Erfolgsgeschichte oder zum Scheitern verurteilt?
Lorenzo Bini Smaghi, Chairman Société Générale und Ex-EZB-Direktoriumsmitglied:
„In den vergangenen 20 Jahren seit der Einführung der Euro-Banknoten haben wir zwei große Krisen erlebt, die größtenteils durch externe Faktoren verursacht wurden: die große Finanzkrise von 2008, die ihren Ursprung in den USA hatte, und die Covid-Pandemie. Europa hat sie nicht nur überstanden, sondern ist auch gestärkt daraus hervorgegangen, was vor allem auf die starken Verbindungen zurückzuführen ist, die der Euro geschaffen hat. Ein Beispiel dafür ist der große Erfolg, den die EU-Anleihen, die zur Finanzierung des EU-Programms Next Generation EU ausgegeben wurden, auf den Finanzmärkten in aller Welt hatten. Die Welt wünscht sich ein starkes und stabiles europäisches Finanzsystem. Es sind noch nicht alle Probleme gelöst, und es muss noch viel erreicht werden. Aber die Lehren der vergangenen 20 Jahre zeigen, dass diejenigen, die an die Zukunft einer gemeinsamen Währung geglaubt haben, Recht hatten, und dass diejenigen, die aus Angst vor einer Katastrophe heulten, Unrecht hatten.“
Clemens Fuest, Präsident Ifo-Institut:
„Der Euro ist bislang eine wertbeständige Währung, aber seine Entwicklung zeigt auch, dass eine Währungsunion souveräner Staaten erhebliche Probleme der Governance der Fiskalpolitik und des Finanzsektors aufwirft. In schweren Wirtschaftskrisen brauchen Staaten eine Notenbank als Lender of Last Resort. Die EZB sollte diese Rolle nicht spielen, weil sie dafür kein Mandat hat, vorübergehende Liquiditätsprobleme oft schwer von dauerhafter Überschuldung abgrenzbar sind und einzelne Mitgliedstaaten Kosten ihrer Verschuldung auf die Gemeinschaft abwälzen können. Es besteht die Gefahr, dass die Eurozone sich zunehmend zu einer Transferunion entwickelt, in der die Steuerzahler aller Mitgliedstaaten zunehmend für wirtschaftliche Probleme einzelner Staaten haften müssen, obwohl sie deren Politik nicht beeinflussen können.“
Thomas Mayer, Gründungsdirektor Flossbach von Storch Research Institute:
„Nach der Lateinischen Münzunion (LMU) ist der Euro das zweite, von französischen Politikern inspirierte Projekt, den europäischen Kontinent über eine Währungsunion zu einen und Frankreich dabei eine Führungsrolle zu sichern. Von 1865 bis in die frühen 1920er Jahre litt die LMU an der von Griechenland und Italien ausgehenden Zersetzung und scheiterte schließlich an den Unterschieden in Wirtschaftsstruktur und Wirtschaftskultur ihrer Mitgliedsländer. Zwar wiederholt sich Geschichte nicht, aber nach Mark Twain kann sie sich reimen. Bisher reimt sich die Entwicklung der Europäischen Währungsunion (EWU) auf den Verlauf der LMU. Nach einem guten Anlauf in ihrem ersten Jahrzehnt erlebte die EWU im zweiten Jahrzehnt ihre erste Existenzkrise, wieder mit Griechenland und Italien in den Hauptrollen. Zur Zähmung der realwirtschaftlichen Zentrifugalkräfte und Rettung des Euro wurde die in die EU-Verträge eingebettete „nordische Wirtschaftskultur“ (hartes Geld, harte Budgetrestriktionen) durch die „lateineuropäische Wirtschaftskultur“ (weiches Geld, weiche Budgetrestriktionen) ersetzt. Der Euro wurde vom beabsichtigten Nachfolger der D-Mark zum faktischen Nachfolger der italienischen Lira umgebaut. Die LMU endete nach langer Krankheit effektiv im Jahr 1920, nachdem die Schweiz ihren Silbergeldumlauf nationalisiert hatte. Die Lira litt seit der im Jahr 1971 beginnenden Auflösung des Bretton-Woods-Währungssystem an schwerer Schwindsucht, bis sie im Jahr 1999 in den Euro aufging. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass die Lira im Euro wieder auferstanden ist und die EWU schließlich dem Schicksal der LMU folgen wird.“
Peter Bofinger, Professor für Volkswirtschaftslehre Universität Würzburg:
„Als die deutsche Inflationsrate im November 2021 die Schwelle von 5% überschritt, war das für viele der endgültige Beleg dafür, dass die Europäische Zentralbank nicht bereit oder in der Lage sei, Geldwertstabilität zu gewährleisten. Jetzt räche sich die seit Jahren zu expansive Politik, die letztlich nichts anderem als der Finanzierung wirtschaftlich schwächerer Mitgliedstaaten diene. Kein Wunder, dass da Jens Weidmann nicht länger Präsident der Bundesbank sein wollte.
