Jörg Buck

„Es besteht Grund, optimistisch zu sein“

Der Chef der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand setzt auf Mario Draghi und das Wiederaufbauprogramm.

„Es besteht Grund, optimistisch zu sein“

Von Gerhard Bläske, Mailand

Mit dem Regierungsantritt von Premierminister Mario Draghi, den geplanten Investitionen und den Mitteln des europäischen Wiederaufbauprogramms sieht Jörg Buck, Geschäftsführer der deutsch-italienischen Handelskammer in Mailand, gute Chancen für eine tiefgreifende wirtschaftliche Erholung Italiens. „Ich gehe davon aus, dass das Wiederaufbauprogramm, in dessen Rahmen das Land 209 Mrd. Euro in Form von Zuschüssen und sehr zinsgünstigen Krediten erhält, Investitionsblockaden löst und zu einer raschen Erneuerung des Maschinenparks führt“, sagte Buck der Börsen-Zeitung. Vor allem von der Digitalisierung, in die 30% der Mittel des Programms fließen sollen, erwartet er sich viel. „Durch die Stimulierung von Investitionen kann endlich die seit vielen Jahren stagnierende Produktivität wachsen“, meint Buck.

Lob für Regierungsstil

Die Stimmung im zweitgrößten Industrieland der EU hat sich durch die Ernennung Draghis deutlich gebessert – auch wenn der lange Lockdown an den Nerven der Italiener zerrt. „Es besteht Grund, optimistisch zu sein“, findet Buck. Er hofft, dass die Impfkampagne endlich in Gang kommt und es im Sommer zu massiven Lockerungen kommt. „Draghi steht vor einer Mammutaufgabe, aber er hat eine historisch fast einmalig große parlamentarische Mehrheit hinter sich.“ Priorität müssten jetzt Reformen der lahmen Justiz und der schwerfälligen Verwaltung haben, etwa die Vereinfachung von Prozessen durch die Digitalisierung oder die Beschleunigung von Ausschreibungsverfahren. „Das Beispiel des Wiederaufbaus der Autobahnbrücke von Genua in weniger als zwei Jahren zeigt, dass Italien das kann“, sagt Buck.

Buck lobt den neuen Stil in der Regierung und die Ernennung vieler parteiloser und anerkannter Experten in Schlüsselpositionen sowie das klare Bekenntnis zur EU: „Mein erster Eindruck ist positiv. Das sehen auch die Finanzmärkte so. Der Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen war noch nie so niedrig wie jetzt.“

Buck ist zuversichtlich, dass es wieder zu einer engeren Zusammenarbeit beider Länder kommt. Zwar ist das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Italien 2020 um 8,7% auf 116 Mrd. Euro ge­schrumpft, vor allem weil die deutschen Exporte ins Belpaese um 12,1% auf 60,3 Mrd. Euro zurückgingen – was auf den massiven Rückgang der Auto-Ausfuhren zurückzuführen ist. Doch die Einfuhren aus Italien gingen nur um 4,8% auf 55,7 Mrd. Euro zurück. Bei Importen von Lebensmitteln und Pharmaprodukten aus Italien gab es sogar Zuwächse. Deutschland bleibt mit riesigem Abstand der wichtigste Handelspartner für Italien. Buck ist zuversichtlich, dass sich das Handelsvolumen bald auf dem Vorkrisenniveau einpendeln wird.

„Modell Deutschland“

Der Chef der Handelskammer erwartet, dass die Digitalisierung den sehr starken Mittelstand in Italien in der Auto-, Chemie-, Pharma-, Lebensmittel- und Textilindustrie voranbringt und Draghi marktwirtschaftliche Tendenzen stärkt. Er begrüßt die geplanten Investitionen in Süditalien, das trotz üppiger Subventionen zuletzt noch weiter vom wirtschaftsstarken Norden abgehängt worden ist. „Digitalisierung und Investitionen in die Infrastruktur bieten da große Chancen. Süditalien hat viele Chancen durch neue Technologien, erneuerbare Energien wie Wind und Sonne, ökologische Landwirtschaft, Tourismus und auch als Brücke nach Afrika.“

Ein großes Problem Italiens stellen nach Auffassung Bucks der Bevölkerungsrückgang und die sehr niedrigen Geburtenraten dar. Seit 2008 gingen die Geburten um 30% auf zuletzt 404000 zurück. Die Bevölkerung schrumpft. Die Beschäftigungsquote der Frauen liegt mit 48,5% weit unter der in der gesamten EU mit durchschnittlich 63%.

Buck hält den Ausbau der sehr marginalen familienpolitischen Leistungen und von Betreuungseinrichtungen für zentral. Auf dem Arbeitsmarkt fehlten vor allem gut ausgebildete Akademiker im naturwissenschaftlichen Bereich. „Das Bildungssystem bildet am Bedarf der Wirtschaft vorbei und es gibt viel zu viele Schul- und Studienabbrecher auf allen Ebenen. Und es braucht mehr Praxisbezug. Wir als Kammer haben zusammen mit unseren 2000 Mitgliedsunternehmen einige Pilotmodelle aufgesetzt.“ Buck begrüßt, dass Ministerpräsident Draghi sich in seiner Regierungserklärung auf das „Modell Deutschland“ bezogen hat und die Fort- und Weiterbildung sowie die duale Berufsausbildung vorantreiben will. Das europäische Wiederaufbauprogramm biete Chancen zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern, speziell im Maschinenbau, der Elektrotechnik und Elektronik.