IM BLICKFELD

EU-Austrittsgesetz zeigt, wie schwer der Brexit wird

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 23.11.2017 Das "EU Withdrawal Bill" gehört zu den Brexit-Gesetzen, die in der von der Königin verlesenen Regierungserklärung Theresa Mays angekündigt worden sind. Es soll das Gesetz über die Europäischen...

EU-Austrittsgesetz zeigt, wie schwer der Brexit wird

Von Andreas Hippin, LondonDas “EU Withdrawal Bill” gehört zu den Brexit-Gesetzen, die in der von der Königin verlesenen Regierungserklärung Theresa Mays angekündigt worden sind. Es soll das Gesetz über die Europäischen Gemeinschaften von 1972 aufheben und zugleich das derzeit gültige europäische Recht zu britischem Recht machen. Danach könnte sich die Regierung die Gesetze nach und nach vornehmen und unerwünschte Vorschriften außer Kraft setzen. May hatte die Idee für das Gesetz einst mit den Worten beworben: “Das bedeutet, dass Großbritannien eine unabhängige souveräne Nation sein wird. Es wird seine eigenen Gesetze machen” (vgl. BZ vom 5.10.2016).In Wirklichkeit handelt es sich um Verwaltungshandeln, das ein rechtliches Vakuum verhindern soll. Das von der Regierung geplante Vorgehen galt allgemein als wenig umstritten. “Ich glaube nicht, dass das Gesetz große politische Kontroversen auslösen wird”, sagte der konservative Oberhausabgeordnete Ian Lang Ende Juni. Die in britisches Recht umgewandelten Gesetze änderten sich dadurch ja nicht. Dass mehr als 400 Änderungsvorschläge eingereicht würden, hatte niemand erwartet. Brexit-Gegnern wie dem ehemaligen Schatzkanzler Kenneth Clarke, der konservativen Abgeordneten Anna Soubry oder dem Liberaldemokraten Nick Clegg, einst David Camerons Stellvertreter, gibt die Debatte Gelegenheit, ihrem Unmut Luft zu verschaffen. “Das wird die Hölle””Wenn Sie das Gesetz zur Inanspruchnahme von Artikel 50 schwierig fanden, sollten Sie sich nichts vormachen”, kündigte Tim Farron, damals noch Führer der Liberaldemokraten, schon früh an. “Das wird die Hölle.” Der bei Labour für das Thema Brexit zuständige Keir Starmer machte auch schnell klar, dass seine Partei das Aufhebungsgesetz nicht unterstützen werde. Eine Voraussetzung dafür sei, dass die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in britisches Recht übertragen werde. Zudem dürften künftig die Rechte von Arbeitnehmern in Großbritannien nicht hinter denen ihrer Kollegen in der EU zurückbleiben. Auch die Regionalregierungen von Schottland und Wales wiesen das Gesetz zurück. Ihnen geht es darum, dass Kompetenzen, die derzeit noch bei der EU liegen, an sie übertragen werden. May muss sich wegen ihrer knappen Mehrheit im Unterhaus, auf die sie ohnehin nur mit Hilfe der nordirischen Unionisten kommt, Sorgen machen, dass Abweichler aus den eigenen Reihen das Gesetz zu Fall bringen könnten.David Mundy, Partner der Londoner Kanzlei Bircham Dyson Bell, hält es für unwahrscheinlich, dass das Gesetz noch vor Neujahr in dritter Lesung vom Unterhaus verabschiedet wird. Das Oberhaus könne ein vom House of Commons verabschiedetes Gesetz zwar nicht blockieren, “schon gar nicht eines, das zumindest theoretisch dem Willen der Wähler Ausdruck verschafft”, sagte Mundy. Es könne es aber auf Herz und Nieren prüfen. Es werde wohl nicht vor der Osterpause aus der Debatte in den Ausschüssen des House of Lords zurückkehren.Das EU-Austrittsgesetz zeigt, wie schwer der Brexit in der Praxis wird. Weite Teile des gesellschaftlichen Lebens werden durch EU-Recht geregelt. Bereits vor Jahren wurde der Umfang des sogenannten Acquis Communautaire, in dem das gesamte europäische Recht seit 1958 enthalten ist, auf 80 000 Einzelposten geschätzt. In Großbritannien gelten rund 12 000 Rechtsvorschriften der EU. Das britische Parlament segnete 7 900 Rechtsverordnungen ab, mit denen EU-Recht Gültigkeit verschafft wurde. Hinzu kommen Gesetze, die zu einem gewissen Grad von der Mitgliedschaft in der EU beeinflusst wurden. Die Kanzlei Linklaters arbeitete im Auftrag der International Regulatory Strategy Group ein paar einfache Regeln aus, die den rechtlichen Übergang nach dem Brexit wesentlich erleichtern könnten. Dabei geht es unter anderem um die zahllosen Referenzen auf andere EU-Gesetze oder Regeln, die geändert werden müssten. “Es ist machbar, aber es bedarf einer Menge Arbeit”, sagte Emma Giddings, Partner bei der Kanzlei Norton Rose Fulbright.Das Aufhebungsgesetz soll in Kraft treten, wenn Großbritannien die EU verlässt. Der von Gegnern Mays mit Hilfe von Laiendarstellern in historischen Kostümen erhobene Vorwurf, May wolle sich durch das Gesetz Machtbefugnisse wie einst Heinrich VIII. sichern, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. “Es muss Ausgewogenheit zwischen dem Bedürfnis der Regierung nach Flexibilität und dem Prinzip der parlamentarischen Kontrolle hergestellt werden”, sagte Giddings. Der Großteil der Änderungsanträge drehte sich darum, die Machtbefugnisse der Regierung auf die eine oder andere Art zu beschränken. Auch ein Änderungsvorschlag der Regierung, die den 29.3.2019 als genaues Austrittsdatum festschreiben wollte, stieß im Unterhaus auf heftigen Widerspruch. “Artikel 50 lässt offen, dass das Datum, an dem wir austreten, bei gegenseitiger Übereinkunft verschoben werden kann”, sagte Giddings. “Ein exaktes Datum im britischen Recht zu verankern, könnte sich als kontraproduktiv erweisen, wenn es noch ungelöste Fragen gibt.”