Ende der Diskriminierung von Spaniens Autofahrern
Das berüchtigte Sommerloch eignet sich auch in Spanien hervorragend als politisches Testlabor. Die nachrichtlich ausgehungerten Medien nehmen Filtrationen gerne auf und stoßen Debatten an, die für die Verantwortlichen als Stimmungstest dienen. Dieses Jahr kommt in Spanien hinzu, dass derzeit überhaupt keine voll funktionsfähige Regierung im Amt ist, denn der geschäftsführende Ministerpräsident Pedro Sánchez ist weiter auf der Suche nach den nötigen Stimmen für eine sozialistische Minderheitsregierung. Das Durchstechen von Zukunftsplänen aus den Ministerien hat daher den praktischen Nebeneffekt, dass bei den wenigen Lesern, Zuhörern oder Zuschauern im August der Eindruck entstehen könnte, die Politik würde tatsächlich etwas bewegen.Die neuesten dieser Debatten sind die – nicht offiziell bestätigten – Pläne des Bau- und Verkehrsministeriums, das offenbar überlegt, das gesamte Autobahnnetz des Landes zahlungspflichtig zu machen. Alle Nutzer der Schnellstraßen sollen demnach allerdings nur einen “symbolischen Betrag” zu deren Instandhaltung beitragen. Dafür sollen die Gebühren für die bestehenden Mautstraßen deutlich fallen. Denn im an Asymmetrien nicht armen Spanien ist das umfangreiche und gut ausgebaute Autobahnnetz ein Flickenteppich. Wer schon mal mit dem Auto über die französische Grenze ins Land gekommen ist, weiß, dass man sowohl im Baskenland als auch in Katalonien zur Kasse gebeten wird, ebenso bei der Fahrt entlang der Mittelmeerküste. Im Rest des Landes gilt dagegen überwiegend freie Fahrt. Natürlich will der spanische Staat so auch an Fahrern in den klassischen Touristengebieten mitverdienen. Doch diese ungleiche Verteilung hat auch zu politischen Spannungen geführt. Schon lange vor dem nicht erlaubten Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien im Oktober 2017 wurde man in Barcelona häufig auf die ungerechte Behandlung hingewiesen. Während die Fahrer in Katalonien alle paar Kilometer am Kassenhäuschen anstehen mussten, konnten die “motoristas” in Madrid, Kastilien und anderswo gratis zirkulieren.”Es kann nicht sein, dass in einigen Gebieten bezahlt wird und in anderen nicht”, räumte Sánchez` geschäftsführender Verkehrsminister Jose Luis Abalos vor kurzem ein. Ein weiteres Argument ist, dass Reisende mit Zug oder Flugzeug Gebühren zahlen, das Straßennetz aber größtenteils umsonst genutzt werden kann. Abalos hat bereits etwas vorzuweisen: In seinem ersten Amtsjahr verlängerte er die ausgelaufenen Lizenzabkommen mit privaten Mautstraßenbetreibern nicht. Stattdessen fielen die Strecken in staatliche Hand zurück, und die Gebühren wurden abgeschafft. Auch weitere “autopistas” sollen von den privaten Unternehmen zurückgewonnen werden, sobald deren Lizenz endet.Die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft war für den Ausbau des Straßennetzes unumgänglich, da die Unternehmen die Konstruktion finanzierten – im Gegenzug für das jahrelange Recht auf die Vermarktung der Strecken. In Spanien hat man jedoch auch sehr negative Erfahrungen mit den Schnellpisten gemacht. Besonders während des Immobilienbooms in den Nullerjahren, die in der Blase endeten, wurden vielerorts neue Strecken in die Landschaft gesetzt, die nicht immer unbedingt verkehrspolitischen Sinn machten.Vor allem rund um Madrid entstanden mehrere Mautstraßen parallel zu den freien Autobahnen. Im Fieber der Stein- und Mörtelblase kalkulierte die Regierung einen massiven Anstieg des Verkehrsaufkommens in naher Zukunft ein, der die Grundlage für die Lizenzverträge mit den privatwirtschaftlichen Betreibern war. Doch diese Rechnung ging nie auf. Einige Mautstraßenfirmen gingen pleite und mussten auf Kosten der Steuerzahler gerettet werden.Wie genau in Zukunft die Fahrer auf allen Autobahnen ihren Obolus abtreten, wurde zunächst nicht bekannt. Abalos wollte die Pläne am Dienstag in einem Fernsehinterview weder bestätigen noch dementieren. Es sind ja erst einmal nur Gedankenspiele, denn der geschäftsführenden Regierung sind bei Gesetzesinitiativen die Hände gebunden. Sollte Sánchez bis zum 23. September keine Mehrheit im Parlament schmieden, käme es zur Neuwahl. Für die Autofahrer bliebe dann vorerst alles beim Alten.