Im InterviewUlrike Malmendier

„Es fehlt an Wachstumsfinanzierung“

Tiefere und liquidere Kapitalmärkte sind nach Einschätzung von Ulrike Malmendier entscheidend, will Deutschland wieder auf ein höheres Wachstum kommen und zugleich die Transformation meistern. Im Interview plädiert die Wirtschaftsweise dafür, an der Aktienkultur zu arbeiten, etwa über ein Startkapital für Kinder und Jugendliche.

„Es fehlt an Wachstumsfinanzierung“

Im Interview: Ulrike Malmendier

„Es fehlt an Wachstumsfinanzierung“

Sachverständige fordert Stärkung der Kapitalmärkte – Staatliches Startkapital ab Schulbeginn vorgeschlagen – Bedeutung für die Transformation

Frau Prof. Malmendier, welche Bedeutung haben die Kapitalmärkte für die grüne und digitale Transformation?

Wenn wir in Deutschland auf einen höheren Wachstumspfad kommen und zugleich die Transformation schaffen wollen, müssen wir ein stärkeres Augenmerk auf die jungen, wachstumsstarken Unternehmen legen – beispielsweise im Bereich der KI oder der Batterie- und Wasserstofftechnik –, die bestehende Systeme aufmischen können. Diese Start-ups werden nur groß durch die Kapitalmärkte. Beim Thema Transformation wird immer gleich gefragt, wie viel der Staat dazu bezahlt. Aber so kann es ja nicht laufen. Da geht es ja um Risiken, die der Staat nicht unbedingt tragen kann und soll. Es geht um private Investitionen und Finanzierungen.

Wir sprechen schon lange über stärkere Kapitalmärkte. Große Fortschritte sind aber nicht zu sehen. Warum?

In Deutschland mangelt es generell schon an der Aktienkultur, also am Verständnis für Investitionen in breit gestreute, diversifizierte Fonds mit niedrigen Kosten. Hier hinken wir immer noch weit hinter Ländern wie Schweden oder den USA her. Wir sind ein Land der Sparer. Und auf Unternehmensebene dominiert nach wie vor die Bankenfinanzierung. Das alles hat auch viel Gutes. Auch deshalb haben wir vielleicht lange die Bedeutung starker Kapitalmärkten nicht gesehen. Aber jetzt ist es an der Zeit zu handeln, wenn wir das mittel- und langfristige Wachstum erhöhen wollen. Hier sieht es nämlich übel aus. Beim Potenzialwachstum liegt Deutschland auf einem historischen Tiefstand.

Aber eine Aktienkultur lässt sich nicht von heute auf morgen ändern.

Das stimmt im Grundsatz. Aber im Unternehmensbereich gäbe es Hebel, über die wir sehr schnell etwas ändern könnten. An wachstumsträchtigen Projekten dürfte es in Deutschland, dem Land der Tüftler und Denker, ja nicht mangeln. Und das Kapital ist aufseiten der Investoren auch grundsätzlich da. Bei vielen anderen Ansätzen zu mehr Wachstum – etwa dem zu geringen Arbeitsvolumen oder dem veralteten Kapitalstock – dauert es länger, bis man Fortschritte sieht. Beim Kapitalmarkt ist das anders. Ich glaube übrigens, dass auch bei der Bevölkerung schneller eine positive Entwicklung in Gang kommen könnte, als viele Leute denken.

Wie das?

In unserem Jahresgutachten machen wir den Vorschlag, schon bei Kindern und Jugendlichen anzusetzen – nicht nur mit einer besseren Finanzbildung in der Schule, sondern auch mit einem staatlichen Startkapital.

Das Modell, das es schon in Israel gibt?

Etwas modifiziert. In Israel beginnen die staatlichen Zahlungen schon mit der Geburt. Wir schlagen vor, mit der Einschulung zu beginnen und dann bis zum 18. Lebensjahr jedem 10 Euro pro Monat zu zahlen. Komplett staatlich finanziert, würde dies etwa 1,2 Mrd. Euro pro Jahr kosten. Dieses Geld könnte zum Vermögensaufbau beitragen. Wenn wir von klein auf eine Aktienkultur mitbekommen würden, wären irgendwann auch die Investitionsteams in den Versicherungen, Pensionsfonds oder anderen Kapitalsammelstellen anders aufgestellt.

Wird der Einstieg in die kapitalgedeckte Rentenversicherung zum besseren Kapitalmarkt-Verständnis beitragen?

Ein staatlich verwalteter Pensionsfonds könnte ebenfalls zu einer dynamischeren Aktienkultur beitragen. Das sieht man in Schweden. Dazu tragen viel die Erfahrungen mit den regelmäßigen persönlichen Abrechnungen des Fonds bei. Das Generationenkapital, wie von der Bundesregierung geplant, ist allerdings eher eine Finanzmarkttransaktion.

Was meinen Sie damit?