War der Euro also ein epochaler Fehler? Zur Einordnung bietet es sich an, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Vor genau 40 Jahren, im November 1981, lag die deutsche Inflationsrate bei 7,1%. Niemand hätte damals die Stabilitätsorientierung der Bundesbank in Frage gestellt, weil klar erkennbar war, dass der Inflationsschub auf stark steigende Ölpreise und eine Abwertung der D-Mark gegenüber dem Dollar zurückzuführen war.
Bei der Beurteilung der Geldpolitik muss man deshalb immer das globale Umfeld mit im Blick haben. Ist es überraschend, dass die Covid-Pandemie, der größte Schock für die Weltwirtschaft seit dem Zweiten Weltkrieg, zu gravierenden Verwerfungen bei Energie- und Rohstoffpreisen geführt hat?
Dass die EZB in dieser schwierigen Phase jedenfalls nicht schlechter agiert hat als altehrwürdige Notenbanken, lässt sich daran ablesen, dass die Inflationsrate des Euroraums im November mit 4,9% niedriger war als in Großbritannien (5,1%) und in den Vereinigten Staaten (6,8%).
Und bei aller Bundesbank-Nostalgie: Ist es ist nicht von Vorteil, dass man sich in der Pandemie nicht auch noch mit europäischen Währungskrisen herumschlagen muss?“
Jürgen Stark, Ex-EZB-Chefvolkswirt:
„Ökonomisch war die Einführung des Euro-Bargelds unbedeutend, politisch und psychologisch dagegen eine Zäsur.
Insgesamt gesehen ist die Zeit seit der Euro-Einführung eine Phase der Preisstabilität. Das ist eine große Errungenschaft und war so nicht unbedingt zu erwarten. Das wurde zunächst erreicht durch eine angemessene geldpolitische Strategie und in den vergangenen Jahren trotz falscher Diagnosen der EZB. Sie hat das Risiko der Deflation 2014 überschätzt, so wie sie jetzt das Risiko einer länger andauernden Inflationsphase unterschätzt. Basierend auf diesen Fehldiagnosen setzt sie ihre ultra-expansive Geldpolitik fort und befeuert damit den weiteren Anstieg der Vermögenspreis- und Verbraucherpreisinflation. Der Ausstieg aus dieser Politik wird von Tag zu Tag schwieriger und kann zu erheblichen Friktionen führen.
Enttäuschend ist, dass sich die politischen Erwartungen in den Euro nicht erfüllten. Weder wirkte die Wirtschafts- und Währungsunion als Katalysator für die politische Integration, noch ist das Währungsgebiet wirtschaftlich und wirtschaftspolitisch zusammengewachsen. Im Gegenteil: Statt verstärkter dauerhafter Konvergenz zeigen sich zum Teil stark divergierende Entwicklungen. Es besteht kein wirtschaftlicher Gleichlauf. Regeln wurden gedehnt, uminterpretiert und missachtet. Selbst gemachte Krisen waren die Folge. Verantwortlich dafür sind die EU-Kommission und der Ministerrat.
Die Folgen der verschiedenen Krisen seit 2009 manifestieren sich in fortbestehenden unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Philosophien, die zu Spannungen und Spaltungstendenzen führen. Die Annahme einer sich entwickelnden Stabilitätskultur war irreführend. Mehr noch: Die EU und der Euroraum entwickeln sich immer weiter von dem Modell der offenen Marktwirtschaft weg.
