EU harmonisiert Insolvenzregeln

Frühzeitige Restrukturierungsoptionen - Zweite Chance für Unternehmer - Vermeidung "fauler Kredite"

EU harmonisiert Insolvenzregeln

In Europa gehen nach Einschätzung der EU-Kommission zu viele Jobs durch vermeidbare Insolvenzen verloren. Eine neue Richtlinie soll nun die frühzeitige Sanierung einfacher machen und gescheiterten Unternehmern zugleich eine schnellere Schuldenbefreiung ermöglichen.ahe Brüssel – Die Europäische Kommission hat eine Harmonisierung der höchst unterschiedlichen Insolvenzregelungen in der EU angestoßen und eine entsprechende Richtlinie zur Diskussion gestellt. Gut funktionierende Insolvenz- und Restrukturierungssysteme seien “entscheidend für Wirtschaftswachstum und die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen”, erklärte die für Justiz und Verbraucherschutz zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova vor der Presse in Straßburg. Jährlich gebe es rund 200 000 Firmenpleiten in der EU, bei denen etwa 1,7 Millionen Jobs verloren gingen. Mit effizienteren Systemen könne dies in vielen Fällen vermieden werden.Die von Brüssel nun vorgeschlagene Richtlinie hat drei Kernelemente: Zum einen soll EU-weit ein Rahmenwerk für frühzeitige Restrukturierungsmöglichkeiten eingeführt werden. Unternehmen mit einem tragfähigen Geschäftsmodell, die unter einem vorübergehenden finanziellen Engpass leiden, sollen nicht zu schnell in die Insolvenz geschickt werden. Aktuell sind die gesetzlichen Grundlagen in den einzelnen EU-Staaten hier sehr unterschiedlich. Eine frühzeitige Restrukturierung von Unternehmen, die in Schieflage geraten sind, ist in fünf Mitgliedsstaaten bislang überhaupt nicht vorgesehen. Die EU-Kommission plädiert nun unter anderem für ein Frühwarnsystem für Unternehmen und für eine zeitlich befristete Schutzzeit (“Breathing Space”) von zunächst bis zu vier Monaten, die die Verhandlungen über eine Sanierung erleichtern sollen.Zweites Kernelement ist, einem gescheiterten Unternehmer eine zweite Chance zu geben. Dabei geht es im Wesentlichen um das Thema Restschuldbefreiung. Die EU-Kommission schlägt hierfür einen Zeitraum von maximal drei Jahren vor. Hiervon erhofft sich die Behörde eine Stärkung von Unternehmertum, Innovationen und auch Risikofreude bei der Gründung neuer Firmen. Minimum-StandardsUnd als Drittes zielt die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag darauf ab, die Effizienz der bestehenden Insolvenzregelungen zu verbessern. In diesem Zusammenhang soll unter anderem verhindert werden, dass eine Minderheit von Gläubigern eine geplante Restrukturierung in Gläubigerversammlungen verhindern kann. Zudem soll die Länge von Sanierungsprozessen, die heute bis zu vier Jahre dauern können, verkürzt werden.Die geplante Richtlinie gilt ausschließlich für Unternehmen und nicht für Banken oder Versicherungen, für die eigenständige Abwicklungsrichtlinien gälten. Allerdings sollten, so betonte Jourova in Straßburg, auch die Banken von dem neuen Regelwerk profitieren, da sie mit weniger Kreditausfällen und einem deutlichen Abbau von “faulen Krediten” in ihren Bilanzen rechnen könnten. Dies wiederum werde die Kreditvergabe in Europa stärken, zeigte sich die EU-Kommissarin sicher. Dies sei eine “gute Nachricht für die Finanzstabilität” in Europa.Die EU-Kommission zielt mit ihrer Richtlinie nicht auf eine vollständige Harmonisierung der europäischen Regelungen ab, sondern will zunächst Minimum-Standards in Europa setzen. Ein weiterer Schritt mit dann weit detaillierteren Vorgaben in einigen Jahren wird aber heute schon nicht ausgeschlossen. Zunächst aber sollen die Ergebnisse der nun geplanten Richtlinie ausgewertet werden.In Deutschland werden die Brüsseler Vorschläge wohl nur in wenigen Punkten Gesetzesänderungen zur Folge haben. Die Weltbank hat die deutschen Insolvenzregelungen 2015 in Bezug auf Effizienz auf Platz 2 innerhalb der EU gesetzt (siehe auch Grafik). Nach Einschätzung der EU-Kommission schrecken allerdings die strikten Konditionen und die Rolle der Gerichte einige Unternehmen von einer frühzeitigen Restrukturierung ab. Dies soll künftig einfacher und flexibler gehandhabt werden.Auch sollen in eine frühzeitige Sanierung nicht mehr alle Gläubiger einbezogen werden müssen. Gescheiterte Unternehmer erhalten in Deutschland zudem rascher wieder den Status der Schuldenfreiheit. Aktuell ist in Deutschland ein Zeitraum von fünf bis sechs Jahren hierfür vorgesehen. Eine Restschuldbefreiung nach drei Jahren ist heute nur dann möglich, wenn mindestens 35 % der Ansprüche von Gläubigerseite befriedigt wurden.—– Wertberichtigt Seite 8