"Es gibt noch viel zu tun"
– Herr Bullmann, auf Ihre Initiative hin haben die Sozialdemokraten im EU-Parlament zusammen mit den Grünen und Liberalen an EU-Ratspräsident Donald Tusk geschrieben und einen Durchbruch in der Migrationsfrage auf dem EU-Gipfel gefordert.Ja, das war eine gemeinsame Initiative – auch weil wir es ein Stück weit satt hatten, dass auf dem Rücken der Betroffenen parteipolitische Süppchen gekocht werden. Schauen Sie sich etwa den Streit innerhalb der CDU/CSU in Deutschland an. Ein irrationales Verhalten. Die Migrationszahlen in der Europäischen Union (EU) haben sich seit dem Jahr 2015 deutlich reduziert. Im Entwurf der Abschlusserklärung des Gipfels wird von einer Reduktion um 95 % gesprochen. Kein Mensch kann mir erklären, warum wir in dieser Situation Regierungskrise spielen müssen. Wir Fraktionschefs wollten mit dem Brief dafür sorgen, dass wieder vernünftige Politik gemacht wird. Das heißt, dass die geplante Reform der Dublin-Vereinbarung jetzt auf den Tisch muss. Wir hatten den Eindruck, Tusk bringt dies nicht rechtzeitig auf die Tagesordnung. Außerdem: Wo immer wir uns bei dem Thema hindrehen, haben wir es mit Verantwortlichen der Europäischen Volkspartei zu tun, die keine Linie in ihre Argumentation bekommen.- Es gibt bereits verschiedene Stränge für eine europäische Ausrichtung der Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wo stehen wir da? Fünf Gesetzgebungsverfahren in diesem Bereich sind schon so gut wie abgeschlossen. Und dann gibt es noch zwei Dossiers, die durch die Mitgliedstaaten im Rat blockiert sind – das ist zum einen die Dublin-Reform und das ist der Bereich der Rückführung. Das sind zwei sehr kritische Themen, und wir wollen, dass sie im Paket verhandelt und nicht endlos vertagt werden. Im EU-Parlament haben wir bereits mit breiter Mehrheit für eine Dublin-Reform gestimmt. Am Ende des Tages muss im Bereich von Migration und Asyl eine Politik gemacht werden, die Europa gemeinsam vertritt. Wenn wir nicht so irre wären und uns in der EU immer wieder selbst blockieren würden, hätten wir auch den Rechtspopulismus an verschiedenen Stellen schon längst eingedämmt.- Deutschland und Frankreich gehen mit einer gemeinsamen Reformagenda in den Gipfel. Was halten Sie von dieser Agenda?Für mich ist diese Verständigung ein Schritt in die richtige Richtung. Natürlich können wir uns noch mehr vorstellen. Aber allein das Thema der europäischen Arbeitslosenversicherung oder das klare Bekenntnis zu einem Eurozonen-Budget, das den Euro und das Währungsgebiet insgesamt hilft zu stabilisieren, sind positive Signale. Hier wird etwas aufgebrochen, das bisher eingefroren und ideologisch verstellt war. Bei der Währungsunion werden wir jetzt ein Stückchen vorankommen. – Welche Reformen in der EU müssen aus Ihrer Sicht bis zur Europawahl noch vereinbart werden?Die Währungsunion muss wetterfest werden – das ist ganz klar. Wir wollen auch, dass es eine europäische Migrations- und Flüchtlingspolitik gibt, die verlässlich ist, die ein menschliches Gesicht zeigt und Europa als eine gemeinsame staatliche Einheit handeln lässt. Dies ist längst kein Problem mehr, das man auf einzelne Mitgliedstaaten abladen kann. Und wir müssen dafür sorgen, dass die EU ein sozialeres Gesicht zeigt. Die Überarbeitung der Entsenderichtlinie, für die wir Sozialdemokraten lange gekämpft haben, war ein erster guter Schritt. Außerdem verhandeln wir derzeit ein Gesetz, das es den Menschen ermöglichen soll, Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren. Aber wir fordern darüber hinaus eine Rahmenrichtlinie für gute Beschäftigung, die zum Beispiel Mindeststandards für Arbeit in der Sharing Economy festlegt. Es ist noch viel zu tun.- Und was erhoffen Sie sich beim Gipfelthema Brexit?Ich bin froh, dass die EU in dieser Frage immer noch geeint steht. Die Institutionen lassen sich nicht auseinanderdividieren. Und auch das EU-Parlament steht in seiner großen Mehrheit geeint zusammen. Man sieht zurzeit Woche für Woche, welche realen Kosten der Brexit verursacht. Damit wird auch der Betrug am britischen Volk immer deutlicher. Meine persönliche Hoffnung ist, dass die letzten Sätze zum Brexit noch nicht gesprochen sind. Ich kann mir vorstellen, dass wir auch noch in eine Situation kommen werden, in welcher der britischen Bevölkerung die Augen aufgehen und die Menschen erkennen, wozu sie sich haben verleiten lassen. Ich habe immer noch Hoffnung, dass das Ende der britischen Zugehörigkeit zur EU noch nicht fix ist.Das Interview führte Andreas Heitker.