Schon aus der Entscheidung, mit einer großen Zahl unqualifizierter Länder in den Euro zu starten und den Euroraum rasch zu erweitern, ergaben sich Spannungen und Konfliktpotenziale sowie mögliche Bruchstellen. Länder haben den Euro eingeführt, die dafür weder wirtschaftlich noch institutionell/strukturell oder politisch reif waren. Die Folge dieser Fehlentscheidungen sind Finanzkrisen und der Umbau des Maastricht-Konzepts, zunehmende Finanztransfers, eine gemeinschaftliche Haftung und die Politisierung der EZB über die monetäre Staatsfinanzierung.
20 Jahre Euro-Bargeld sind angesichts der Vielzahl aufgestauter Probleme und dem Versuch, alle Divergenzen krampfhaft mit zusätzlichen öffentlichen Schulden zu übertünchen, kein Anlass zum Jubeln. Es wäre darüber nachzudenken, welche Form der europäischen Integration tatsächlich sinnvoll ist und einen Mehrwert für die europäischen Bürgerinnen und Bürger bringt.“
Vítor Constâncio, Ex-EZB-Vizepräsident:
„Der Euro als Währung existiert natürlich schon seit 1999, wenn auch in digitaler Form, nachdem die Wechselkurse zwischen den früheren nationalen Währungen für immer festgelegt wurden. Die Banknoten und Einlagen lauteten noch drei Jahre lang auf die alten Bezeichnungen, aber diese waren nur ein fester Bestandteil des Euro. Es stimmt, dass der Großteil unserer Bevölkerung erst mit der Einführung des Bargelds von der Existenz des Euro erfuhr und die alten nationalen Einheiten verschwanden.
Offensichtlich ist der Euro eine sehr erfolgreiche Währung. Er ist nach dem Dollar die zweitwichtigste Währung der Welt und wird seine Bedeutung im internationalen Währungssystem sicherlich noch steigern. Der Euro ist stabil, wettbewerbsfähig und hat seit seinem Start im Januar vor 23 Jahren eine durchschnittliche jährliche Inflationsrate von 1,9% gewährleistet. Die Krisen von 2010 bis 2012 und 2015 können nicht dem Euro als Währung zugeschrieben werden, da sie auf politische Fehler der nationalen und europäischen Behörden zurückzuführen sind.
Trotz alledem befürwortet eine überwältigende Mehrheit (79%) der Bevölkerung des Euroraums die Währung (82% in Deutschland) und ist der Ansicht, dass sie den Geschäftsverkehr in Europa erleichtert hat. Der Euro wurde zum Symbol des europäischen Einigungsprojekts.“
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank:
„Auf den ersten Blick ist die Bilanz des Euro positiv. Schließlich ist es der EZB gelungen, die Inflation seit Einführung der Gemeinschaftswährung auf durchschnittlich knapp 2% zu begrenzen. Aber blickt man tiefer, fällt die Bilanz ernüchternd aus. Denn Mitgliedsländer wie Griechenland oder Italien haben sich über Jahre hinweg zu hoch verschuldet, obwohl eine solide Haushaltspolitik ein notwendiges Gegenstück zu einer stabilitätsorientierten Geldpolitik ist. Es kam zur Staatsschuldenkrise, die die EZB 2012 mit dem Versprechen eindämmte, im Fall der Fälle unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Aus dieser Rolle als finanzpolitischer Ausputzer hat die EZB nie herausgefunden. Aus Rücksicht auf die hoch verschuldeten Staaten reagiert sie jetzt zu zögerlich auf die stark gestiegene Inflation. Die EZB steht vor einer großen Bewährungsprobe, wenn sich der Rückgang der Inflation, der für das kommende Jahr erwartet wird, als vorübergehend herausstellen wird.“
Marcel Fratzscher, Präsident Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):
„Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. Er war und ist genauso stabil und stark wie die D-Mark. Die durchschnittliche Inflationsrate lag bei unter 2%, etwa halb so hoch wie während der D-Mark. Der Euro hat sich als Stabilitätsanker in drei großen Krisen bewiesen: der globalen Finanzkrise, der europäischen Krise und jetzt der Pandemie. Und vor allem die offene deutsche Volkswirtschaft hat vom Euro profitiert.
