler parlamentarischer Verantwortlichkeit agiere. Homburg klagte, “die EZB verstößt ganz offensichtlich gegen ihr Mandat” und betreibe monetäre Staatsfinanzierung – und er sagte, er finde die Unabhängigkeit der EZB “zunehmend bedrohlich”. Der Deutschland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider, als vierter Panellist verstummte da zusehends.Nicht so aber Volker Wieland, Wirtschaftsweiser und Professor am Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) der Goethe-Universität. Als “Hausherr” müsse er das Wort ergreifen, weil die Diskussion einseitig und auf die “schiefe Bahn geraten” sei, sagte er. Wieland erinnerte daran, dass der EuGH die Anleihekäufe der EZB als vom EZB-Mandat gedeckt bezeichnet habe. Zumindest im Fall des OMT-Kaufprogramms habe sich auch Karlsruhe dem angeschlossen – wenn auch unter einigen Bedingungen. Wieland, selbst ein Kritiker der ultralockeren EZB-Politik, sagte zudem, solche Käufe seien “ein normales Instrument der Geldpolitik”.Was folgte, war ein teils emotionaler Schlagabtausch zwischen den Panellisten und Wieland, bei dem sich auch der ein oder andere Zuhörer kritisch einschaltete. Am Ende bedankte sich Ingo Mainert, CIO Multi Asset Europe bei Allianz Global Investors und stellvertretender Leiter der DVFA Kommission Geldpolitik, für die “emotionale und konfrontative Diskussion” – nicht ohne hinterherzuschieben, dass es bei allen Beiträgen um persönliche Meinungen und keine Verbandsposition gehe.Der Rest des Tages verlief dagegen unspektakulär: OECD-Vize-Generalsekretär Ludger Schuknecht etwa forderte eine weltweite stabilitätspolitische Kraftanstrengung der Regierungen – auch um die Geldpolitik zu entlasten. Frank Engels, Leiter Portfoliomanagement bei Union Investment, warnte vor einer zunehmenden “Japanisierung” der Eurozone. Und EZB-Generaldirektor Ulrich Bindseil bezeichnete die Euro-Geldpolitik als auf “Autopilot” und avisierte ein “Fine-Tuning der EZB-Strategie”. Da herrschte dann eher normaler Finanzkonferenzen-Modus.——Beim Geldpolitik Forum der DVFA geraten deutsche Professoren über die EZB aneinander.——