EU dämpft türkische Hoffnung auf raschen Beitritt

Verhandlungen dürften sich "über viele Jahre hinziehen" - Merkel bricht zu diplomatischer Europareise auf

EU dämpft türkische Hoffnung auf raschen Beitritt

fed Frankfurt – Bundesregierung und EU-Kommission haben die Erwartungen der türkischen Regierung geerdet, schon bald in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Der türkische EU-Botschafter Selim Yenel hatte in einem Interview der “Welt” bekräftigt, sein Land wolle der EU spätestens in sieben Jahren beitreten. Es ist nicht das erste Mal, dass ein hochrangiger türkischer Diplomat das Jahr 2023, in dem die türkische Republik 100 Jahre alt wird, als Referenzjahr für den angestrebten EU-Beitritt ins Gespräch bringt. Angesichts des aktuell angespannten Verhältnisses zwischen der EU und der Türkei wollten jedoch weder die EU-Kommission noch die Bundesregierung diese Ansage aus Ankara unkommentiert stehen lassen. Beide unterstrichen daher einerseits, dass der Beitrittsprozess wohl länger brauchen dürfte. So ließ sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker von der Regionalzeitung an seinem Urlaubsort mit dem Hinweis zitieren: “Die Verhandlungen mit der Türkei werden sich über viele Jahre hinziehen.” Andererseits unterstrichen die Bundesregierung ebenso wie die EU-Kommission die Bedeutung, die sie einem intakten europäisch-türkischen Verhältnis beimessen. “Ich bleibe der Meinung”, hob Juncker mit Bezugnahme auf den Beitrittsprozess hervor, “dass ein Einstellen der Verhandlungen mit der Türkei ein schwerwiegender diplomatischer Fehler wäre.” Schließlich befinde sich die Europäische Union “ja nicht nur mit Herrn Erdogan und seiner Regierung im Gespräch”, sondern strebe vielmehr “eine Gesamtlösung an, die dem türkischen Volk von Nutzen sein wird”.Bundeskanzlerin Angela Merkel argumentierte in eine ähnliche Richtung. Sie wurde gestern mit der Aussage zitiert, dass Deutschland und die Türkei “eine besondere Verbindung” hätten – und das werde auch so bleiben. In den vergangenen Tagen und Wochen hatte es Irritationen, Verstimmungen und sogar offene Kritik zwischen Berlin und Ankara gegeben – auf der einen Seite wegen rechtsstaatlich bedenklicher Maßnahmen des türkischen Präsidenten in Reaktion auf den gescheiterten Putschversuch, auf der anderen Seite wegen einer öffentlich gewordenen vernichtenden Beurteilung der Bundesregierung über das Verhältnis der Regierung Erdogans zu Organisationen, die als terroristisch eingestuft werden.Kanzlerin Merkel wird in den nächsten Tage in mehreren Etappen ungewöhnlich viele ihrer EU-Amtskollegen – 15 Regierungschefs binnen sechs Tagen – treffen, um mit ihnen die zentralen aktuellen Fragen der EU zu erörtern: Umgang mit Flüchtlingen, Verhältnis zur Türkei, künftiges Selbstverständnis der EU ohne Großbritannien. Ihre eng mit EU-Ratspräsident Donald Tusk abgestimmte Reisediplomatie soll den informellen EU-Gipfel im September vorbereiten helfen.