Die Politik muss die Geburtsfehler des Euro beheben und die Währungsunion vollenden – mit einer Banken- und Kapitalmarktunion, einer klugen Fiskalunion und einer besser koordinierten Strukturpolitik. Die Zukunft des Euro liegt vor allem in der Hand den nationalen Regierungen, nicht der EZB. Aber auch die EZB muss sich weiterentwickeln und mit ihrer Geldpolitik noch stärker die Finanzstabilität und den Klimaschutz ins Augenmerk nehmen – nicht als Selbstzweck, sondern damit sie auch in Zukunft ihr Mandat der Preisstabilität erfüllen kann.“
Otmar Issing, Präsident CFS und Ex-EZB-Chefvolkswirt:
„Der Euro wurde bereits am 1.Januar 1999 die gemeinsame Währung von 11 Ländern. Im Bewusstsein der Bevölkerung kam er aber erst mit den auf Euro lautenden Banknoten an. Eine Währung bedarf offenbar auch der haptischen Erfahrung durch die Bürger. Obwohl die Inflation sehr niedrig war, bestimmte der starke Preisanstieg von Gütern des täglichen Bedarfs wie des Espressos oder der Brezel das Bewusstsein. Die von Medien verbreitete Mär des ,Teuro‘ wirkte lange als Hypothek für die junge Währung.“
Athanasios Orphanides, MIT Sloan School of Management und Ex-Chef der zypriotischen Zentralbank:
„Der Euro war und bleibt eine riesige Chance für Europa, aber die ersten 20 Jahre waren eine Enttäuschung wegen des nicht genutzten Potenzials. Mit einer soliden makroökonomischen Politik kann der Euro den gemeinsamen Wohlstand fördern. Stattdessen haben die fehlerhafte Politik der EZB und das Misstrauen zwischen den Regierungen dazu geführt, dass der Euro zu einem langsameren Wachstum und einer höheren Arbeitslosigkeit geführt hat, als dies ohne ihn der Fall gewesen wäre. Die Bewältigung der Pandemie war ein Lichtblick; das ist mit anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften vergleichbar. Es bleibt jedoch unklar, ob diese vorübergehende Angleichung an bewährte politische Praktiken in anderen Volkswirtschaften von Dauer sein wird. Die EZB könnte zu ihrer Politik aus der Zeit vor der Pandemie zurückkehren und die Märkte für Staatsanleihen durch ihr übermäßiges Vertrauen in die Kreditratings destabilisieren. Oder sie könnte zu einer Politik der niedrigen Inflation zurückkehren, die das Wachstum hemmt. Oder die Regierungen könnten zu einer selbstzerstörerischen Austeritätspolitik zurückkehren. In diesem Fall wird sich die Malaise des Euro fortsetzen.“
Michael Heise, Chefvolkswirt HQ Trust:
„Die Konsumenten in der Währungsunion sollten das Jubiläum des Euro-Bargeldes feiern. Denn seine Einführung hatte viele Vorteile, die wir heute als selbstverständlich hinnehmen. Dabei ist nicht nur an den Wegfall des oft lästigen und nicht gerade preiswerten Währungstauschs bei Reisen im heutigen Währungsgebiet zu denken. Zu Buche schlägt für den Konsumenten auch ein weitaus höheres Maß an Preistransparenz und ein verschärfter Wettbewerb der Anbieter aus verschiedenen Ländern. Anfängliche Preiserhöhungen, die mit der Umrechnung nationaler Währungen verbunden waren, hat es gegeben, aber sie haben sich als Einmaleffekte erwiesen und die Teuro Debatte ist abgeklungen. Über die 20 Jahre hinweg war die Geldentwertung im Euroraum im Vergleich zu anderen Währungen und auch im Vergleich zur früheren D-Mark sogar sehr gering.
