Es braucht den Aufbau West
Gleichwertige Lebensverhältnisse: Sie sind in Artikel 72 des Grundgesetzes festgeschrieben. In der Realität sind sie eine Fiktion. Das gilt für den Osten der Republik, wo trotz hunderter Milliarden Euro für den Aufbau Ost ganze Regionen abgehängt sind und sich entgegen politischen Versprechungen nicht in “blühende Landschaften” verwandelt haben. Das gilt aber ebenso für mehrere Dutzend Kommunen im Westen der Republik, die bis zur Handlungsunfähigkeit verschuldet sind. Das Problem existiert schon viele Jahre. Jetzt sind die Altschulden der betroffenen Kommunen auch ein Thema im Bundeskabinett.Natürlich ist eine Stadt, sagen wir beispielhaft Solingen im Bergischen Land, durchaus in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Aber der Preis war hoch. Bibliotheken, Frei- und Hallenbäder mussten geschlossen werden. Die Lebensqualität ist gesunken, dafür steigt die Grundsteuer, neben der Gewerbesteuer die wichtigste kommunale Einnahmequelle. Und damit ist das Problem der Altschulden immer noch nicht gelöst. Städte wie Solingen, Pirmasens, Oberhausen oder Saarbrücken halten sich schon seit Jahren nur mit Kassenkrediten über Wasser. Ein Instrument, das eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Finanzengpässe gedacht war. Der Bund könne im Rahmen eines nationalen politischen Konsenses einen Beitrag leisten, die betroffenen Kommunen zu entschulden, lässt das Kabinett eher vage wissen. Dass ein solcher nationaler Konsens in greifbarer Nähe ist, kann getrost bezweifelt werden. Denn welches Interesse sollten reiche Länder wie Bayern und Baden-Württemberg an ihm haben? Dort können die allermeisten Kommunen auf Kassenkredite verzichten, und die Steuereinnahmen sprudeln (noch). Verschuldung durch Kassenkredite konzentriert sich auf Städte im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen.Und dann ist die Problematik auch nicht trivial. Denn nicht der Bund, sondern die Länder sind dafür verantwortlich, dass Kommunen eine zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben angemessene Finanzausstattung zuteilwird. So sieht es die föderale Ordnung in der Bundesrepublik schließlich vor. Trotzdem ist die Hilfe für die Schuldenkommunen im Zuge eines nationalen Konsenses alternativlos, trotz aller zu erwartenden Diskussionen und gesetzlichen Probleme. Sozial Schwache zieht es eben in strukturschwache Städte – dort gibt es noch leerstehenden oder zumindest bezahlbaren Wohnraum. Auch für Migranten sind strukturschwache Städte darum interessant. Bei sozial Schwachen haben aber die Kommunen mehr als die Hälfte der Kosten für die Unterkunft zu tragen. Sie baden ein gesamtdeutsches gesellschaftliches Problem aus, schließlich können sie sich ihre Einwohner ja nicht aussuchen. Hier ist der Bund ganz klar in der Pflicht. Er muss sich stärker an den Kosten der Unterkunft beteiligen. Das ist verfassungsrechtlich zwar nicht unproblematisch, denn eine Kostenbeteiligung von über 50 % würde dem Bund auch Mitspracherechte einräumen; den so entlasteten Kommunen wäre es aber wohl egal. Diesen Gedanken weitergesponnen, könnte auch eine von der Finanzkraft der einzelnen Kommunen abhängige Beteiligung des Bundes an den von den Städten zu tragenden Kosten für Hartz-IV-Empfänger und Flüchtlinge eine Option sein. Das wäre gerecht. Das allein wird aber nicht ausreichen. Es braucht die einmalige Entschuldung der Kommunen, die Kassenkredite aufgenommen haben. Auch das ist eine übergeordnete Aufgabe. Denn wer den hoch verschuldeten Kommunen im Westen Deutschlands hilft, der hilft auch dem ganzen Land. Der Investitionsstau auf kommunaler Ebene ist enorm. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund beziffert ihn auf derzeit rund 138 Mrd. Euro, auch wenn er sich in reichen Städten gerade langsam abbaut. In den Schuldenkommunen staut es sich. Wahrscheinlich würde das dann vorhandene Geld schwerpunktmäßig in die ohnehin schon gut ausgelastete Baubranche fließen, weil der größte Nachholbedarf etwa bei Schulen oder im Straßenbau besteht, und es würden sich auch schnell Kapazitätsgrenzen auftun. Dennoch: Der Effekt im Bruttoinlandsprodukt wäre spürbar. Die Wirtschaft bekäme den derzeit dringend benötigten Rückenwind. Bricht die Konjunktur erst mal stärker ein, kommt es gar zu einer Rezession, dann werden die Schuldenkommunen zu einer tickenden sozialen Zeitbombe, mit deren Entschärfung Lokalpolitiker schlicht überfordert sind. Es braucht einen Aufbau West – und es braucht ihn jetzt.——Von Archibald PreuschatWerden Kommunen von ihren Altschulden entlastet, bringt das der deutschen Wirtschaft auch den dringend benötigten Rückenwind.——