LEITARTIKEL

Ende der Verzagtheit

Theresa May hat sich nach langem Zögern entschieden. Sie setzt nun lieber auf die Hardliner in der eigenen Partei als auf einen parteiübergreifenden Konsens, wenn es um das Thema Brexit geht. Schließlich hat eine Mehrheit der Briten für den...

Ende der Verzagtheit

Theresa May hat sich nach langem Zögern entschieden. Sie setzt nun lieber auf die Hardliner in der eigenen Partei als auf einen parteiübergreifenden Konsens, wenn es um das Thema Brexit geht. Schließlich hat eine Mehrheit der Briten für den EU-Austritt gestimmt – und zwar für den Austritt aus gemeinsamem Markt und Zollunion, auch wenn das heute manche nicht mehr wahrhaben wollen. Und die Brexit-Gegner im Unterhaus schafften es nicht, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen.Nachdem May am Dienstag vom Parlament das Mandat dafür bekam, auf die Ersetzung der Vereinbarungen zu Nordirland im EU-Austrittsvertrag durch “alternative Arrangements” zu dringen, fiel ihre bisherige Verzagtheit von ihr ab. Labour-Abgeordnete aus Wahlkreisen, die für den Brexit gestimmt hatten, verhalfen ihr zum Sieg. May nähert sich damit wieder den Vorstellungen zur Gestaltung des EU-Austritts, die ihr von der Verwaltung ausgeredet worden waren. Und Labour-Chef Jeremy Corbyn erkannte die Zeichen der Zeit und zeigte sich gesprächsbereit, nachdem er sich zuvor geweigert hatte, eine Einladung Mays zu Verhandlungen über den Brexit anzunehmen.Man mag für eine Schmierenkomödie halten, was sich im britischen Unterhaus abspielte. Manche Auftritte wirkten unfreiwillig komisch, es fehlte nicht an dramatischen Einlagen. Tatsächlich aber handelte es sich nicht nur um einen Wendepunkt in Sachen Brexit, sondern auch um den Anfang vom Ende der Ära der Technokraten. Mays Brexit-Sherpa Oliver Robbins ist ein typischer Vertreter dieser Kaste, die in Whitehall den Ton angibt. Dass der Austrittsvertrag, den er mit seinesgleichen in Brüssel aushandelte, im Parlament mit großem Getöse niedergestimmt wurde, ist Ausdruck der Krise eines Politikstils, bei dem eine möglichst effiziente Verwaltung des Wahlvolks im Vordergrund steht. Robbins dürfte sich fortan im Hintergrund halten. Im britischen Unterhaus findet derweil eine Rückbesinnung darauf statt, wem man seinen Sitz im Parlament eigentlich verdankt.Es wird wohl genau diese Angst vor dem eigentlichen Souverän, dem Wähler, gewesen sein, die eine Mehrheit der Abgeordneten davon abgehalten hat, der Regierung mit Geschäftsordnungstricks das Heft des Handelns zu entreißen und den EU-Austritt auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Was als Übernahme der Kontrolle über den Brexit-Prozess durch das Parlament angekündigt war, versandete kläglich. Zum Glück, denn der Blick nach Frankreich oder Italien zeigt, was passiert, wenn Politiker die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen ignorieren. In Großbritannien gibt es weder Unruhen noch radikale Parteien mit erwähnenswertem Anhang. Das dürfte auch so bleiben, wenn man in Westminster weiter auf die Bevölkerung hört. Entscheidungsprozesse lassen sich zwar auf diese Weise nicht so gut managen wie andernorts, dafür brennen aber auch keine Autos in den Straßen.Was von den lautstarken Auftritten der Austrittsgegner bleibt, ist das Votum des Unterhauses, einen Brexit ohne vorherige Übereinkunft mit Brüssel nicht zulassen zu wollen. Für das Handeln der Regierung ist es nicht verbindlich. Sie strebt ohnehin kein “No Deal”-Szenario an. Ein Widerruf des Austrittsgesuchs durch das Parlament ist allerdings kaum noch vorstellbar.Für Brüssel war die Stärkung der Premierministerin der denkbar schlechteste Ausgang der parlamentarischen Debatte über den Austrittsvertrag. Man muss sich fragen, warum so viel Zeit darauf verschwendet wurde, eine Einigung unter Technokraten bis in die letzten Einzelheiten auszuarbeiten, für die es am Ende keine Mehrheit gibt. Schon vom Ausgang des Referendums wurde man überrascht, dann war man nicht darauf vorbereitet, dass May den erklärten Willen der Bevölkerung nicht einfach ignorieren wollte. Es wäre an der Zeit für einen radikalen Neubeginn. Eine schnelle Lösung ist vor diesem Hintergrund nicht in Sicht. Bis zum 29. März lässt sich der Vertrag nicht anpassen, um allen Wünschen Rechnung zu tragen. Der Brexit wird später stattfinden, wenn er geordnet erfolgen soll. Lehnt die EU Verhandlungen weiter ab, wird ihr die Schuld für einen Crash-out des Vereinigten Königreichs zugeschoben.—–Von Andreas HippinDie britische Debatte über den Brexit hat einen Wendepunkt erreicht. Die Austrittsgegner im Parlament sind gescheitert. —–