Enttäuscht wurde allerdings die mit dem Euro verbundene Erwartung, dass die gemeinsame Währung die Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik verbessern und damit auch die Integration der Euroländer vertiefen würde. Schon in den ersten Jahren des Euro wurden erhebliche wirtschaftliche Fehlentwicklungen zugelassen, die sich in teilweise sehr hohen Staatsdefiziten, besorgniserregenden Leistungsbilanzsalden und deutlich unterschiedlichen Inflationsraten zeigten und die nach der großen Finanzkrise 2007/2008 geradewegs in die Euro-Schuldenkrise vor etwa zehn Jahren führten. Es bedurfte eines Machtworts der Geldpolitik, um Spekulationen über eine Aufspaltung der Währungsunion zu verhindern. Gegenseitige Vorwürfe der Länder untereinander waren an der Tagesordnung. Das sollte nicht in Vergessenheit geraten. Vielmehr sollte man sich am 20. Jubiläum des Euro-Bargeldes der Tatsache bewusstwerden, das ein gemeinsames stabilitätspolitisches Verständnis für das Überleben und den Erfolg der zweitwichtigsten Währung der Welt von unabdingbarer Bedeutung ist. Ob man damit rechnen kann ist offen; das erhöhte Maß an Zusammenarbeit und Gemeinsinn im Rahmen der Coronakrise ist aber als Lichtblick zu werten.“
Sylvain Broyer, Europa-Chefvolkswirt S&P Global Ratings:
„Vor 20 Jahren war das Euro-Bargeld für über 300 Millionen Europäer der erste handfeste Kontakt mit der Währungsunion. Heute wird der Euro von der Bevölkerung hoch geschätzt. Er hat bereits länger Bestand, als teils vorhergesagt wurde, und jede Krise hat ihn stärker gemacht. Dennoch hat die Einführung des Euros weder den Handel zwischen den Mitgliedsländern maßgeblich intensiviert, noch ihre Wirtschaftszyklen angeglichen. Der Euro ist keine Allzweckwaffe. Er ist ein wichtiges Mittel zur europäischen Integration, die aber mehr braucht, um ganz Gestalt anzunehmen. Erst mit der Bankenunion, der Kapitalmarktunion und vielleicht einer gemeinsamen Haushaltskapazität wird der Euro seine wohlstandsfördernde Kraft voll entfalten. Dabei wird er sich auch in seiner Form anpassen müssen, um die Europäer im digitalen Zeitalter zu begleiten.“
Ludovic Subran, Chefökonom Allianz:
„2022 wird für den Euroraum ein entscheidendes Jahr sein, da die beispiellosen politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie irgendwie zu Ende gehen werden. Ironischerweise ist es auch das Jahr, in dem unsere gemeinsame Währung 20 Jahre alt wird. Das Alter der Reife? Die Wahl ist einfach: Entweder wir wollen zurück ins Jahr 2012, als wir nur über Abbrüche und Ausstiege sprachen, oder wir erkennen endlich an, dass unsere Währung eine politische Waffe sowie ein wirtschaftliches Sicherheits- und Wohlstandssprungbrett ist und dass wir dafür sorgen müssen, dass sie in jedem Fall funktioniert, auch indem wir einige überholte Regeln überarbeiten und das europäische Wirtschaftsmodell nachhaltiger und integrativer gestalten.“
Gunther Schnabl, Wirtschaftsprofessor Universität Leipzig:
„20 Jahre nach Einführung ist der Euro beliebt. Den Reisenden erspart er das mühevolle Hantieren mit unterschiedlichen Währungen. Für die Unternehmen wurden lästige Wechselkursschwankungen und Umtauschkosten eliminiert. Doch der nach wie vor heterogene Währungsraum ist instabil. Zunächst haben Übertreibungen in den südlichen Eurostaaten die europäische Finanz- und Schuldenkrise ausgelöst. Seit der Coronakrise muss die EZB mit neuen immensen Ankäufen von Staatsanleihen und umfangreichen Hilfskrediten den Euro stabilisieren. Dabei schaden die anhaltend niedrigen und negativen Zinsen Banken, zombifizieren Unternehmen und erhöhen die Ungleichheit. Die TARGET2-Salden offenbaren den tiefen Graben, der sich durch den Euroraum zieht. Da die nun steigende Inflation die Ersparnisse schmelzen und die Kaufkraft sinken lässt, stehen für das unvollendete europäische Währungsexperiment neue Herausforderungen an.“
Stefan Gerlach, Ex-Vizepräsident der irischen Zentralbank und Chefvolkswirt EFG Bank:
„Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie sich die wirtschaftlichen Bedingungen in Europa seit dem Zusammenbruch von Lehman im Jahr 2008 ohne den Euro entwickelt hätten. Er hat zwei Jahrzehnte lang für eine sehr niedrige und stabile Inflation und stabile Wechselkurse in Europa gesorgt. So etwas haben wir seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr erlebt. Ohne den Euro hätten Deutschland, Österreich und die Niederlande während der Finanzkrise und vielleicht auch während der Covid-Pandemie eine katastrophale Aufwertung ihrer Wechselkurse und einen enormen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit erlebt. Und in der Peripherie des Euroraums hätten wir nach der Krise eine verheerende Abwertung und Inflation erlebt.
