GASTBEITRAG

Energiebranche setzt Impulse für diversifiziertes Wachstum in Aserbaidschan

Börsen-Zeitung, 29.11.2012 Abhängigkeit, mangelnde Diversifizierung oder die Holländische Krankheit - immer wieder fallen solche Begriffe, wenn es um Staaten mit einer starken Ölindustrie geht. Auch in Aserbaidschan ist die Ölförderung eine zentrale...

Energiebranche setzt Impulse für diversifiziertes Wachstum in Aserbaidschan

Abhängigkeit, mangelnde Diversifizierung oder die Holländische Krankheit – immer wieder fallen solche Begriffe, wenn es um Staaten mit einer starken Ölindustrie geht. Auch in Aserbaidschan ist die Ölförderung eine zentrale Säule des Markts – die genannten Schlagworte werden der Wirtschaftsstruktur des Landes trotzdem nicht gerecht. Denn die Ölindustrie setzt wichtige Impulse zur Diversifizierung der Wirtschaft.Seit 2002 hat sich die Wirtschaftsleistung Aserbaidschans verzehnfacht. Mit Wachstumsraten von 5 % (2010), 0,2 % (2011) und 7,1 % (Prognose des Internationalen Währungsfonds für 2012) entwickelt sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwar nicht mehr so rasant wie vor der Krise 2008. Aserbaidschan gilt aber weiterhin als attraktiver Investitionsstandort – insbesondere mit Blick auf die stagnierende europäische Wirtschaft.Obwohl Aserbaidschan mit 1,5 Mrd. Tonnen über enorme Ölvorkommen verfügt und diese noch lange nicht aufgebraucht sind, investiert die Regierung seit längerem in die Diversifizierung der Wirtschaft. Nicht nur im Energiesektor selbst zeigen sich die Erfolge. Mehr und mehr Branchen profitieren vom guten Investitionsklima im Land – dazu tragen sowohl die Unterstützung des staatlichen Ölfonds Sofaz als auch ausländische Investitionen bei. Zahlreiche Großprojekte machen Aserbaidschan wettbewerbsfähiger und bauen den Dienstleistungssektor weiter aus. Beispiele finden sich in den Bereichen Energie, Baugewerbe, Infrastruktur, Transport, Telekommunikation sowie Agrarwirtschaft und Tourismus. Neuer ChemieparkTrotz Schwankungen der internationalen Energiemärkte wurde der aserbaidschanische Nichtölsektor im Jahr 2011 um 10 % ausgebaut. Die Förderung neu entdeckter Erdgasvorkommen lässt einen Anstieg des BIP ab 2014 erwarten. Die verarbeitende Industrie plant beispielsweise ein Großprojekt in Sumgayit, 30 Kilometer nördlich von Baku. Dort entsteht ein Chemiepark, den auch internationale Unternehmen als Standort nutzen werden: ThyssenKrupp investiert dort in eine Düngemittelfabrik, Siemens hat eine Erdgasaufbereitungsanlage aufgebaut. Auch im Bereich erneuerbare Energien setzt sich Aserbaidschan mit 15 % bis 2020 ehrgeizige Ziele. Bereits jetzt macht deren Anteil an der Stromerzeugung 9,3 % aus.Unerwartetes Wachstum zeigte 2011 die Baubranche. Nach dem Hoch von 2006 wurde auch Baku zwischenzeitlich von der globalen Krise heimgesucht. Aber die letzten Entwicklungen (Anteil von 8,3 % am BIP) deuten für 2012 auf einen neuen Aufwärtstrend hin. 36,5 % der Gelder flossen in öffentliche Infrastrukturprojekte. Diese verbessern das Investitionsklima weiter. Beispiele sind der Ausbau des International Heydar Aliyev Airport oder des Baku Sea Trade Port mit der Errichtung einer Werft. Kurz vor der Fertigstellung steht die Eisenbahnlinie Baku-Tblisi-Kars, die Aserbaidschan über Georgien mit der Türkei verbindet – und zukünftig durch das Marmaris-Projekt auch an Europa angeschlossen wird. Der Transportsektor floriert. Das bestätigt ein Blick auf die Schifffahrt: Seit Mitte der neunziger Jahre verzeichnet dieser Bereich Wachstumsraten von 20 % pro Jahr. Auch in der Informations- und Kommunikationstechnologie spielt der Privatsektor eine große Rolle. Nach der Ölindustrie verzeichnet die Telekommunikation die meisten Auslandsinvestitionen. Im Jahr 2011 verbuchte sie mit 11,5 % den schnellsten Zuwachs am BIP.Die neun unterschiedlichen Klimazonen im Land schaffen ideale Voraussetzungen für zwei weitere Wachstumsbereiche: Tourismus und Landwirtschaft. Der Agrarsektor ist ein wichtiger Arbeitgeber und wuchs 2011 um weitere 5,8 %. Seit 2000 ist die Landwirtschaft damit jedes Jahr um 10 % gewachsen und deckt 70 % des landeseigenen Verbrauchs selbst. Bis 2015 sollen weitere 5 bis 6 % Produktionswachstum dazukommen. Mit einem Anteil von 5,5 % am BIP hat sich die Landwirtschaft zur drittstärksten Branche entwickelt.Zwischen 2006 und 2011 stieg die Anzahl der Touristen aus dem Ausland um durchschnittlich 10 % pro Jahr. 2011 entspricht das 2,23 Millionen Urlaubern aus dem Ausland. Seit 2006 nahm die Anzahl der Hotels um 78 % zu, bedingt durch den Einzug internationaler Hotelketten wie Kempinski, Sheraton, Hilton, Hyatt oder Fairmont. Noch ReformbedarfUm das Investitionsklima und das Wachstum noch stärker zu verbessern, sind weitere Reformen notwendig. Ein Beispiel: Im Bankensektor besteht – im internationalen Vergleich – noch Nachholbedarf. Der Bankensektor ist die am zweitschnellsten wachsende Branche des Landes. Als Achillesferse bezeichnen IWF-Analysten die Vorherrschaft der staatlichen International Bank of Azerbaijan (IBA). Die Entwicklung einer Privatisierungsstrategie wird in Aserbaidschan positiv gesehen. Die Pläne werden in naher Zukunft öffentlich diskutiert. Das Problem der Korruption hat die aserbaidschanische Regierung erkannt und Anfang 2011 eine Antikorruptionskampagne ins Leben gerufen.Aserbaidschan pflegt eine starke regionale Zusammenarbeit und öffnet sich immer weiter. Aserbaidschan wird so immer mehr zur Drehscheibe zwischen Europa, Mittelost und Asien. Die fortschreitende Diversifizierung der Wirtschaft sowie das investitionsfreundliche Klima machen Aserbaidschan zu einem Zukunftsmarkt. Deutschland und Aserbaidschan beispielsweise schlossen bereits im vergangenen Jahr ein Abkommen zur Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen. Mit der Eröffnung der Deutsch-Aserbaidschanischen Auslandshandelskammer folgte am 12. November 2012 in Baku ein nächster wichtiger Schritt.