EU-Gipfel sondiert Brexit-Lösungen
In Brüssel hat der entscheidende Brexit-Gipfel begonnen. Die Regierungschefs der EU-27 berieten am Abend den Verhandlungsstand. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich optimistisch, dass ein No Deal noch verhindert werden kann. Einer neuen EU-Umfrage zufolge befürworten noch 35 % der Briten den Brexit.ahe/wf Brüssel/Berlin – Die Zustimmung zur EU steigt einer neuen repräsentativen Umfrage zufolge kontinuierlich weiter. Von knapp 27 500 Europäern, die im September im Auftrag des EU-Parlaments befragt wurden, waren 68 % der Meinung, ihr Land habe von der Mitgliedschaft in der Europäischen Union profitiert. So positiv wurde die EU seit 1983 nicht mehr bewertet. Zum Vergleich: Noch 2011 gab es auf diese Frage nur 52 % positive Antworten.Laut der Umfrage würden im Falle eines Referendums 66 % der Bürger für eine Mitgliedschaft in der EU stimmen und lediglich 17 % dagegen (siehe Grafiken). Auch in Großbritannien zeigte sich eine knappe Mehrheit von 53 % für einen Verbleib. Mittlerweile würden demnach nur noch 35 % der Briten einen Brexit befürworten. Guy Verhofstadt, der Brexit-Koordinator des EU-Parlaments, sprach von einer “tiefen Spaltung”, die der Brexit-Beschluss in Großbritannien mit sich bringe. Die EU müsse “eine nachhaltige und enge Beziehung in Form eines umfassenden Assoziierungsabkommens finden”, betonte er.Gestern Abend kamen in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der EU-27 zusammen, um über den Stand der Brexit-Verhandlungen zu beraten. Vor dem Gipfel war bekannt geworden, dass mittlerweile auch eine längere Übergangszeit eine Option ist. Bislang sollte diese nur 21 Monate bis Ende 2020 dauern, unter anderem, da 2021 die nächste siebenjährige Haushaltsperiode beginnt. In der Übergangsperiode sollen die künftigen Beziehungen geklärt und eventuell ein Freihandelsabkommen verhandelt werden.Kurz vor Beginn des EU-Gipfels verbreitete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Hoffnung auf einen geordneten Brexit. “Die Chance, rechtzeitig ein gutes und tragfähiges Austrittsabkommen hinzubekommen, ist nach wie vor da”, sagte sie in einer Regierungserklärung im Bundestag. In Brüssel geht es beim Gipfel um die Einigung über ein Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien. Ungeklärt ist bislang, wie mit der Grenze zu Nordirland verfahren wird, wenn das Vereinigte Königreich nicht mehr der EU angehört. “Jeder, der schon einmal internationale Verhandlungen geführt hat, weiß natürlich, dass das Schwierigste bekanntermaßen zum Schluss kommt – und die Tücke liegt hier sehr im Detail”, sagte Merkel. Sie rief zur Geschlossenheit der verbleibenden 27-EU-Mitglieder auf. Diese müssten an einer überzeugenden Lösung für beide Seiten arbeiten. Merkel schloss indirekt aber auch einen harten Brexit ohne geregeltes Abkommen und eine Übergangsfrist nicht aus. “Zugleich gehört es selbstverständlich ebenso zu einer verantwortungsvollen und vorausschauenden Regierungsführung dazu, dass wir uns auf alle Szenarien vorbereiten – das heißt einschließlich der Möglichkeit, dass Großbritannien ohne ein Abkommen die Europäische Union verlässt”, sagte die Kanzlerin. Die Übergangsfrist würde den Status quo noch bis wenigstens 2020 erhalten.Bundesbankvorstand Burkhard Balz rief beim Brexit Summit in der Landesvertretung Hessen die Finanzwirtschaft auf, sich den neuen strukturellen Veränderungen anzupassen. “Marktteilnehmer sollten diesen Veränderungsprozess aktiv begleiten”, sagte er. Dies gelte nicht nur für marktgetriebene, sondern auch für politische Einflussfaktoren. Mit Blick auf die künftige Rolle der Aufsicht beim Euro-Clearing von Derivaten setzt die Bundesbank auf Sicherheit. Es sei entscheidend, sagt Balz, dass die EU-Behörden und die europäischen Zentralbanken bei systemrelevanten zentralen Gegenparteien (CCPs) eine wirksame Aufsicht gewährleisteten und Risiken für die Finanzstabilität abwehren könnten. “Nur so können die Interessen der EU und die Sicherheit des EU-Finanzsystems gewährleistet werden”, sagte Balz. Finanzstaatssekretär Jörg Kukies machte ebenfalls beim Brexit Summit deutlich, dass die Bundesregierung klar hinter den europäischen Aufsichtsvorgaben von Emir II für das Euro-Clearing stehe.Kukies kündigte an, dass die Bundesregierung in Berlin über die bisher geplanten Brexit-getriebenen Rechtsänderungen für den Finanzmarkt hinaus weitere aufsichtsrechtliche Fragen national regeln wird. Dabei geht es um grenzüberschreitende Finanzdienstleistungsverträge, besonders außerbörsliche Derivatekontrakte, sowie Versicherungsverträge. Dafür seien Gesetzgebungsverfahren in Vorbereitung. Dieser präventive Schritt werde wegen des zunehmenden Zeitdrucks vorbereitet und eng mit anderen großen EU-Ländern wie Frankreich, Spanien oder Italien abgestimmt. Dadurch sollen Reibungsverluste und Risiken für die Finanzmarktstabilität abgemildert werden. Bereits eingeleitet ist Kukies zufolge nationale Gesetzgebung für steuerliche Fragen im Zusammenhang mit dem Brexit, für Pfandbriefe und Bausparkassen. Auf der Agenda stehe ferner eine Regelung zur Auslagerung von Dienstleistungen im Fondsgeschäft, die für alle Fondsgesellschaften zentral sei. Hier arbeite das Bundesfinanzministerium eng mit den europäischen Aufsichtsbehörden zusammen.—– Wertberichtigt Seite 6