GASKONFLIKT - IM INTERVIEW: JURI PRODAN, UKRAINISCHER ENERGIEMINISTER

"Es geht auch um die Energiesicherheit Europas"

Russland wird wohl die Gaslieferungen stoppen - Verhandlungen über Gas-Umkehr-Lieferungen mit der Slowakei beginnen Dienstag

"Es geht auch um die Energiesicherheit Europas"

– Kremlchef Wladimir Putin hat gestern die EU-Staatschefs brieflich gewarnt, im Extremfall Gaslieferungen stoppen zu müssen, weil die Ukraine nicht zahle. Auch stelle Russland auf Vorauskasse bei Gaslieferungen um, schrieb er. Ist Letzteres schon eingetreten?Gegenüber der Ukraine hat Russland offiziell noch keine diesbezüglichen Ansprüche mitgeteilt.- Aber es würde zum Schlimmsten gehören, was die Ukraine auf dem Gassektor befürchtet.Was auch immer die Situation ist, wir können den aktuellen (neulich um 80 % auf 480 Dollar je 1 000 Kubikmeter erhöhten, Anm. der Redaktion) Gaspreis nicht akzeptieren.- Kann eine Vorauszahlung die ukrainische Wirtschaft in die Knie zwingen?Wenn wir uns auf den vorjährigen Preis von 268,50 Dollar einigen, dann nicht. Im Vertrag steht, dass wir uns zu Beginn jedes Quartals zusammensetzen und das nächste Protokoll unterschreiben können. Also setzen wir uns zusammen! Dann soll uns die russische Seite bitte erklären, warum wir den früheren Preis nicht haben können. Und uns erklären, von welchem Schlag sie ist.- Das müssten Sie ohnehin wissen. Sie kennen Gazprom und die Russen, die fürs Gasgeschäft verantwortlich sind, seit langem. Hat sich deren Stil in letzter Zeit geändert?Ich habe die Verhandlungen nicht geführt, lediglich mit Gazprom-Chef Alexej Miller telefoniert. Wahrscheinlich hat sich der Stil nicht geändert. Die russische Seite hat nicht den Willen, einen Kompromiss einzugehen. Der Stil hat immer dem eines Monopolisten entsprochen, der die Preise diktieren kann.- In Europa hat man den Eindruck, dass der Gaskonflikt stellvertretend für einen wirklichen Krieg zwischen Russland und der Ukraine geführt wird.Ich würde nicht von einem Stellvertreterkrieg sprechen. Es ist wirklich ein Krieg, nur eben ein wirtschaftlicher, der der Ukraine – bisher auf der Ebene des Gases – erklärt worden ist, während der Konflikt auf der Krim noch nicht zu Ende ist.- Trügt der Eindruck, dass Russland und die Ukraine mit den Drohungen, es könne zu Lieferengpässen kommen, Europa in den Konflikt hineinziehen wollen, damit der Westen schneller Geld – unter anderem zur Begleichung der Gasschulden – bereitstellt?Europa muss verstehen, dass es hier nicht nur um die Energiesicherheit der Ukraine, sondern auch um die Europas geht. Wenn der Transit durch die Ukraine wegfällt, wird die Energiesicherheit für Europa geringer. Denn dann hängt Europa direkt von den Lieferungen über Nord Stream ab. Hoffentlich wird nicht auch noch die Pipeline South Stream gebaut.- Auf welcher Route Europa sein Gas bekommt, ist ja eigentlich zweitrangig. Das Problem ist doch eher die einseitige Abhängigkeit von einer Quelle, nämlich Russland.Ja, aber ein Weg über die erst zu bauende South Stream käme Europa teurer. Es wäre sehr attraktiv für die europäischen Händler und Pipelinebetreiber, das ukrainische Leitungssystem und die unterirdischen Speicher in der Westukraine in einen einheitlichen Gasmarkt Europas einzubinden. Unsere großen unterirdischen Speicher kann Europa effizient für seine Vorräte nutzen.- Hat der Gaskonflikt Ihres Erachtens zum Ziel, dass Russland South Stream für Europa durchsetzen will?Vielleicht ja. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt – und zwar gegenüber der Ukraine, damit unser Land kein unabhängiger Staat ist. Auch der Gaspreis ist politisch motiviert. Russland will hier mehrere Fragen lösen. Aber wir werden es natürlich nicht zulassen.- In welchem Eskalationsstadium befinden wir uns?Ich würde sagen, wir nähern uns der Lösung der Situation – aber in einer Richtung, die schlecht für die Ukraine ist. Wahrscheinlich steuern wir auf die Abschaltung der Gaslieferung seitens Russlands zu.- Aber Sie haben Mitte der Woche auch verkündet, dass Sie jetzt die unterirdischen Speicher nicht aufzufüllen beginnen, so wie es für den reibungslosen Transit im kommenden Winter nötig wäre.Nun, wir füllen die Speicher einstweilen nicht. Technisch können wir mit der Auffüllung bis spätestens Anfang Juli beginnen, um für den Winter gerüstet zu sein.- In früheren Jahren begannen Sie damit im April.Es gab Zeiten, als wir im Mai begannen. Das hängt ja von mehreren Faktoren ab – unter anderem von den finanziellen. Gegenwärtig verläuft noch alles normal, 7,2 Mrd. Kubikmeter sind in den unterirdischen Speichern gelagert. Jetzt nehmen wir nichts heraus, pumpen aber auch nichts hinein.