Die Einführung des Euro brachte auch fiskalische Regeln mit sich. Diese Regeln müssen zwar überarbeitet werden, aber sie haben sicherlich die Haushaltsdefizite begrenzt und verhindert, dass die durch die Finanzkrise verursachten riesigen Defizite zu weit verbreiteten Staatsausfällen führten. Auch die Unabhängigkeit der Zentralbanken, die ebenfalls im Zuge der Euro-Einführung eingeführt wurde, hat sich für Europa bewährt.
Es ist aber auch klar, dass es dem Euro an unterstützenden Institutionen fehlte – vor allem für die Bankenaufsicht und die Einlagensicherung -, die notwendig sind, damit er gut funktioniert. Auch wenn schon viel getan wurde, bleibt in diesem Bereich noch viel zu tun.
Und die Regierungen müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Tatsache, dass sie den Wechselkurs im Falle eines wirtschaftlichen Schocks nicht abwerten können, eine viel stärkere und umsichtigere Formulierung der nationalen Wirtschaftspolitik erfordert. Die Peripherie hat das auf die harte Tour gelernt, aber ich vermute, dass es politische Entscheidungsträger in der gesamten Eurozone gibt, die das noch nicht ganz verstanden haben.“
Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK):
„Der Euro hat in den 20 Jahren, die er nun als Bargeld existiert, turbulente Zeiten erlebt. In der Gesamtbilanz ist es der Währung aber gelungen, Wechselkursturbulenzen in Europa zu vermeiden und für sehr stabile Preise zu sorgen. Deutschland hat zudem von robustem und stabilem Wachstum profitiert.
Die Hauptsorge vieler bei Einführung des Euro, die junge Währung könne sich zum Inflationstreiber entwickeln, hat sich nicht bewahrheitet. Tatsächlich lag die durchschnittliche jährliche Teuerung in den beiden Jahrzehnten seit 1.1.2002 in Deutschland deutlich niedriger als in den Jahrzehnten davor, als die Deutsche Mark existierte und die Bundesbank die Geldpolitik verantwortete. Im Schnitt stiegen die Verbraucherpreise in Deutschland zwischen Ende 2001 und Ende 2021 im Jahr um 1,5%. In den fünf Jahrzehnten davor waren es im Schnitt jährlich 2,7%. Von einem ,Teuro‘ zu reden, ist vor diesem Hintergrund grob irreführend.
Die große Enttäuschung war die Euro-Krise nach 2010, als die Sorge vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone die Zinsen für Staatsanleihen in vielen Euro-Ländern wie Spanien, Italien, Portugal oder Irland in die Höhe trieb. Gemeinsam mit hektischen Sparprogrammen der Regierungen drückten diese Zinsen die Eurozone in eine Rezession und sorgten vor allem in den südlichen Ländern für hohe Arbeitslosigkeit. In der Krise zeigte vor allem die Europäische Zentralbank Handlungsfähigkeit. Die berühmten Worte des damaligen Zentralbankpräsidenten Mario Draghi, man werde tun ,was auch immer notwendig sei, um den Euro zu retten‘ beendete am Ende die Krise.
Trotz der Euro-Krise entwickelte sich Deutschlands Wirtschaft in der Zeit unter dem Euro gut. Seit Ende 2001 bis zum Beginn der Coronakrise ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland etwa so stark gewachsen wie in den USA und deutlich schneller als in anderen Industrieländern wie Frankreich, Spanien, Großbritannien oder der Schweiz. Eine wichtige Rolle dürfte dabei gespielt haben, dass seit der Zeit der Euro-Einführung große Wechselkursturbulenzen ausgeblieben sind, was der deutschen Exportindustrie genützt hat.“
Friedrich Heinemann, leitender Ökonom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW):
„Der Euro hat Wirtschaften und Reisen in Europa ohne Zweifel erleichtert und geholfen, den Handel im europäischen Binnenmarkt weiter zu vertiefen. Auch konnte Europas Währung bislang noch ihr Stabilitätsversprechen einlösen. Die Inflationsrate in der Eurozone schwankte seit Einführung auf moderatem Niveau.