Wir nehmen Kredite auf und investieren die Mittel am Kapitalmarkt. Die Erträge dieser Gelder sollen dann bei der Versorgung helfen. Wichtig wären aber individuelle Konten für die künftigen Rentner. Damit kommt auch Vertrauen und Sicherheit und hoffentlich Interesse an den getätigten Investitionen. Ich war enttäuscht, dass dieser Aspekt nicht in den Koalitionsvertrag Einzug erhalten hat. Aber daran lässt sich in dieser Legislaturperiode wohl nichts mehr ändern.

Ein öffentlich verwalteter Pensionsfonds ist nicht absehbar.

Der ist im Generationenkapital nicht vorgesehen. Dabei wäre ein solcher Fonds nach den negativen Erfahrungen mit der Riester-Rente die Möglichkeit, ein ganz anderes Konzept und einen einfacheren Weg zu implementieren. Individuelle Konten könnten auch schon für das Startkapital genutzt werden, das wir vorschlagen.

Üblicherweise wird als Erstes auf die Regulierung verwiesen, die die Weiterentwicklung der Kapitalmärkte hemmt.

Die aktuellen Hemmnisse, die es durchaus gibt, erklären nicht ausreichend, warum nicht mehr investiert wird, warum deutsche Versicherungen nicht mehr Geld in Venture Capital stecken oder sich Verbriefungsmärkte nicht besser entwickeln. Mit einer zu strengen Regulierung kann man dies jedenfalls nicht komplett erklären.

Fragt man Banken und ihre Verbände, kommen schnell Forderungen nach einer Reform der Verbriefungsregeln.

In Deutschland hat man mit den Pfandbriefen ja so etwas wie einen eigenen Weg gefunden. Und eigentlich gibt es ja nicht wirklich ein Hindernis, mehr zu verbriefen. Es scheint eher das Interesse zu fehlen. Dass es eine lockerere Risikogewichtung geben muss, sehen wir nicht unbedingt. Es gäbe auch jetzt noch Spielräume.

Was kann die Bundesregierung tun, um Kapitalmarktfinanzierung zu pushen?

Zum Beispiel sollten Exit-Optionen für Wagniskapital verbessert werden – sowohl in Deutschland als auch in anderen EU-Nachbarländern. Dazu gehört ein einfacheres Listing an den Börsen und auch ein besseres Anwerben von Kapitalgebern. Wir beobachten, dass sich die Wagniskapitalfinanzierung in der Frühphase in Deutschland verbessert hat. Hinzu kommt die staatliche Unterstützung, zum Beispiel durch die KfW. Es fehlt aber an Wachstumsfinanzierung, wenn Unternehmen aus ihrer Start-up-Phase herauskommen. Da gibt es weder in Deutschland noch in Europa genügend Fonds und andere Kapitalgeber. Das ist sehr schade. Die Start-up-Szene hat sich in Deutschland ja grundsätzlich recht positiv entwickelt.

Was ist mit staatlicher Kofinanzierung?

Kofinanzierung ist wichtig, um private Gelder zu mobilisieren. Die Ausgestaltung in Deutschland lässt die Kapitalgeber in späten Finanzierungsrunden aber nicht unbedingt Schlange stehen. Es geht übrigens auch ohne viele zusätzliche Mittel: In Frankreich und Großbritannien hatten zuletzt einfach Aufrufe der Regierung geholfen, mehr Geld in junge, innovative Unternehmen zu investieren.

In der EU sind die Kapitalmärkte stark fragmentiert. Ist die weitere Harmonisierung der wichtigste Ansatz, um die Kapitalmarktunion voranzubringen?

Ja, zusammen mit einer Stärkung der Aufsicht, also der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA. Bei einigen Themen wird es wohl auch in Zukunft schwierig bleiben, wie bei der Vereinheitlichung des Insolvenzrechts, die eigentlich zentral wäre. Vielleicht sollten sich einige EU-Länder zunächst im kleineren Kreis auf eine Harmonisierung einigen.

Sehen Sie den politischen Willen, eine Vertiefung der Kapitalmärkte ernsthaft voranzubringen?

Sowohl in Deutschland als auch in Europa wäre aktuell zumindest eine gute Zeit dafür. Die geopolitische Lage hat sich verändert. Und wir sollten sicherstellen, dass die EU nicht zum Spielball zwischen den USA und China wird, sondern ein eigenständiger Player bleibt – auch auf den Finanzmärkten. Das gibt mir auch die Hoffnung, dass etwas vorankommt, spätestens wenn die neue EU-Kommission im nächsten Jahr ihre Arbeit aufnimmt. 

Tiefere und liquidere Kapitalmärkte sind nach Einschätzung von Ulrike Malmendier entscheidend, will Deutschland wieder auf höheres Wachstum kommen und die Transformation meistern. Die Wirtschaftsweise plädiert dafür, an der Aktienkultur zu arbeiten, etwa über ein Startkapital für Kinder und Jugendliche.

Ulrike Malmendier, Professorin für Finanzmarktökonomik, ist seit 2022 Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Das Interview führte Andreas Heitker.

Die Wirtschaftsweisen Veronika Grimm, Achim Truger, Monika Schnitzer (Vorsitzende), Martin Werding und Ulrike Malmendier präsentieren ihr Jahresgutachten 2023/24.