- Aber Ihre Haltung, das Auffüllen der Speicher hinauszuzögern, ist doch ein Schachzug im Handel mit Russland!Würde ich nicht sagen. Wir gehen jetzt einfach sparsam vor. Wir verhandeln mit Russland über den Preis. Naftogaz hat ihren Vorschlag unterbreitet.- Man muss freilich auch sagen, dass die Ukraine auch dann nicht zahlte, als der Preis bei 268,50 Dollar lag. Hat da die ukrainische Regierung nicht eine Mitschuld an der Misere?Die Ukraine hat bis Ende 2013 nicht gezahlt. Danach hat Russland beschlossen, einen Kredit zur Verfügung zu stellen und den Preis auf 268,50 Dollar zu senken. Man muss die frühere ukrainische Regierung (des flüchtigen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch, Anm. der Redaktion) fragen, warum sie nicht gezahlt hat. Wir von unserer Seite wollten die Kooperation unter den vorherigen Bedingungen fortsetzen. Aber 500 Dollar können wir nicht zahlen. Wir brauchen einen Preiskompromiss.- Die Ukraine wähnt sich immer im Recht. Worin aber hat Russland recht?Weiß ich nicht. Russland gab uns früher einen Kredit, womit wir dann das Gas bezahlten. Wir sind bereit, in einer solchen Form mit Russland wieder zusammenzuarbeiten. Wir wollen einen gerechten Marktpreis erzielen.- Der Basiskontrakt von 2009, der damals zur Beendigung der Gaslieferungen geführt hatte, war nicht marktwirtschaftlich?Unter dem schweren Druck, der von europäischer und russischer Seite damals aufgebaut wurde, herrschten gänzlich andere Verhältnisse. Die wirtschaftliche Situation hat sich inzwischen geändert.- Wollen Sie also den Basisvertrag von 2009 ändern?Ja, natürlich. Unsere Juristen analysieren jetzt diesen Vertrag.- Sie überlegen, Gazprom vor dem Internationalen Gericht in Stockholm zu verklagen, wenn der Konzern die seit 2010 gewährten Rabatte für den Verbleib der russischen Flotte auf der Krim zurückverlangt, wie er das angekündigt hat. Haben Sie die Klageschrift schon vorbereitet?Wenn wir uns nicht einigen, bleibt uns kein anderer Weg. Unsere Juristen arbeiten schon daran.- Mittlerweile forcieren Sie und die EU, dass die Ukraine aus den westlichen Nachbarländern über die bestehenden Pipelines mittels Gas-Umkehr-Lieferungen (Reverse Flow) versorgt wird.Alles hängt davon ab, welche Volumina wir erhalten können. Wenn es uns gelingt, uns mit der Slowakei zu einigen, befreien wir uns von der russischen Abhängigkeit.- Worauf haben Sie sich diese Woche bei Ihrem Besuch bei EU-Kommissar Günther Oettinger in Brüssel geeinigt?Wir erhielten die Versicherung, dass die EU-Kommission uns sowohl in der Frage des Reverse unterstützt als auch Finanzhilfen prüft. Ich denke, dass sich in der Frage der Reverse-Lieferungen aus der Slowakei etwas bewegen wird. Anfangs hieß es, es sei ein technisches Problem. Jetzt heißt es, es sei ein juristisches Problem, das Gazprom betrifft. Man muss Klarheit schaffen, ob eine neue Pipeline nötig ist, damit europäische Firmen Gas in unsere Speicher fließen lassen, oder ob es mittels Reverse über die bestehenden Pipelines geht. Wir haben in Brüssel verabredet, uns jede Woche zu treffen.- Mit der Slowakei verhandeln Sie schon?Am Dienstag fährt ein Vertreter von uns in die Slowakei, um sich ein Bild vor Ort zu machen und zum ersten Mal direkt mit der Slowakei zu verhandeln. Bisher hat man uns die Anlagen vor Ort gar nicht anschauen lassen. Mit den Slowaken haben wir es nicht einfach. Sollte sich wirklich herausstellen, dass es keinen anderen Weg gibt, dann werden wir Geld zur Finanzierung einer eigenen Pipeline aus der Slowakei suchen.- Die Slowakei benimmt sich wie eine Braut, die jetzt umworben wird?Die Slowakei ist in einer vorteilhaften Lage. Der Hauptanteil, den wir über den Reverse erhalten können, läuft über die Slowakei.- Russland legt sich quer und hat der Slowakei inzwischen als Zuckerbrot einen niedrigeren Preis angeboten. Diskutieren Sie die Frage des Reverse auch direkt mit Russland, das sich ja gegen den Reverse sträubt?Nein. Das würde zu keinem gewünschten Ergebnis führen. Die EU und die europäischen Gashändler haben uns bestätigt, dass ein Reverse den EU-Gesetzen nicht widerspricht. Und wir haben im Vorjahr ja schon zum ersten Mal Gas aus Europa – von der deutschen RWE – erhalten.- Kürzlich hat der Öl- und Gaskonzern Shell ein gemeinsames Fördervorhaben im Schwarzen Meer aufgegeben. Wie sehr ändern sich die Fördervorhaben im Schwarzen Meer?Die gesamten Konzepte ändern sich natürlich wegen der Krim-Krise. Wir haben hier keinen Einfluss auf die Situation. Aber unsere Verluste sind riesig. Das staatliche Gasunternehmen Tschernomornaftogaz hat ja schon alle Plattformen und Bohrstationen dort errichtet. Die Förderung ist jedes Jahr gestiegen. Es stellt sich die Frage, wie wir das alles zurückbekommen. Wir werden die Ansprüche sicher vor internationalen Gerichten geltend machen.—-Das Interview führte Eduard Steiner.