Dennoch hat Europas Gemeinschaftswährung zentrale ökonomische Hoffnungen nicht erfüllen können. Für Südeuropa hat die Gemeinschaftswährung nicht den erhofften anhaltenden Aufschwung gebracht. Jene osteuropäischen Mitgliedsländer, die dem Euro nicht beigetreten sind, haben die Südeuropäer beim Wachstum weit abgehängt.
Aber auch aus Sicht des europäischen Nordens konnte der Euro seine Versprechen bei wichtigen Themen nicht einhalten. Der Vertrag von Maastricht hatte noch versucht, die Euro-Länder mit einem Haftungsausschluss, einem Verbot der monetären Staatsfinanzierung und mit den europäischen Fiskalregeln zu fiskalischer Disziplin zu bringen. Auf diese Weise sollten die Vergemeinschaftung von Schulden und die Einführung einer Transfergemeinschaft verhindert werden. Diese Vorkehrungen haben ihr Ziel nicht erfüllt. Einige Staaten Südeuropas können ihre Schuldenstände heute nur noch durch umfangreiche Finanzierungshilfen und Garantien seitens der EZB und der EU bewältigen.
Ob der Euro seinen bisherigen Stabilitätserfolg fortsetzen wird, ist unsicher. Zwar ist die gegenwärtig sehr hohe Inflationsrate zum Teil Folge vorübergehender Faktoren. Jedoch ist die Skepsis gewachsen, ob die EZB eine überraschend hohe Inflation überhaupt noch entschlossen bekämpfen könnte. Schließlich spielt ihre lockere Geldpolitik eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung hoch verschuldeter Staaten.
Der Euro schreibt keine ungetrübte Erfolgsgeschichte. Dies sollte sich die Politik ehrlich eingestehen und entschlossen daran arbeiten, den Ordnungsrahmen der Währungsunion zum Besseren zu verändern.“
Carsten Brzeski, Global Head of Macro ING:
„Nach den Anfangsschwierigkeiten hat sich der Euro bewährt und ist aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Anfangsschwierigkeiten nach der Währungsumstellung 2002 haben dem Image des Euros allerdings lange beschädigt. Denn die Teuro Diskussion war nicht nur eine fiktive Diskussion;einige Unternehmen vor allem im Gastgewerbe haben nachweislich die Einführung des Euro Bargelds dazu genutzt, ihre Preise zu erhöhen. Da diese Diskussion von offizieller Seite aus häufig unterbunden wurde, fehlte dem Euro lange die Akzeptanz. Man hätte damals den Beschwerden und Gefühlen der Bürger mehr Aufmerksamkeit geben müssen, anstatt sie wegrationalisieren zu wollen mit dem Argument, dass die gefühlte Inflation nicht die wahre Inflation sei. Langfristig betrachtet hat der Euro den Deutschen – mit Ausnahme des Jahres 2021 – eine geringere Inflationsrate beschert als die D-Mark.
Ja, die Euro-Krise hat allen gezeigt, dass die Währungsunion noch nicht krisenfest war und ist. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass Deutschland von der Krise profitiert hat. Solange der Euro nicht auseinanderbricht, profitiert die deutsche Wirtschaft von den Nebenwirkungen jedes Krisenmanagements (Safe Haven, niedrige Zinsen, schwacher Wechselkurs).
Der Euro und die Währungsunion sind immer ein dynamischer Prozess; die Integration ist weiterhin nicht abgeschlossen. Politische und wirtschaftliche Interessen, europäische und nationale Interessen, sind nicht einfach zu kombinieren. Eine Krise wie vor zehn Jahren wird sich nicht so einfach wiederholen, da die EZB die Rolle des Retters (Lender of last resort) auf sich genommen hat. Komplett krisenfest ist die Währungsunion allerdings nicht. Letztendlich wird die Währungsunion nur überleben, wenn es zu einer politischen Union kommt. Auch wenn es weitere Vertiefungsschritte gab und geben wird, das Risiko einer existentiellen Krise bleibt bestehen. Auslöser sind aber nicht mehr die Finanzmärkte, sondern die Politik und Wähler in einzelnen Mitgliedsstaaten. Hundertprozentig kann man nicht ausschließen, dass sich irgendwann ein kleiner Kern für mehr Integration entscheidet bzw. Populisten in einem beliebigen Land für einen nostalgischen Exit gewählt werden.
