Konjunktur

Erneutes Auftragsminus für die deutsche Industrie

Das erneute Auftragsminus für die deutsche Industrie im April kam unerwartet – und rasche Besserung ist nicht in Sicht. Die dicken Orderbücher werden die Produktion nicht mehr lange tragen können.

Erneutes Auftragsminus für die deutsche Industrie

Unerwartetes Auftragsminus

Deutsche Industrie bekommt 0,4 Prozent weniger Bestellungen

ba Frankfurt

Die deutsche Industrie muss im April einen erneuten Dämpfer verkraften: Der Auftragseingang ist unerwartet den zweiten Monat in Folge gesunken. Nachdem die Bestellungen seit vergangenem Jahr im Abwärtstrend sind, wird die Luft für die Produktion dünner – der Nachschub fehlt, wenn nun dank der wieder reibungsloser laufenden Lieferketten der immer noch sehr hohe Auftragsbestand abgearbeitet wird. Dass die Industrieumsätze im April erneut zurückgegangen sind, lässt darauf schließen, dass auch die Produktion gedrosselt worden ist, nachdem sie schon im März um 3,4% gesunken war. Und die weiteren Aussichten für die Industrie sind trübe, wie der schwache Einkaufsmanagerindex zeigt. Zudem tritt der Welthandel dem Kiel Trade Indicator zufolge im Mai auf der Stelle, auch wenn wieder mehr Container auf See unterwegs sind.

Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) hat das verarbeitende Gewerbe im April 0,4% weniger Bestellungen eingesammelt als im Vormonat. Zudem war der Einbruch im März mit 10,9% kräftiger ausgefallen als mit zunächst 10,7% gemeldet – und ist damit weiterhin der stärkste seit der ersten Coronawelle im März 2020. Ökonomen hatten für April mit einem Plus von 3,0% gerechnet. Das Bundeswirtschaftsministerium betonte allerdings, dass „der Vormonatsvergleich aktuell stark durch Schwankungen bei Großaufträgen geprägt ist; ohne Großaufträge ergibt sich im April ein Plus von 1,4%“.

Zinserhöhungen belasten

„Das Ergebnis ist eine Riesenenttäuschung“, kommentiert Alexander Krüger, Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank. Damit werde das Konjunkturgefühl immer mulmiger. Die Schwächephase in den USA wird den Abwärtstrend, der seit mehr als einem Jahr anhalte, eher noch bestärken. „Auch wegen der Klimapolitik hierzulande wird der Ritt für die Industrie ein harter bleiben“, erwartet Krüger. Dass sich die weltweite Nachfrage nach Industriegütern spürbar abgeschwächt hat, führt Commerzbank-Ökonom Ralph Solveen auf die weltweiten Zinserhöhungen der Notenbanken zurück. „Vor diesem Hintergrund ist auch nicht mit einer schnellen Erholung zu rechnen.“ Vielmehr dürften die Auftragseingänge im Trend weiter nachgeben. Der positive Effekt der Auftragsbestände werde von den Unternehmen inzwischen nicht mehr als außergewöhnlich hoch beurteilt, „so dass auch dieser positive Effekt spätestens im zweiten Halbjahr verschwinden dürfte“, mahnt Solveen. Dann dürfte die Industrie maßgeblich dazu beitragen, dass die deutsche Wirtschaft erneut schrumpft. Zu Jahresbeginn hatte sie noch einen stärkeren Rückgang als die vermeldeten 0,3% verhindert, ergänzt Bantleon-Ökonom Jörg Angelé.

Inlandsnachfrage stabil

Die exportorientierte deutsche Wirtschaft leidet laut Wirtschaftsministerium besonders unter der noch schwachen Weltwirtschaft und dem Rückgang der Bestellungen aus dem Euroraum, die um 2,7% unter dem Niveau des Vormonats lagen. Die Nachfrage im Inland halte sich mit einem Wachstum von 1,6% dagegen „vergleichsweise stabil“. Die Auslandsbestellungen gingen um 1,8% zurück. Auch wenn der Auftragsbestand „noch immer auf vergleichsweise hohem Niveau“ ist, mahnte das Wirtschaftsministerium dass die „insgesamt schwachen Auftragseingänge aber noch nicht auf kurzfristige Wachstumsimpulse für die Industrieproduktion hindeuten“.

Destatis verweist zudem darauf, dass die Entwicklung innerhalb des verarbeitenden Gewerbes sehr unterschiedlich verlief. Einen besonders starken negativen Einfluss auf die Gesamtentwicklung hatten die Bereiche Maschinenbau (−6,2% zum Vormonat) und der sonstige Fahrzeugbau (−34,0%), zu dem der Bau von Schiffen, Schienenfahrzeugen, Luft- und Raumfahrzeugen sowie von Militärfahrzeugen zählt. Auch im Bereich pharmazeutische Erzeugnisse (−5,9%) gab es weniger Aufträge. Positiv hätte sich hingegen der Bereich Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (+12,0%) sowie der Bereich Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen (+2,4%) entwickelt. Auch bei der Herstellung chemischer Erzeugnisse stand ein kleines Plus (+0,7%).

Über eine Zweiteilung in der Industrie berichtet auch das Ifo-Institut. Viele Unternehmen aus der Elektroindustrie, dem Maschinenbau und dem Automobilbau haben noch größere Probleme mit Materialengpässen – nämlich zu über 50%. Insbesondere würden Chips und Halbleiterprodukte fehlen.

Das erneute Auftragsminus für die deutsche Industrie im April kam unerwartet – und rasche Besserung ist nicht in Sicht. Die etwas höhere Inlandsnachfrage kann den Rückgang aus dem Ausland nicht kompensieren. Und die dicken Orderbücher werden die Produktion nicht mehr lange tragen können.

In der Mehrheit der Branchen aber liege der Anteil der Unternehmen mit Problemen bei Vorprodukten inzwischen wieder unter 20%, etwa in der chemischen Industrie (16,9%), bei Herstellern von Metallerzeugnissen (15,6%) oder von Möbeln (8,8%). Nahezu sorgenfrei seien die Unternehmen aus dem Papiergewerbe (2,5%). Insgesamt berichteten laut Ifo-Institut im Mai noch 35,3% der befragten Firmen von Engpässen. Im April waren es noch 39,2%, im März 41,6%. „Der Rückgang ist eine kleine Stütze für die gegenwärtige schwierige konjunkturelle Lage in der deutschen Industrie“, kommentierte Ifo-Experte Klaus Wohlrabe. Die Reichweite des Auftragsbestands der vom Ifo befragten Firmen betrage derzeit 4,3 Monate Produktion. Der langjährige Schnitt liegt bei 2,9 Monaten. „Rückläufige Auftragseingänge schlagen daher noch nicht voll durch“, resümierte Wohlrabe. 

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