Die Kritik am Euro und der Währungsunion gibt es länger als die Währungsunion. Die Kritik wird auch nicht verstummen, da der Euro ein einzigartiges Projekt ist, das wirtschaftliche und politische Interessen vereinen und dabei stolze Nationalstaaten miteinander kooperieren lassen muss. Die Phasen von unterschiedlichen Entwicklungen bis hin zu platzenden Blasen waren zu erwarten und haben die Schwachstellen der Währungsunion bloßgelegt. Teile dieser Schwachstellen wurden mittlerweile beseitigt, aber der Prozess ist noch nicht beendet. Solange der politische Wille da ist, wird der Euro auch die nächsten 20 Jahre überleben.“
Holger Schmieding, Chefvolkwirt Berenberg Bank:
„Der Euro ist ein großer Erfolg. Das Reisen und Leben in Europa ist einfacher geworden. So stabil wie in den vergangenen 20 Jahren waren die Preise in Deutschland und Europa nie zuvor. Von Teuro keine Spur. Dass derzeit hohe Energiekosten, globale Lieferengpässe und der Basiseffekt der abgesenkten deutschen Mehrwertsteuer des zweiten Halbjahres 2020 die Inflation treiben, hat nichts mit dem Euro zu tun. In jugendlichem Alter musste der Euro zwar eine Krise durchleben. Denn auf Betreiben eines Teils der Eltern des Euro hatte die EZB sich zunächst geziert, dem Beispiel aller anderen großen Notenbanken der Welt zu folgen und im Brandfall das nötige Löschwasser zur Verfügung zu stellen. Aber seit sie diese Rolle als Kreditgeber der letzten Instanz für die Eurozone übernommen hat, hat sich die Lage beruhigt. Heute liegt sogar Griechenland beim Wirtschaftswachstum deutlich vor Deutschland. Das institutionelle Gerüst, dass Europa dem Euro mit auf den Weg gegeben hatte, ist alles andere als perfekt. Aber es hat sich besser bewährt als das Regelwerk anderer Währungen. So sind die staatlichen Schuldenquoten in der Eurozone in den vergangenen 20 Jahren wesentlich weniger nach oben geschnellt als in den USA und Großbritannien. 20 Jahre Euro-Bargeld waren gute Jahre für Deutschland und Europa. Sie sind eine solide Basis für künftige Herausforderungen.“
Peter Praet, Ex-EZB-Chefvolkswirt:
„Es ist höchst zweifelhaft, dass einzelne Mitgliedstaaten besser dastehen würden, wenn sie ihre Währungshoheit behalten hätten. Tatsache ist, dass der Euro von den Bürgern breit unterstützt wird, dass er existenzielle Krisen überstanden hat und dass die Mitgliedstaaten wichtige institutionelle Schwächen beheben konnten. Im Nachhinein erkennt man, wie mutig die Entscheidung zur Einführung des Euro war und welche besonderen Umstände sie politisch möglich gemacht haben, insbesondere der Kontext der deutschen Wiedervereinigung und der breite Konsens über das gute Design der Zentralbanken. Aber man sollte nicht selbstzufrieden sein: Die gemeinsame Währung hat nicht zu einer ausreichenden Marktintegration und zu Strukturreformen geführt, insbesondere in einigen Mitgliedstaaten. Dies hat das reibungslose Funktionieren der Währungsunion erheblich erschwert. Die Tatsache, dass die risikofreien Zinssätze nach wie vor negativ sind und weit unter denen eines Landes wie Japan liegen, das eine schwächere Demographie und ein geringeres Wachstumspotential aufweist, ist bezeichnend. Das ist ein Symptom für die Schwierigkeiten, in einem so heterogenen Gebiet eine einheitliche Geldpolitik zu betreiben. Der Euroraum bleibt von Natur aus fragil. Es ist eine unvollendete Union. Um die Vorteile des Euro auch international voll ausschöpfen zu können, ist eine weitere politische und wirtschaftliche Integration erforderlich.“